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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

31. 5. 2012 - 09:23

"How do you feel about Europe?"

Allo Darlin' kommen nach Österreich und erzählen dem alten Kontinent, was er mit ihnen angestellt hat.

Stop me if you've heard this one before, aber hab ich eigentlich schon erzählt, wie ich vor acht Jahren nach Canterbury zog und dort vier Monate brauchte, bis ich mich dazu durchringen konnte, im damals einzigen brauchbaren Musiklokal einen Gig anzusehen?

Es war ein ehemaliger viktorianischer Ballsaal, und die beiden Acts des Abends waren der auf zutiefst englische Art exzentrische Songwriter Luke Smith und ein Duo namens Hexicon, das mich so beeindruckte, dass ich gleich ihr selbstgepresstes, in einer kleinen Garage in einem Dorf in East Kent aufgenommenes Mini-Album zulegen musste.

Der schmälere hieß Paul, der breitere (aber neben Paul sieht jeder breit aus) hieß Mike. Wir sollten gute Freunde werden und im Winter 2006 sogar gemeinsam musizierend durch Österreich fahren. Hexicon waren begeistert von der für britische Verhältnisse unüblichen Freundlichkeit, mit der Bands dort behandelt wurden. So was sollte man bald wieder machen, fanden sie...

Allo Darlin Deko "Album of the Month" am Eingang zum Rough Trade Shop

Robert Rotifer

Einmal kurz vorgespult bis zur Gegenwart, und Mike Collins und Paul Rains, schauen mir beim Mailsdurchwühlen und Blogs-Durchkämmen andauernd vom Bildschirm aus entgegen:

„Album of the Month“ oder ähnliches steht meistens zu lesen neben ihren Gesichtern, bzw. denen von Elizabeth Morris und Bill Botting, der australischen Hälfte der Band namens Allo Darlin', in der Mike und Paul heutzutage Schlagzeug und Gitarre spielen.

Allo Darlin

Fortuna Pop!

Paul, Bill, Liz, Mike

Was dazwischen lag, kann man ziemlich genau in meiner Story vom letzten Jahr nachlesen (Ha, seht ihr, wie schlau ich das jetzt angestellt hab?), abzüglich jenes eigentlich hauptsächlichen Aspekts der Existenz von Allo Darlin', den nur die Band selbst kennt, nämlich ihre unermüdlichen Fahrten durch Europa bzw. letztes Monat (gemeinsam mit den Wave Pictures) wieder durch die USA.

"Europe", das kürzlich erschiene neue Allo Darlin'-Album wurde großteils auf diesen Reisen geschrieben, oder ist zumindest von ihnen inspiriert, daher auch der Titel.

Absurderweise hab ich immer noch bloß die ungemasterte Version davon bei mir, die Mike vor einem Dreivierteljahr aus dem Studio mitgebracht hat. Das ist lang genug her, um beim Zuhören die Befangenheit zu verlieren.

Ich suche mir also die alten Files heraus, setze die Kopfhörer auf, und Elizabeth & Co erzählen mir ihre Geschichten in einem Sound, der seine Treue zum unverfälschten Prinzip des unverzerrten Gitarrenpop nicht nur sehr ernst, sondern auch sprichwörtlich genau nimmt.

Denn im Vergleich zum früheren Modell von Allo Darlin' (Elizabeth Morris und ihre Songs, begleitet von Leuten, die im Studio vorbeischauen), ist „Europe“ das Produkt einer Band als Uhrwerk. Hier hat jedes Instrument seinen präzisen Part, jeder Ton kennt seinen Platz, da ist kein Fett und kein unkontrolliertes Schlenkern erlaubt und – man mag das kritisieren oder genießen – kein unerwarteter Ausbruch.

Allo Darlin' spielen

am 1. Juni im Cuntra Club in Graz
am 2. Juni im Röda in Steyr
am 3. Juni im Rhiz in Wien
am 4. Juni im Weekender in Innsbruck

Ihr Album „Europe“ ist bei Fortuna Pop! erschienen.

