Erstellt am: 20. 7. 2012 - 14:18 Uhr
Die beschnittene Debatte
Diese Deutschen! Jetzt greifen sie in das Menschenrecht der freien Religionsausübung ein. Das Kölner Amtsgericht hat Ende Juni entschieden, dass religiös motivierte Beschneidungen von Kindern selbst unter Einwilligung der Eltern Körperverletzung durch den Operateur ist. Das Selbstbestimmungsrecht des Kindes wird verletzt und Eltern müssten abwarten, bis das Kind alt genug ist, diese Entscheidung selbst zu treffen.
Seitdem wird heftig darüber diskutiert, ob diese Entscheidung gerechtfertigt ist, ob sie irgendeine Form von Diskriminierung beinhaltet, was sie für Folgen haben wird. Und das Urteil wird angesichts der unbestimmten Rechtslage in Österreich auch hier diskutiert: Religiös motivierte Zirkumzisionen werden werden von etlichen Ärzten und den vier österreichischen Mohelim, dafür ausgebildeten Beschneidern, die nicht unbedingt Mediziner sein müssen, durchgeführt. Ganz klar ist nicht, ob das legal ist.

Wikicommons/Lamilli
Nachdem aus religiösen Gründen im Judentum und im Islam beschnitten wird, waren in der öffentlichen Debatte schnell auch Antisemitismus- und Antiislamismus-Vorwürfe zu hören.
Henryk M. Broder beschränkt sich in einem Kommentar für den Standard auf das Judentum, arbeitet pointiert antisemitische Vorurteile rund um Beschneidungen auf und nennt die Diskussion eine "pornografische Debatte". Er stellt zwar die Zusammenhanglosigkeit zwischen dem Urteil der Kölner Richter und antisemitischer Propaganda außer Frage, doch sein Kommentar selbst ist pure Polemik:
"Nun, der erste Eingriff in die Rechte eines Kindes ist der Moment, in dem es gezeugt wird. Bis jetzt hat man noch kein Kind gefragt, ob es auf die Welt kommen will. Ob es getauft, in den Kindergarten geschickt, mit Bio-Brei ernährt und eingeschult werden möchte. Die ganze Kindheit ist eine einzige Missachtung der natürlichen Kindesrechte."
Na, da ist ja wohl ein Unterschied zwischen Ernährungsfragen (auch da wird sich der Staat einmischen, wenn ein Kind zum Beispiel unterernährt ist) und einer medizinisch nicht notwendigen Operation. Die Vorhaut ist nämlich - wie auch der Blinddarm - kein sinnloses Überbleibsel der Evolution.
Ähnliches ist auch in einem - sonst überaus klugen - Kommentar von Floris Biskamp in der Jungle World zu lesen. Der Autor geht ganz besonders auf die "Intaktivisten" ein, die in den Vereinigten Staaten unter anderem mit plump antisemitischen Comics für intakte Vorhäute werben. Auch er wird ähnlich polemisch wie Broder:
"Die in Judentum und Islam vorgenommene Beschneidung ist nüchtern betrachtet eine Unannehmlichkeit, die man den Jungen ersparen könnte, sie zieht aber bei sachgemäßer Operationshygiene und Narkose weder gesundheitliche noch sexuelle Beeinträchtigungen nach sich. Sie kann getrost unter die zahlreichen Entscheidungen eingereiht werden, die Erziehungsberechtigte für ihre Kinder treffen müssen und die deren späteres Leben irreversibel beeinflussen: Das betrifft die Ernährung, die Wahl der Schule, den Medienkonsum, die kieferorthopädische Behandlung und so weiter. Irgendwo in diesen Katalog gehört die Frage der Beschneidung von Jungen - und nicht unbedingt an die vorderste Stelle."
Es ist unbestritten, dass die Eltern eines Kindes dessen Leben radikal beeinflussen. Aber sie sind in den Beeinflussungsmöglichkeiten ja nicht uneinschränkt. Und wo eine der Grenzen des Erziehungsrechtes liegt, hat das deutsche Gericht nun festgestellt. Biskamp stellt die Entscheidung des Gerichtes, es handelt sich bei einer Zirkumzision um eine "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit" in Frage.
"Ob sich diejenigen, die das Kölner Urteil als »wegweisend« und als Erfolg für die Freiheit muslimischer und jüdischer Jungen feiern, je die Frage gestellt haben, warum sie so wenig Unterstützung von den Betroffenen erfahren?"
Ich bin weder Jude noch Muslim, aber ich bin beschnitten. Das verleiht mir die Position, über Beschneidung zu schreiben, ohne einen Gott im Hinterkopf zu haben, was bei dieser Debatte von Vorteil ist. Es lässt sich nicht mehr genau eruieren, wann meine Beschneidung durchgeführt worden ist, ich war meiner Mutter zufolge aber höchstens drei Jahre alt. Es ist jedenfalls eine der ersten absolut klaren Erinnerungen - und keine angenehme: Ich kann mich an einen gekünstelt scherzenden Pfleger namens Franz erinnern, der mich auf dem Rollbett in den Operationssaal gebracht hat, an Augenpaare über grünen Mundschutzen, an den unwirschen Anästhesisten mit der runden Brille, der mit mir über die Entfernung der Narkosemaske vom Gesicht gestritten hat, an den süßlichen Gestank des Narkosegases, an meine Angst. Und danach: Wie ich zu Hause am Klo vor Schmerzen kaum pinkeln kann.
Ich lebe ganz gut ohne Vorhaut, ich hadere nicht mit ihrer Abwesenheit. Aber ja, das war definitiv eine "schwere und irreversible Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit." Ich würde meinen Sohn nicht beschneiden lassen, wenn es dazu keine medizinischen Gründe gibt.
Das Verbot von Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland mag den Ärzten Rechtssicherheit bringen, es birgt aber trotzdem eine Menge Probleme: Von Beschneidungstouristen in Länder, in denen es keine rechtlichen Probleme, dafür hygienische Mängel gibt, bis zur unsachgemäßer Operation im Hinterzimmer. Und selbst wenn erst der mündige Jugendliche sich aus freien Stücken zu der Operation entscheidet: Der Druck seiner Eltern und Großeltern wird dann wohl ähnlich groß sein, wie jener auf Jugendliche in katholischen Familien, sich doch auch firmen zu lassen. Da werden die desinteressierten Kinder gerne mit Uhren, Fahrrädern oder gar Bordellbesuchen bestochen.
Die religiösen Riten lassen sich also nicht so einfach wegurteilen. Aber für die, die das noch nicht mitbekommen haben: Das war auch gar nicht die Intention des Kölner Amtsgerichtes.