Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Colours of Ostrava Festival"

Susi Ondrušová

Preview / Review

15. 7. 2012 - 13:36

Colours of Ostrava Festival

Mit Blick auf Hochofen und Winderhitzer. Auch dabei: Antony Hegarty, Animal Collective, Flaming Lips und Mogwai.

Wer den Wien-Zug nach Polen nimmt, sitzt im Sobieski-Zug und fährt 10 Kilometer vor der polnischen Grenze in der tschechischen Stadt Ostrava ein, mit knapp 300.000 BewohnerInnen die drittgrößte Stadt der Republik. Im 19. Jahrhundert Zentrum der Kohle- und Stahlindustrie, an die heute noch das Bergbaumuseum und die Feinstaubwerte erinnern. Aber auch bekannt für den Komponisten Leos Janacek, der 1928 hier verstorben ist und nach dem heute das Philharmonie-Orchester benannt ist.

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Im Stadtteil Vítkovice, am Gelände, wo bis in die 90er Jahre Kohle gefördert, Koks und Rohgas erzeugt und Stahl veredelt wurde, hat am Wochenende das Colours Of Ostrava Festival stattgefunden. Das Festival selber existiert seit 2002 und ist in den letzten Jahren hauptsächlich durch ein Crossover-Worldmusik-Programm aufgefallen. Das hab ich jedenfalls in Erinnerung von meinem ersten Besuch 2004, wo ich Rachid Taha und Natascha Atlas, aber auch Bob Geldof gesehen habe.

Das Melt Festival Osteuropas

Im elften Festivaljahr ist die Grundprogrammierung noch immer der musikalischen Vielfalt und ihrem Genremix aus allen Teilen der Welt verschrieben. Mit einigen Ausreißern im Lineup, die mich für eine Fahrt im Sobieski-Zug begeistern konnten. Vor allem in puncto Location kann das Festival zum Beispiel mit der beeindruckenden Bagger-Kulisse vom Melt-Festival mithalten.

Als Festivalbesucher kann man beim Colours zwischen angerosteten Bau-Monstren von den einzelnen Bühnen zu den Zelten wanken oder Führungen machen, um sich das Innenleben der Industriebauten näher anzuschauen. Prinzipiell ist alles außer flaches Flugfeld-Areal immer ein Plus für das Flair einer Festivallocation. Festes Schuhwerk war allerdings noch nie so empfehlenswert, denn selbst wenn man hier wenig Gefahr läuft im Schlamm zu versinken, die Flächen sind mit Steinen gepflastert, die in besten Momenten an den letzten Urlaub auf der schildkrötenfreien Seite von Zakynthos erinnern, in schlechteren Momenten aber an Wandermissionen auf fremden Planeten.

Immer die Besten: Mogwai

Die schottischen Postnoise-Rock-Helden Mogwai haben sich beim Soundcheck mit Blick auf die Turmlabyrinthe ganz wohl gefühlt. Tatsächlich könnte man den Industrie-Flair von Ostrava mit dem von Glasgow vergleichen. Minus die Mackintosh-Architektur halt.

Bei der Pressekonferenz mit Mogwai vor ihrem Konzert am ersten Festivaltag erkundigt sich die versammelte Journaille danach, was Stuart Braithwaite denn tun würde, würden Mogwai heute nicht als Headliner auf dem Festival spielen. (Die Band ist nach der erkrankten Björk eingesprungen.) "Probably walk my dogs", antwortet er. Und wie schafft es die Band ihren Sound weiterzuentwickeln: "That's the enjoyment of making music, trying to learn something new, it's part of being a musician. If there ever was a point where you'd say there's nothing else to go, you'd have to do something else for a job!"

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Mogwai werden am 19. August beim Poolbar Festival auftreten.

Und wie steht es um das angekündigte Remix-Album von Mogwais "Hardcore Will Never Die But You Will"-Werk bzw. hat die Band durch die RMX-Arbeit neue Facetten an den Songs kennengelernt?: "A lot of the remixes used elements on the songs that we maybe didn't have very prominently on the finished record so it's turned out pretty well. It's gonna be an interesting record!"

Das Konzert selber ist wie schon meine unzähligen Mogwai-Konzerte davor eine Wucht. Die Band ist ungewöhnlich weit hinten auf der riesigen, nach einer Bank benannten Hauptbühne platziert. Gelangt man in die erste Reihe, verliert man jeglichen Sichtkontakt und hat das Gefühl, unter der Bühne zu stehen, und die Band spielt im ersten Stock ein Privatkonzert für die eigenen Gedankengänge. Jedenfalls sehr surreal alles. Bis auf ein paar "Thank You"s sagt die Band kein Wort und verschwindet nach 90 Minuten orchestriertem Wahnsinn mit einer Feedbackschleife und einem Winken von der Bühne.

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So schaut's hier aus.

Tag Zwei mit Antony& The Johnsons

Am zweiten Tag versammeln sich doppelt so viele Menschen wie zu Mogwai und Rufus Wainwright zusammen zu Bobby McFerrin, den das Publikum frenetisch abfeiert. Das Colours of Ostrava hat bis zum Einbruch der Dunkelheit das Flair eines riesigen Stadtfestes. Man sieht Jugendliche, Eltern mit ihren Kindern und Großeltern über die Plätze wandern.
Die familiäre Picknickdecken-Idylle wird einzig durch den Regen getrübt.

Mein persönliches Highlight ist nicht das Konzert von Bobby McFerrin, während dem ich unter einem Schirm sitze und die unpassendste Lektüre für den Urlaub bei den Großeltern konsumiere - nämlich "The Dirt", die Biographie von Mötley Crüe - sondern das Konzert von Antony & The Johnsons.
Am ersten Festivaltag hat Rufus Wainwright bei seinem Konzert schon ein Loblied auf Leos Janacek, den in Ostrava verstorbenenen Komponisten, gesungen. Antony Hegarty sollte an diesem Abend mit dem Leos Janacek Philharmonie-Orchester auftreten.

