Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Beware the Flatterhand"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

15. 5. 2012 - 16:50

Beware the Flatterhand

Polemik anlässlich der 1. Wiener Popakademie: Von Adele bis zu den "LIPA cunts". Pop ist tot, aber gut gelernt.

Kollege Boris Jordan hat erzählt, dass heute der Gründer der 1. Wiener Popakademie bei FM4 vorbeigeschaut hat. Ob mir aus meiner englischen Perspektive irgendwas dazu einfällt, wollte er wissen.

Irmi Wutschers Artikel zur Popakademie

Und wie, hab ich gedacht, und in meinem Kopf hat sich die zugehörige Polemik gleich selbsttätig verfasst. Ungefähr so:

Unzählige Geschichten wurden schon geschrieben über die Brit School in Croydon, südlich von London, und ihre prominenten AbgängerInnen: Kate Nash, Katie Melua, Katy B, Adele, Amy Winehouse, Rizzle Kicks, The Kooks, Imogen Heap, Lynden David Hall, Jeremy Warmsley, Jessie J, Noisettes, The Feeling, Jamie Woon, einige von ihnen bereits wieder abserviert von der Industrie, die ihre Talente erkannt und verwertet hat, eine sogar schon gestorben.

Kate Nash beim Sziget Festival 2011

MTI / BALAZS MOHAI

Ich weiß nicht, wie gut oder schlecht die StudentInnen der Brit School auf die Tücken des Lebens als Star vorbereitet werden. Aber den Rest beherrschen sie perfekt: Wann immer Adele beim Singen die Hand aufs Herz legt oder die Flatterhand macht, um auf die soulful vibes hinzuweisen, die sie gerade verströmt, sieht mein geistiges Auge sie beim Ausdrucks- und Gestentraining einen fetten Einser kriegen.

Würde ja gern wissen, ob beim Indie-Modul Ukulele, Glockenspiel, Loop-Pedal und das unvermeidliche Standtom beim Sängermikro als Option angeboten werden. Und ob man auch vom Contemporary-Zweig in den Retro-Zweig und wieder zurück wechseln darf.

Ehrlich, als ich mir diese zwei Sätze jetzt gerade überlegt hab, war ich schon drauf und dran, einen kleinen Vortrag darüber auszuwerfen, wie hoffnungslos es ist, jemand zum Popstar zu trainieren, liegt dessen ganzer Freak-Appeal doch gerade in der Grundbedingung der per Definition nicht erlernbaren Unverwechselbarkeit, dem genauen Gegenteil akademischer Disziplin. Wenn überhaupt, dann auf die Art School bzw. Kunst-Uni ja, um die künstlerischen Strategien zu lernen, die man dann musikalisch zweckentfremden kann. Aber nach Lehrbuch Songschreiben, Solieren und Posieren, das kann gar nicht gutgehen.

Hätte ich gesagt.

Doch mit dem Herunterbeten solcher abrufbereiter Thesen mach ich mir natürlich bloß was vor bzw. verwechsle meinen Wunsch mit der traurigen Wahrheit.

Schließlich funktioniert die BRIT School ja gerade deshalb so hervorragend, weil die Industrie sich dort bloß die jüngeren Semester anzusehen braucht, um willigen, verwertbaren Rohstoff für eine britische Popstarfabrikation zu finden, die ohnehin schon lange keinen Bedarf mehr an exzentrischen DilettantInnen hat.

Das war ja früher immer das Problem an der Pop- und Rockszene in Österreich mit ihrem Überangebot an MusicalschülerInnen und Konservatoriumskanonen. Alles polierte Pop-PhilharmonikerInnen, die vor Professionalität strotzten und so genau wussten, wie alles gemacht gehörte, dass sie gar nicht erst auf die Idee kamen, auf eigene Ideen zu kommen.

Nicht zufällig wurde etwa in den 1980ern in Österreich das Fachblatt-Musikmagazin, in dem es um das technische "Wie" ging, unter MusikerInnen wesentlich mehr gelesen als die Musikpresse, die das "Was" verhandelte.

Katie Melua

DPA / HENNING KAISER

In der Zwischenzeit jedoch hat - auch unter dem Eindruck der Talenteshow-Scheiße der letzten Jahre - eine wahre Österreichisierung der Poplandschaft stattgefunden: Gut gelerntes Popmusikantentum wohin man schaut, heutzutage noch dazu mit gestählten Körpern (die BBC wiederholt seit einiger Zeit des Nachts Top of the Pops aus den Siebzigern, und die heute schockierend undenkbare, vergleichbare Toleranz des damaligen Mainstream gegenüber kosmetischen Unregelmäßigkeiten ist augenfällig).

Vor circa zwölf Jahren besuchte ich für einige Tage einen Freund, der damals am von Paul McCartney gegründeten Liverpool Institute of Performing Arts studierte, dessen aus der ganzen Welt (zumeist aus ziemlich gutem Hause) kommende ElevInnen überall in der Stadt liebevoll "LIPA cunts" genannt wurden. Und ich hatte - mit Ausnahme der deprimierenden Hinkelsteinlieferant-Silhouetten geschulterter Gig-Bags - gar keinen so schlechten Eindruck davon.

Was jener Freund und seine KollegInnen von Liverpool nach London mitnahmen, war nämlich nicht nur Fachwissen, das man genauso selber lernen kann und Diplome, die keiner braucht, sondern immerhin ein in der Studienzeit gebildetes Netzwerk, das ihnen später in der fremden, großen Stadt sehr zugute kam.

Außerdem bin ich insofern für Pop-Akademien, als sie nicht mehr ganz so jungen, vom Business nach Strich und Faden beschissenen MusikerInnen wie meinem eigenen Schlagzeuger ein sehr würdevolles Altenteil im Lehramt bieten.

Wreckless Eric zum Beispiel hat eine Zeit lang in einem Pop-Institut in Wapping unterrichtet, und seine Vorlesung mit Gast Phill Brown, bei der ich Ende der Neunziger zusah, war Gold wert.

Es hat auch sicher was, am Goldsmith College von Pete Astor in der Geschichte des Popsongs unterrichtet zu werden.

Man möchte nicht glauben, wie viele interessante Persönlichkeiten bereits aus der entsetzlichen Welt des Musikbusiness ins akademische Leben geflohen sind, um dort die Jugend auf den Eintritt in die mittlerweile noch entsetzlicher gewordene Welt des Musikbusiness vorzubereiten.

In diesem Sinne, Jugend, nichts wie off to rock school, was Gescheites lernt eh schon einE jedeR, und auf dem Arbeitsamt seht ihr euch sowieso wieder.

Aber lasst um Himmels Willen die Flatterhände und die Whitney-Houston-Koloraturen bleiben.