Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ein Erotikbuch mit 18 - und dann?"

Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

11. 9. 2012 - 19:05

Ein Erotikbuch mit 18 - und dann?

"Und alle so Yeah" ist ein vortrefflicher Titel für ein vortreffliches Stück Gerade-noch-Teenager-Literatur über Zukunftsangst, Selbstmitleid und unverbindliche Affären.

Ein Erotikbuch mit 18 – und dann? Diese Frage stellt sich die Protagonistin des neuen Romans von Rebecca Martin. Wie die Autorin selbst hat sie während ihrer Abiturzeit einen Bestseller geschrieben. Anders als die Romanfigur hat Rebecca Martin allerdings keine Sinnkrise nach dem großen Erfolg gehabt, sondern einfach ein zweites Buch geschrieben. „Und alle so Yeah“ ist gleichzeitig Coming-of-Age-Literatur und das Generationen-Portrait der heute Anfang-20-Jährigen.

Biographische Parallelen

Rebecca Martin, geboren 1990 in Berlin, veröffentlicht ihr erstes Buch mit 18, während sie sich auf ihr Abitur an der Kreuzberger Waldorfschule vorbereitet. "Frühling und so" (2008) ist ein Erotikroman, der Martin einiges an Medieninteresse einbringt. Seit 2004 arbeitet sie gelegentlich auch als Schauspielerin, seit 2011 ist sie Werbetexterin in Hamburg.

Drei Lesungen, zwei Fototermine, fünf Interviews, acht Stunden herumsitzen, eine halbe Stunde Vokabel lernen, zwei Nächte zwischen frisch gestärkten Laken, gefühlte zwanzig Gläser Gin Tonic, dreimal so viele Zigaretten (...) und mein Name in einem Zug mit Autoren, die ich selbst nur von der Bestsellerliste kenne. Darüber werde ich mich wahrscheinlich noch in zehn Jahren freuen.

Während ihre Schulkollegen fürs Abitur lernen, erlebt die 18-jährige Elina Aufstieg und Fall eines Literatur-Shooting-Stars. Sie hat einen Erotik-Bestseller geschrieben, und führt seither ein Doppelleben: eines als Skandal-Autorin, ein anderes als stinknormale Schulabgängerin. Beim Zigarettenkaufen muss sie sich ausweisen, in der Disco zieht sie Lines. Bei der Familienfeier sitzt sie am Kindertisch, und kriegt Erinnerungsmails von ihrem Steuerberater. Der große Hype kommt für Elinas junge Mädchenpsyche dann doch etwas zu schnell:

"Und alle so Yeah" ist Rebecca Martins zweites Buch. Es ist im Dumont-Verlag erschienen.

Am Tag der Veröffentlichung postet Rebecca Martin dieses Foto mit folgender Bildunterschrift:

Portrait Rebecca Martin, Autorin

Rebecca Martin

"oh yeah. es ist da. man kann es kaufen. ab heute. ohne witz jetzt. tight. cool. spitze. ICH RASTE AUS! ABER KOMPLETT!"

Um ehrlich zu sein, hat es ein solches Tempo, dass ich gar nicht hinterherkomme und daher auch nicht in der Lage bin, das Ausmaß zu begreifen. Ich trabe hinterher, und das Einzige, worauf ich mich konzentrieren kann, ist die Schnelligkeit meines Pulses, meine vom Rauchen geschwächte Lunge und die Schweißtropfen zwischen meinen Brüsten.

Reflektiertes Selbstmitleid

All das schildert die Ich-Erzählerin in szenenartigen Rückblicken. Die Gegenwart des Romans setzt ein Jahr später ein, als das Medieninteresse schon nachgelassen hat. Ihre Schulkollegen studieren mittlerweile an der Uni, nur Elina hat ihre ursprünglichen Träume und Ambitionen vergessen, und hängt völlig planlos mit ihrem älteren Bruder und einer losen Affäre in der WG rum. Der finanzielle Polster, auf dem sie sich dank ihres Bucherfolges ausruhen kann, verstärkt ihre Lähmung noch:

Ich sehne mich danach, dass mich jemand an die Hand nimmt und mir sagt, was richtig und was falsch ist. Was für ein kindischer Gedanke.

Wie so viele ihrer Altersgenossen weicht Elina der Frage nach ihrer Zukunft aus. Sie ist Repräsentatin einer Generation, die alle Möglichkeiten hat - und damit zu viele davon. Statt Entscheidungen zu treffen, ergeht sie sich lieber in Unverbindlichkeiten und Selbstmitleid.

Ein Phänomen, das Rebecca Martin auch an den anderen Romanfiguren illustriert. Tim zum Beispiel, der nach einer romantischen Nacht mit der Protagonistin doch lieber mit einer anderen knutscht, oder Elinas Bruder Jasper, der aus reinem Pragmatismus Jus studiert. Mit letzterem macht Elina schließlich auf einen Roadtrip durch Deutschland zur Hochzeit ihres Onkels. Auf der Reise und zurück im Schoß der Familie findet sie endlich ein wenig Gelassenheit, die sich in ebenso banalen wie tröstlichen Sätzen niederschlägt wie:

Am 22. November liest Rebecca Martin auf der FM4-Bühne bei der Buch Wien.

Man sollte immer tanzen, wenn man nicht mehr weiter weiß.

Abgesehen also von ein paar Spannungsflauten und einem allzu märchenhaften Ende ist "Und alle so Yeah" ein reflektiertes Stück Gerade-noch-Teenager-Literatur, das vielleicht etwas oberg’scheit und pathetisch daherkommt, aber dennoch ungemein liebenswert ist. Ich sage Yeah!