Erstellt am: 16. 5. 2012 - 14:34 Uhr
Atomkraft in Europa
In der EU sind derzeit 133 Atomkraftwerke in Betrieb. 62 davon gelten als sogenannte Hochrisikoreaktoren, das heißt sie stehen auf Erdbebenlinien, sind über 30 Jahre alt oder haben kein Containment, also eine Schutzhülle aus Stahlbeton, die bei einem Unfall das Austreten von Radioaktivität verhindern soll.
Diese Anlagen sofort abzuschalten, ist die wichtigste Forderung von "Meine Stimme gegen Atomkraft", einem EU-weiten Volksbegehren, das die österreichische Umweltorganisation Global 2000 gemeinsam mit anderen NGOs ab 1. Juni startet.
Rund um Österreich stehen in einem Umkreis von 150 Kilometern 12 Atomkraftwerke.
Ein zusätzliches Problem ist, dass viele AKWs in unmittelbarer Nähe von dicht besiedelten Gebieten stehen, die praktisch nicht evakuierbar sind. Als buchstäblich naheliegendstes Beispiel dafür führt Klaus Kastenhofer, Geschäftsführer von Global 2000, das Kernkraftwerk Mochovce unweit von Wien an: "Wenn in Mochovce ein Unglück passiert und der Wind ungünstig ist, werden meine Familie und ich keine Möglichkeit haben, die Stadt rechtzeitig zu verlassen."

Global 2000
Ausbau und Ausstieg
Gerade der slowakische Meiler gilt seit seinem Bau als Problemfall, da besagtes Hochdruckcontainment fehlt. Zudem sollen dort zwei weitere Reaktoren alter Bauart fertiggestellt und in den nächsten Jahren in Betrieb genommen werden. Das hat ein Gericht in Bratislava letzte Woche beschlossen, und damit die österreichische Unterlassungsklage gegen Mochovce endgültig abgewiesen.
Jedes Jahr kommt es in europäischen Atomkraftwerken zu tausenden meldepflichtigen Störfällen. Allein die 58 französischen Reaktoren brachten es im Jahr 2010 auf durchschnittlich drei pro Tag.
Eine Liste zu den schwereren gemeldeten Störfällen findet sich hier.
Die Katastophe im japanischen Fukushima hat also nicht überall zu einem Umdenken geführt, so wie in Deutschland, wo Angela Merkel den Ausstieg aus dem Ausstieg wieder rückgängig gemacht hat, und die Kraftwerke der Bundesrepublik bis 2022 schrittweise stilllegen will.
Im Gegenteil. Aktuell befinden sich in Finnland und Frankreich weitere Atomkraftwerke in Bau, und erst vor wenigen Wochen haben Großbritannien, Polen und Tschechien höhere Subventionen für die Kernenergie gefordert. Nuklearanlagen, so das Argument, erzeugten ähnlich wie Solaranlagen und Windräder emissionsarme Energie und könnten damit zum Erreichen der Klimaziele beitragen. Die Atomindustrie erhält daher aus dem heurigen EU-Budget 1,3 Milliarden Euro, auf alle übrigen Energieformen entfallen 335 Millionen, davon erhält die Windenergie 24 Millionen.
Auch hier fordert das Anti-Atom-Volksbegehren ein Umdenken, und verlangt Forschungsförderungen sowie Steuervorteile für AKW-Betreiber einzustellen. Atombrennstäbe sind in vielen EU-Ländern im Gegensatz zu anderen Energieträgern nämlich immer noch steuerfrei, die Kosten für die Lagerung von nuklearem Abfall übernehmen die SteuerzahlerInnen.
Alternative Energieformen

Global 2000
Zum Auftakt des EU-Volksbegehrens veranstaltet Global 2000 am 25. und 26. Mai das
Tomorrow Festival am Gelände des nie in Betrieb genommenen Atomkraftwerks Zwentendorf in Niederösterreich. Mit dabei sind mehr als 60 Acts, z.B. Patrice, The Wombats, Culcha Candela und Kreisky.
Global 2000 und seine Partnerorganisationen wollen mit dem europäischen Volksbegehren auch Lösungen durchsetzen, und fordern den kompletten Umstieg auf erneuerbare Energien bis 2050, verbindliche EU-Ziele beim Stromsparen und striktere Standards für Elektrogeräte. Würde man allein die Warmwassererhitzer in Europa auf den aktuell effizientesten Energieverbrauch umstellen, so Global-2000-Energieexperte Reinhard Uhrig, könnte man sofort 62 Atomkraftwerke stilllegen.
Um das Anti-Atom-Volksbegehren der EU-Kommission vorzulegen, müssen nun mindestens eine Million Menschen aus sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten unterschreiben. Dazu ist ab 1. Juni ein Jahr lang Zeit, wenigstens 14.250 Unterschriften müssen aus Österreich kommen.
Selbst wenn diese Marke erreicht wird, sind die EU-Behörden laut den geltenden Richtlinien für europäische BürgerInneninitiativen allerdings nicht zum Handeln verpflichtet. Sie könnten die Forderungen immer noch ignorieren, und müssten lediglich begründen, warum sie es tun.
Die Organisatoren sind jedoch zuversichtlich: "Wenn wir es schaffen, dieses Volksbegehren erfolgreich durchzuführen", so Reinhard Uhrig, "wird sich die EU-Kommission sehr schwer tun, diese Stimme der Bevölkerung zu ignorieren. Alles andere wäre auch ein katastrophales Zeichen, das kann sich die EU nicht leisten. Sie muss daher zu unseren Forderungen Farbe bekennen, und in Atomfragen künftig so vorgehen, wie es die Mehrheit der Bevölkerung will."