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Daniela Derntl

Diggin' Diversity

24. 5. 2012 - 18:13

"Weil meine Mutter neben mir lag und mir nicht half"

Solche und andere erschütternde Statements kann man auf dem Blog #ichhabnichtangezeigt lesen. Die Online-Initiative ermöglicht es Vergewaltigungsopfern, das Schweigen zu brechen, das die Täter schützt.

Dominik Strauss Kahn, Jürgen Kachelmann, Julian Assange. Drei prominente Männer, denen Vergewaltigung vorgeworfen wurde, und in allen drei Fällen wurde den Opfern unterstellt, eine Falschaussage gemacht zu haben:

„Sobald es um Vergewaltigung geht, wird sofort über die Falschbeschuldigungen gesprochen. Sogar von der Polizei, die von Zahlen um die sieben Prozent ausgeht. Und ich denk immer, Mensch, was ist mit den 93 Prozent. Das ist doch eine viel größere Sache. Bei anderen Delikten haben sie dieses Problem ja scheinbar nicht. Nur bei diesem Delikt nimmt der Falschbeschuldigungs-Verdacht so einen großen Raum in der öffentlichen Diskussion ein und das entmutigt die betroffenen Frauen. Viele zeigen gar nicht erst an, weil sie Angst haben, dass man ihnen sowieso nicht glaubt und sie es auch nicht beweisen können.“

Inge Kleine vom Münchner Aktionskreis gegen sexualisierte Gewalt hat mit vier anderen ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen die Online-Initiative #ichhabnichtangezeigt ins Leben gerufen. Nach Vorbild der englischen #Ididnotreport und französischen Twitteraktion #jenaipasportéplainte können Opfer von sexualisierter Gewalt auf dem Blog, auf Facebook und auf Twitter über ihre traumatischen Erlebnisse und die Gründe, warum sie nicht angezeigt haben, schreiben.

Rund um die Uhr passen die Initiatorinnen auf die Webseiten auf. Denn erstens sollen keine Trolle posten und wenn notwendig, wird auch redaktionell eingegriffen, wenn die Vergewaltigungen zu detailliert beschrieben werden. In solchen Fällen werden die Kürzungen mit eckigen Klammern gekennzeichnet, denn kein Opfer bzw. LeserIn des Blogs soll durch die Aktion retraumatisiert werden.

feministisches graffiti "no es no"

http://dondeques.tumblr.com/post/20770753058/spanish-feminist-graffiti

Die Initiative läuft nun seit Anfang Mai und bisher wurden um die 700 Statements gesammelt:

  • #ichhabnichtangezeigt, weil es in der Beziehung geschah. Nach außen waren wir das perfekte Paar. Für alle. Wer hätte mir geglaubt? Und ich denke, es könnte mir heute immer noch passieren.
  • #ichhabnichtangezeigt, weil meine Mutter neben mir lag und mir nicht half
  • #ichhabenichtangezeigt, weil ich vergessen wollte. Die daraus entstandene Schwangerschaft habe ich in der 8. Woche abgebrochen.
  • #ichhabnichtangezeigt, … weil ich mit 5 dachte, das ist normaler Umgang zwischen Vätern und Töchtern. … weil ich mit 12, als mir klar wurde, was da läuft, vor einem geladenen Revolver stand. … weil vor 30 Jahren, als ich mit 18 auszog, eine Anzeige nicht unbedingt zum Schutz des Opfers beitrug.
  • #ichhabnichtangezeigt, weil damals niemand von Kindesmissbrauch geredet (geglaubt) hat, schon gar nicht davon das es einem Jungen passiert.
  • #ichhabnichtangezeigt weil ich Angst hatte, vor einer Verleumdungsklage und weil ich mich nicht gewehrt habe.
  • ...
Feministisches Graffiti "1 in 4 Women you know have been raped!"

flick.com/jemsweb

Die Aktion wurde soeben bis Mitte Juni verlängert, danach sollen die gesammelten Beiträge der Polizei und Staatsanwaltschaft in Deutschland übergeben werden. Sie sollen zu diesem Schweigeklima Stellung beziehen. Und wenn es nach den Initiatorinnen geht, dann soll es in Zukunft auch leichter werden, bei sexuellen Übergriffen Anzeige zu erstatten. Weitere Forderungen: die Polizei-Beamten sollen besser im verständnisvollen Umgang mit traumatisierten Opfern geschult werden und auch die Täter sollten umfassender befragt werden:

„Wenn sich stärker verankern würde, dass die meisten dieser Übergriffe tatsächlich in Beziehungen passieren, dann könnte die Polizei auch den angeschuldigten Mann so detailliert befragen, wie die Frau. Nicht nur Frau fragen: 'Wo waren Ihre Beine, als Sie Nein gesagt haben', sondern vielleicht mal den Mann fragen: 'Hat die eigentlich Ja gesagt'“

Über die Dunkelziffer bei sexualisierter Gewalt kann nur spekuliert werden. Die Polizei in Bayern schätzt, dass zehn Mal Vergewaltigungen stattfinden, als (z.B. beim Frauennotruf, der Polizei,...) gemeldet werden. Und nicht alle gemeldeten Vergewaltigungen werden auch angezeigt. Eine Studie hat festgestellt, dass die Verurteilungsquote von angezeigten Vergewaltigern in Österreich gesunken ist. Es besteht also dringend Handlungs- und Aufklärungsbedarf. Vor allem muss mit den sogenannten „Vergewaltigungsmythen“ aufgeräumt werden: Immer noch existiert die Vorstellung, das der Vergewaltiger aus dem Busch springt und eine Frau überfällt. Die meisten Fälle passieren aber im privaten, familiären Umfeld. Inge Kleine vermutet dahinter den Wunsch der Gesellschaft, die Vergewaltigung als absolute Ausnahme zu verstehen, deshalb würde auch nach Ausreden gesucht:

„Naja, der Mann hat es nicht so gemeint, er konnte sich nicht mehr kontrollieren, die Frau hätte auch nicht so viel trinken sollen und vielleicht hat sie nicht deutlich genug Nein gesagt.“

Das Ziel der Initiative ist es, das gesellschaftliche Klima zu ändern. Wenn die Menschen sehen, dass sie nicht alleine sind, trauen sie sich vielleicht eher ihre Vergewaltiger anzuzeigen.