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Und auch so.

Beim Donaufestival im April hat Antony Hegarty im FM4 Interview erzählt, Festivalkonzerte absolviert er in kleiner Besetzung, nämlich mit seinem Pianisten und Dirigenten. Bei jedem Tourstop, ob Istanbul oder Ostrava, engagiert er ein lokales Orchester, mit dem er sein Konzert-Repertoire einstudiert. Wahrscheinlich hab ich zu wenig Antony & The Johnsons Konzerte gesehen, um beurteilen zu können, ob der Musiker nun mehr ergriffen war als sonst bei seinen Konzerten, aber egal, er war es.

Nach dem Donaufestival-Erlebnis, wo man einen bouncenden Antony beobachten konnte, wird mir dieses Konzert mit einem in schwarzen Schals umhüllten, sich komplett in der Melancholie verlierenden Antony noch lange in Erinnerung bleiben.

Spätestens beim zweiten Song, nämlich der Orchester-Version von "Cripple And The Starfish" war ich hypnotisiert und erwachte nur bei Antonys Reden zur Umweltschutzlage der Nation und seinem Aufruf die Mutter Erde zu schützen. Dankbarkeit in vielen Reihen bis auf die hinter mir, wo die Festivalbesucher lange über das Lineup im DJ-Zelt diskutieren wollten. Nach Beyonces "Crazy In Love" sind sie entweder verstummt oder tatsächlich abgewandert.

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Meine Aussicht.

Und den Flaming Lips

"He's a weirdo! I'm more of an outward-weirdo and he's more of an inward-weirdo. But I'm definitely one of his brothers!", meint ein aufgekratzter Wayne Coyne bei der Festival-Pressekonferenz, als er hört, dass er mit den Flaming Lips auf der gleichen Bühne und zwar nach Antonys Gig auftreten wird. Er freut sich sichtlich auf das Konzert, was man später auch auf seinem sonst so psychedelischen Twitterfeed nachlesen kann.

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Waynes Aussicht.

Kompatibel sind die beiden Shows allemal, denn bei den Flaming Lips geht es auch um Magie. Das Set der Flaming Lips hat auch etwas Grundmelancholisches und Nachdenkliches, das allerdings nur kurz aufblitzt und dann sofort mit einer Confetti-Kanone zum Mond geschossen wird.

Die ausgeflippte Bühnendeko und das so typische Flaming-Lips-Bühnensetting besteht aus eben buntem Confetti, Luftballons, trippy Videos, einem Alien, einem im Luftballon auf den BesucherInnenköpfen rumwandernden Wayne Coyne und gecasteten Festivalbesucherinnen, die am Bühnenrand tanzen und der Menge einheizen.

Der Bildungsauftrag der Flaming Lips besteht darin der Menge einen Rahmen zu bieten, in dem ein aus sich Rausgehen und Ausflippen möglich ist. Alles andere Ernste und Nachdenkliche wird schon früh genug über uns hereinbrechen.

"For us I think the thing that worked best is that we have been so isolated against everything else that we didn't know what was good or what was bad and we just did what we liked and within that we had a lot of powers because even if you fail at least you could say "I do what I like!" When you see the Flaming Lips I think that path gets a light and you say "Oh they're doing it! Maybe I can do it!" And that's what it is!"

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Sie sind tatsächlich eine gute Festivalwaffe, um einen langen Konzerttag zu beenden. Wenn man nicht gerade wie ich auf der Suche nach dem einen Stand mit den karamelisierten Erdnüssen ist. Willi Wonka lässt grüssen.

Tag Drei mit Alanis und Animal Collective

Während ich das hier tippe, wandert der britische Fink durch die Hotellobby und hält nach seinem Festivalshuttle Ausschau. Er wird heute zwischen Staff Benda Bilili, einer unglaublichen Rumba-Punk-Folk-Band aus dem Kongo auftreten, die sich u.a. gegründet hat, weil kein Musiker aus Kinshasa mit den an Polio erkrankten Musikern zusammen spielen wollte. Staff Benda Bilili müssen längst nicht mehr die Straßen von Kinshasa bespielen. Zuletzt versuchte mir zum Beispiel Joan Wasser aka Joan As Police Woman den Bandnamen zu buchstabieren. Damon Albarn hat sicher auch eine Meinung zu ihnen.

Nach Fink treten Parov Stelar auf und als Headlinerin heute ist Janelle Monáe an der Reihe. Man darf sich wünschen und hoffen, dass sich am letzten Tag beim allerletzten Act vom Festival mindestens genauso viele Menschen vor der Bühne versammeln, wie bei Alanis Morrisette gestern Nacht.

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Ein halber Double Rainbow geht noch.

Nachdem das Festival eben ein Familienereignis ist und Alanis Morrisette sehr bekannt ist hierzulande, hat nur etwa ein Viertel der Menge bis 1 Uhr früh ausgeharrt, um sich die Band anzusehen, die nach der kanadischen Popmusikerin dran war: Animal Collective. Im Festivalsommermonat Juli der einzige Auftritt der Band neben dem Balaton Sound Festival. Und was für einer. Die Perfektion der Soundteppiche konnte nur von einer Szene abgerundet werden: Es ist drei Uhr früh und aus einem Partyzelt dampft es und staubt es, weil einige viele rastlose FestivalbesucherInnen zu "Girls" von den Beastie Boys tanzen.

Schön. Einfach nur schön.