Erstellt am: 3. 6. 2012 - 14:22 Uhr
Wir vertragen alles außer Niederlagen und Erfolge
Der Bundesparteitag der Linken am Wochenende war von einem Machtkampf zwischen dem linken Flügel und den überwiegend ostdeutschen Reformern geprägt. So sehr die Partei auch den Eindruck vermeiden wollte, steckt sie mitten in einem offenen Richtungskampf. Wohin solls gehen?
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Bundesfraktionschef Gregor Gysi war sich der Situation bewusst und hat vor einer möglichen Spaltung der Partei gewarnt: "In unserer Fraktion herrscht auch Hass", hat er in Göttingen vor seinen Parteikollegen festgestellt.
Gestern wurde schließlich eine neue Doppelspitze der Linken gewählt, bestehend aus dem baden-württembergischen Landeschef Bernd Riexinger vom linken Flügel und die sächsische Bundestagsabgeordnete Katja Kipping. Damit hat sich der linke Flügel gegen die ostdeutschen Reformer durchgesetzt. Doch der Ausrichtungsstreit innerhalb der Partei dürfte weitergehen.

DPA / BERND VON JUTRCZENKA
Vor dem Parteitag hatte ich die Möglichkeit, mit Gregor Gysi ein Interview zu führen. Darin beklagt er, wie schwer es ist, die beiden unterschiedlichen Lager zusammenzuführen und wie sehr sich die Stimmung der Linken seit dem Erfolg 2009 verändert hat. Aber auch direkte Demokratie, die Linke in Griechenland und die Piratenpartei waren Thema:
Abgesehen von der Affinität zum Netz haben die Piraten auch die direkte Demokratie auf ihre Fahnen geheftet, wie es in Österreich auch zum Teil die FPÖ vertritt, im Hinblick auf die Schweiz, die sehr oft und über Details abstimmt. Was halten sie davon?
Wir brauchen mehr direkte Demokratie, dafür streiten wir schon seit ewigen Zeiten. Es gibt ja in Deutschland keinen Volksentscheid auf Bundesebene, nur auf Kommunal- oder Landesebene. Das muss sich ändern. In Berlin haben wir das auch eingeführt, mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Meine Erkenntnis ist folgende: Immer wenn du Menschen Verantwortung gibst, verhalten sie sich auch verantwortlich. Wenn du sie nicht entscheiden lässt, werden sie auch in ihren Vorstellungen immer merkwürdiger. Als etwa die französische Bevölkerung plötzlich über die europäische Verfassung entscheiden durfte, hat sie sie auch gelesen – ich glaube in Deutschland werden sich die wenigsten diese Mühe gemacht haben, weil sie ja sowieso "nüscht" zu entscheiden hatten, diesbezüglich.
Wir brauchen tatsächlich mehr direkte Demokratie, aber immer in Ergänzung zur Parlamentarischen, wir brauchen auch die repräsentative Demokratie. Aber man muss die Bevölkerung stärker einbeziehen, als das bisher der Fall war. Dafür streiten wir, wo wir können, aber auf Bundesebene ist das sehr schwer, weil die meisten glauben, dafür müsste man das Grundgesetz ändern, und dafür braucht man eine Zweidrittelmehrheit, also die Union, und die ist auf Bundesebene bislang strikt dagegen.
Ein Gedanken-Experiment: Sie haben einen Schwerverbrecher oder Kinderschänder auf den Titelseiten des Boulevards, wir stimmen per E Mail ab, was man mit dem machen soll - schon haben wir die Todesstrafe am Hals. Es gibt durchaus das Argument im Zusammenhang mit der Direkten Demokratie, dass man die Menschen auch vor sich selber schützen muss. Was sagen sie dazu?
Also ich weiß, dass es dazu einmal einen Volksentscheid in Washington gab und die Mehrheit klar gegen die Todesstrafe war, das hat mich wieder optimistisch gestimmt. Ich habe da einen Vorschlag, wie wir die Bundestagswahlen attraktiver machen können, indem wir sie mit folgendem Vorgang verbinden: Jede Fraktion im Bundestag darf eine Frage an die Bevölkerung stellen, die mit "Ja" oder "Nein" zu beantworten ist. Diese Frage muss man innerhalb einer Frist, sagen wir ein Jahr vor der Bundestagswahl, formulieren. Dann geht sie zum Bundesverfassungsgericht, das in einer kurzen Prüfung erklären muss, dass beide Antworten grundgesetzgemäß sind. Wenn eine Antwort nicht grundgesetzgemäß ist, fällt die Frage aus, dann darf die Fraktion nochmal eine Frage stellen. Ist die wieder nicht grundgesetzgemäß, sind sie draußen. Damit wäre etwa die Frage nach der Todesstrafe ausgeschlossen, denn die Antwort "ja" wäre im Fall der Todesstrafe immer grundgesetzwidrig und dürfte nicht gestellt werden.
