Erstellt am: 22. 7. 2012 - 14:21 Uhr
go wiggo
Okay, lassen wir einmal das ganze Gejammere über die olympischen Spielereien beiseite. Wie ich der ORF-News-Seite entnehme, war meine Taktik, mir die Horrorstories für die Woche davor aufzuheben, ohnehin nicht so schlau, weil all die Geschichten in verdünnter Form bereits aufgetischt wurden. Hätt ich mir denken können eigentlich.
Aber egal: Das tatsächlich Wesentliche findet sowieso ein paar hundert Meilen östlich von London statt, und zwar heute nachmittag auf jener Straße, die die Briten so beharrlich "Schonseliiiehsej" nennen (aussprechen und weinen), wenn der erste Brite überhaupt je zum Sieger der Tour de France gekrönt wird.
Der popkulturelle Aspekt liegt in Bradley Wiggins' offenem Bekenntnis dazu, was er selbst "the mod movement" nennt.
Untenstehendes Bild hier verleiht seinen Worten nicht nur Glaubwürdigkeit, es ruft auch eine der kurioseren Koalitionen von Sport und Popkultur ins Gedächtnis.

Fred Perry
In der Tat, Fred Perry mag mit Andy Murray den potenziellen Nachfolger seines historischen Namensgebers als letzter britischer Wimbledon-Sieger an Adidas verloren haben (und wir haben alle gesehen, wohin das führt), aber die Idee, Bradley Wiggins als Werbeträger für die heurige Saison zu gewinnen, hat sich jetzt schon als Goldgriff erwiesen.
Das von Wiggins persönlich designte, in himmelblau, schwarz und weiß erhältliche Cycling Top erhebt die Perry-typischen Streifchen an den Säumen zum selbstbewussten Statement: Patriotisch rot und blau am Kragen und der Weltmeister-Regenbogen an den Bündchen.
Nun kommt es ja nicht völlig überraschend, dass ein Jam- und Small Faces-Fan, der als Teenager in Kilburn mit Oasis als Soundtrack seiner Jugend aufwuchs (was für meinereiner ja mit Mod gar nicht zusammengeht, aber das ist wohl eine Generationenfrage), zum Radsport finden sollte.
Hätte mir auch passieren können, wenn mir auf Steigungen nicht immer die Luft ausgegangen wäre.
Zunächst einmal waren Cycling Tops immer schon ein wichtiger Teil der Mod-Garderobe, zumal körpernah geschnitten, hochgeschlossen und mit einem gewissen androgynen Charme behaftet.

public domain
Dann der Zufall, dass etwa das Team-Shirt von Peugeot von den Sixties bis in die Two-Tone-Zeit der Spätsiebziger hinein ein Design hatte, das mit seinem Schachbrettmuster dem Mod-Revival jener Zeit gewissermaßen an die schmale Brust geschnitten war.
Man vergleiche das Design mit der unter mod-affinen Menschen in den Achtzigern populären James Jacket (Kapuzenjacke mit Schachbrett um die Brust).
Dazu die zu ebenjener Mod-Neudeutung der Ära ebenso ideal passende, seither bedauerlicherweise verlorene Tradition, dass Rennradfahrer ausschließlich weiße Socken und schwarze Schuhe trugen.
Dass Mods immer gerne Bowling-Schuhe trugen, ist weithin bekannt, der schlanke schwarze Radfahrschuh mit Belüftungslöchern war nur wegen seiner eher tanzuntauglichen Sohlen weniger beliebt, aber durchaus Teil des Repertoires.
Interessanterweise trägt Wiggo ja aus Prinzip schwarze Socken, aber das Brechen von Kleidungsregeln gehört genauso zum ewig produktiven Retro/Innovations-Paradoxon der Mod Culture wie jene Regeln selbst.

Robert Rotifer
Abgesehen von den ästhetischen Parallelen von Mod und Radfahren gibt es da aber auch einen ideologischen Zusammenhang, schließlich ist Mod eine Working-Class-Kultur mit eingebautem Widerspruch zwischen Individualismus und Team-Denken, einer starken Vorliebe für zweirädrige Vehikel und äh... Amphetamine.
Letzteres ist in Sachen Radfahren hoffentlich nicht Teil jenes Lifestyle oder jener Subkultur, von der Bradley Wiggins so gern spricht. In diesem Fall besser Clean living under difficult circumstances, wie einst Pete Meaden das Mod-Leben definierte, der allerdings sicher keinen Doping-Test bestanden hätte.
So, und jetzt setz' ich mich mit einem Krug Pimm's vor den Fernseher und sehe mir den ersten Tour de France-Gewinner der Geschichte an, zu dessen Gitarrensammlung ein ersteigerter Bass aus dem Nachlass des John Entwistle gehört. Wir sehen uns auf der "Schonseliiiehsej".