Wenn im Titeltrack „Europe“ die Streicher einsetzen, tun sie das fast verschämt im Hintergrund, und diese Zurückhaltung lässt auch den nötigen Freiraum für Elizabeths unaufgeregte Vocals, gesungen im Tonfall der besten Freundin, die dir unter vier Augen die Fragen stellt, die sie schon immer stellen wollte.

„There's a question I've been meaning to ask you. How do you feel about Europe? Does it surprise you on the continent you don't feel the same? Cause I've been here for days.“

Es ist das Lebensgefühl (Verzeihung die Verallgemeinerung) einer Generation junger Leute, die auf der vergoldeten Seite der Welt von einem Land zum anderen und von einem Temping-Job zum nächsten bugsiert werden und möglicherweise zwischendurch mit ihrer Band auf Tour durch Europa oder die USA fahren. Und wenn sie zurückkommen, haben sie immer noch kein Geld verdient.

„This is the year we'll make it right“, singt Liz optimistisch in „Northern Lights“, „They could name a star after you and you'd still be complaining“, singt sie anderswo. Und dann stirbt schon wieder irgendwo ein wichtiger Popstar von gestern, und man geht mit „my sweet friend“ zum Trauern in den Park.

Einmal schickt Liz ihrem Boyfriend (oder ihren Eltern?) eine Postkarte aus Berlin mit einem fetten Mann drauf, der eine Wurst isst. Dann sieht sie wieder durchs Fenster einen gefrorenen See in Schweden.

Wie es sich in Europa manchmal zuträgt, spielt der DJ im Hintergrund schon wieder einen schrecklichen Song, aber gottseidank gibt es im Bandbus eine Kassette mit „Tallulah“ (dem Go-Betweens-Album) drauf.

Das erinnert Liz wiederum zwangsläufig an ihr Zuhause in Australien, von wo aus sie vor ein paar Jahren in die nördliche Hemisphäre gezogen ist, um dort was aus ihrer Musik zu machen.

Und sie denkt an die alten Freunde, die sie vermisst und die neuen, die sie vermissen würde, wenn sie zu den alten zurückginge.

Gastronomische Empfehlung nebenher: Drummer Mike und seine Freundin Georgia betreiben jetzt ein Lokal in Ramsgate namens Caboose mit selbstgekochtem Essen, wo hin und wieder auch Bands zu sehen sind. Ist einen Ausflug wert.

Mike Collins in der Caboose

Robert Rotifer

www.caboosecafe.co.uk

„I'm wondering if I've already heard all the songs that mean something“, singt sie in dieser letzten noch erlaubten (aber darüber diskutieren wir ein andermal) Ukulelennummer „Tallulah“, und natürlich schwingt darin die Frage mit, ob dieser Song, den wir gerade hören, folglich einer der potenziell überzähligen ist, die nichts mehr bedeuten, weil die Welt sie nicht mehr braucht.

Es ist also eine einigermaßen kokette Zeile, deren Selbstironie zeigt, dass Elizabeth Morris sich bewusst in den Kanon der wissenden Pop-Lyrik hineinschreibt.

Allerdings, wäre „Europe“ vor fünf Jahren erschienen, hätte man noch behaupten können, diese Platte sei die Selbsttherapiebeschallung einer wehleidigen Generation.

Aber deren Lebensumstände haben sich seither bekanntlich verändert, und die Melancholie hat ihren Grund, vielleicht sogar mehr Grund denn je, seit es das Format des modernen Popsongs gibt (auch das müssen wir ein andermal ausdiskutieren).

„You said a record is not just a record / Records can hold memories / All these records sound the same to me / And I'm full up with memory“, singt Liz im Schluss-Song „My Sweet Friend“.

Na ja, für eine Platte mehr ist schon noch Platz.