Nun stellen sie sich mal vor, bei einer Bundestagswahl müsste die Bevölkerung über fünf Fragen entscheiden, zum Beispiel über die Frage, ob wir die Soldaten aus Afghanistan unverzüglich abziehen, ja oder nein. Das Interessante ist, das das viel inhaltsreicher werden würde. Ich müsste auf jeder Kundgebung auch zu jeder Frage der Union Stellung nehmen, Frau Merkel müsste zu unserer Frage Stellung nehmen, und die Leute hätten mehr Erfolgserlebnisse. Das ist entscheidend: Du wählst eine Partei, die verliert, dann bist du ein bisschen frustriert, aber: Du hast dich in drei Fragen durchgesetzt, dann bist du wieder politisch aufgebaut. Die Wahlen wären attraktiver, die Bevölkerung wäre beteiligt, und wenn sie nur wegen der fünf Fragen hingeht, füllt sie auch noch den eigentlichen Wahlzettel aus, so wäre auch die Wahlbeteiligung höher. Das ist doch keine schlechte Idee, oder?
In Griechenland sind die Leute ja zur Wahl gegangen, und haben eine linke Partei fast in die Mehrheit gewählt. Sie haben Alexis Tsipras getroffen, nicht Frau Merkel, sondern sie: Wie schätzen sie die Lage ein? Was ist, wenn dieser Mann an die Macht kommt, nach der nächsten Wahl?
Ich glaube dass er insofern vernünftig ist, als er klipp und klar gesagt hat, sie wollen sie Schulden zurückzahlen, sie wollen Steuergerechtigkeit herstellen, sie wollen die Steuerhinterziehung wirksam bekämpfen, das sind seine wichtigsten Schritte. Er will die Sparpolitik so nicht fortsetzen. Das geht auch nicht, denn es ist nicht zu akzeptieren, dass für die Krise ausschließlich die Rentnerinnen und Rentner und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haften, und die, die das ganze angerichtet haben überhaupt nichts zu bezahlen brauchen.
Ich sag’s nochmal: In Griechenland gibt es 2000 reiche Familien, denen gehört 80 Prozent des Vermögens. Die zahlen keine Steuern. Ich bitte sie! Das ist doch einfach indiskutabel. Da hat Tsipras völlig recht, dass er das korrigieren will. Wenn er regieren sollte, wird er auch mit der EU verhandeln müssen etc. und ich halte es ja auch für wichtig, dass Griechenland im Euro bleibt. Ich sage das alles nur aus dem Grunde, weil Tsipras zum Teil böswillig falsch eingeschätzt wird, er ist ein besonderer, ein intelligenter und auch ein fantastisch aussehender Politiker, was ja auch selten ist in der Politik, wenn ich das mal sagen darf (lacht).
Sie haben die 2000 griechischen Familien erwähnt: Deren Vermögen liegt zu einem großen Teil wahrscheinlich gar nicht in Griechenland, sondern in der Schweiz, in Monaco, wo auch immer. Hier müsste, wenn Tsipras das Geld haben will, Europa mithelfen, Steuer-Oasen zu schließen?
Wir müssen einfach diesbezüglich schlicht US Recht einführen. In den USA ist es so, dass die US Bürgerinnen und Bürger natürlich wohnen dürfen wo sie wollen, sie können ihr Vermögen hin bringen, wohin sie wollen. Sie müssen ihre Steuerbescheide von dort, wo sie wohnen oder wo ihr Vermögen liegt, an ein einziges dafür zuständiges Finanzamt in den USA schicken. Die schauen nach, ob sie in den USA hätten mehr bezahlen müssen, wenn ja, bekommen sie hinsichtlich der Differenz ein Steuerbescheid. Die sagen: So lange ihr US Bürger seid, haften wir für euch, wir müssen euch in bestimmten Situationen helfen, also müsst ihr Steuern bezahlen. Was ist daran so schlimm? Warum führen wir das nicht in Europa ein? Österreich könnte das gut gebrauchen, Deutschland könnte das gut gebrauchen.
Der FM4 Interview Podcast: Gespräche mit KünstlerInnen, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen in voller Länge
Ich kenne reiche Deutsche, die gerne in Monaco wohnen, können sie alles gerne tun, aber: Sie bleiben steuerpflichtig. Wir müssen die Steuerpflicht an die Staatsbürgerschaft binden. Das brauchen wir in ganz Europa, aber in besonderem Maße brauchen wir das in Griechenland. Dann können die ihr Vermögen haben, wo sie wollen, aber wenn sie es falsch angeben, begehen sie eine Straftat und können ins Gefängnis kommen, also sind sie angehalten, ihr Vermögen korrekt anzugeben, und darauf eine Steuer bezahlen - na und? Mein Gott, die haben ja mehrere Millionen, wenn sie darauf ein paar Steuern bezahlen, was soll daran eine Katastrophe sein? Es würde einfach ein bisschen mehr soziale Gerechtigkeit bringen, die wir dringend benötigen.
Das ganze Interview mit Gregor Gysi
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