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12. 9. 2012 - 16:14

Startschuss für die türkische Bildungsreform

Wenn in diesen Tagen für die türkischen Schüler und Schülerinnen das nächste Schuljahr beginnt, dann unter veränderten Umständen: Mit einem neuen System, neuen Unterrichtsfächern und neuen Regeln.

Irina Oberguggenberger

FM4 / Alex Wagner

Irina Oberguggenberger

von Irina Oberguggenberger

Tayyip Erdoğan will mit der Bildungsreform seinem Ziel, eine "religiöse Jugend heranzuziehen", näher kommen. Das hat er in einer türkischen Polit-Talkshow angekündigt. Bisher gab es in der kemalistisch geprägten Türkei eine strikte Trennung zwischen Religion und Staat. Nach französischem Vorbild blieben die Schulen laizistisch, deutlich machte das etwa das allgemeine Kopftuchverbot für Schülerinnen.

Die jetzige Reform zielt in die Gegenrichtung. Die Schulreform nennt sich "4+4+4" und besteht aus einem dreiteiligen Schulsystem mit vier Jahren Grund-, vier Jahren Mittel- und vier Jahren Oberschule. Insgesamt bedeutet das für die Schüler und Schülerinnen zwölf Pflichtschuljahre, deutlich mehr als die bisherigen acht Jahre.

Weitaus umstrittener ist aber die Reform des Lehrplans: Neue Wahlfächer, wie beispielsweise "Korankunde" oder "Das Leben des Propheten Mohammed" sorgen für Diskussionen. Befürworter teilen die Meinung Erdoğans, dass religiöse Themen ins öffentliche Leben hineingetragen werden sollten und nennen westliche Staaten wie Deutschland und Österreich als Positiv-Beispiel. Hier gäbe es auch keine strikte Trennung von Schule und Religion, sondern eine Art Zusammenarbeit.

Türkische Schülerin

epd / Herby Sachs/tl

Kritiker fürchten den religiösen Einfluss in den Schulen. Auch deshalb, weil sie glauben, dass die religiös geprägten Imam-Hatip-Schulen, in denen unter anderem Koranlehrer ausgebildet werden, durch das neue "4+4+4"-System mehr Zulauf bekommen werden. Bisher konnte man die Schule erst nach Abschluss der achtjährigen Schulpflicht besuchen. Mit der neuen Schulreform gilt die Imam-Hatip-Schule aber als Mittelschule, wodurch Schüler und Schülerinnen schon nach vier Jahren dorthin wechseln können. Seit Bekanntgabe der Reform sind in Istanbul etwa siebzig neue Imam-Hatip-Schulen entstanden.

Außerdem wurde das Kopftuchtragen für Mädchen ab der fünften Klasse in der Schule erlaubt, zumindest im Religionsunterricht. Während das von vielen Frauengruppen befürwortet wird, befürchten andere, dadurch diskriminiert zu werden.

Die Bildungsreform spaltet die türkische Bevölkerung also nach wie vor in zwei Gruppen. Wie viel Einfluss die Religion tatsächlich auf den Schulalltag nehmen wird, wird sich erst in den nächsten Monaten zeigen.