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Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

10. 5. 2012 - 14:19

Get a job!

Ein paar Überlegungen zum Modell Pop als Gegenstimme anlässlich des neuen Gossip-Albums.

Am Freitag veröffentlicht das Punk-Dance-Trio Gossip ihr fünftes Album "A Joyful Noise" und feiert das bei einem Live-Konzert in Dortmund. Die Glasfaserkabel zur FM4 Website sind schon gelegt: Ab 21 Uhr gibt es dieses Konzert live auf fm4.orf.at mit Ton und Bild.

Beginnen wir einmal mit einer Mitteilung aus dem Maschinenraum: Ja, ich wollte hier was einigermaßen Angebrachtes zum neuen Gossip-Album „A Joyful Noise“ schreiben. Wie ausgemacht, schließlich läuft am Freitag auf unserem Muttersender mein Beitrag dazu.

Aber dann hat das System mich rausgeworfen. Soll heißen: Bisher hatte ich einen persönlichen Link zu einem Stream mit sogenanntem Wasserzeichen, aber Mittwoch Abend teilte mir das von Gossips Plattenfirma verwendete System, das da Pump-Promotion oder sonstwie heißt, mit, dass ich mich leider zu oft eingeloggt hätte. Ich möge mich doch bei meinem Promoter rühren, auf dass der meinen gesperrten Stream wieder freigebe.

Nun war's eben schon Abend, und tags darauf saß ich im Flugzeug, der Hinweis half also wenig. Abgesehen davon muss ich jedoch zugeben: Das System weiß zwar nicht warum, aber es hat Recht. Ein weiteres Anhören von „A Joyful Noise“ ist nicht nötig. Ich komme noch darauf zurück.

Gönnen wir erst noch einen kleinen Moment der Ironie der Lage: Wer einen Stream hat und den bootleggen will, wird vermutlich den Weg vom Audio-Ausgang des Computers zur Record-Taste des Aufnahmegeräts seiner/ihrer Wahl finden. Oder Soundflower herunterladen und eine mit dem Blubbern von Email-Alerts verzierte Version davon herstellen.

Wer diesen Stream als JournalistIn benützt, um die Platte zu hören, über die er/sie schreiben soll, wird dagegen hoffentlich mehrmals darauf zugreifen, um sich ein halbwegs fundiertes Urteil bilden zu können. Die Plattenfirma kann sich das allerdings offenbar nicht vorstellen. Sie hasst ihre eigene Musik so sehr, dass sie keinen legitimen Grund dafür sieht, sich „A Joyful Noise“ öfter als die geschätzten fünf Mal anzuhören, so wie ich das zum Beispiel getan habe. Also blockiert sie mich.

In der paranoiden Parallelwelt der Leute, die sowas programmieren, veranstalte ich House Parties, bei denen meine FreundInnen und ich uns täglich das neue Gossip-Album anhören, bis wir derart genug davon haben, dass wir es nun alle nicht mehr kaufen wollen.

In der echten Welt wiederum ist es so, dass ich mein Interview mit Gossip schon vor langer Zeit abgetippt und übersetzt und dann nebst Rezension in einer gewissen Wiener Wochenzeitung veröffentlicht habe: Hier der Link dazu.

A Joyful Noise Cover Art

Sony

Insofern also könnte man sagen: Recht haben sie, deine Arbeit ist getan, im Flugzeug solltest du schlafen. Wäre die Geschichte mit diesem Stream nicht noch eine Ergänzung wert:

Ich hörte die Musik dieses Albums auszugsweise zum ersten Mal letztes Jahr und zwar in dem Studio, wo sie gerade im Entstehen war, der Xenomania-Hitfabrik des englischen Produzenten Brian Higgins im westlichen Kent.

Genauer gesagt saß er mir gegenüber und beobachtete meine Reaktion, während sein Engineer die noch nicht fertig gemixte Version der Songs direkt von der Pro-Tools-Session weg vorspielte.

Ich halte Higgins keineswegs für einen Zyniker, sondern für einen jener Pop-Enthusiasten, die keinen Sinn darin sehen, Musik zu produzieren, die nicht die Ohren von so vielen Menschen wie möglich erreichen wird. Aus seiner Bemerkung, dass er Hits nicht mehr notwendig hätte und dass ein guter Produzent sich über die KünstlerInnen definiert, mit denen er arbeitet, schloss ich, dass er das Gossip-Album als ein Projekt für den Lebenslauf denn ein Projekt für den Fuhrpark sieht.

Für Beth Ditto dagegen ist es offensichtlich eine Eintrittskarte in jene glitzernde Popwelt, der sie schon so lange entgegenstrebt (ihre Solo-Arbeit mit Simian Mobile Disco war immer noch eine Meta-Variante davon). Vielleicht, um dort – umgeben von Sexismus und Körperfaschismus – einen subversiven Einfluss auszuüben. Vielleicht, um endgültig aus der Hipster-Nische auszubrechen und einmal ordentlich Geld zu verdienen. Oder vielleicht aus dem puren Thrill, in den Soundtrack des Alltags der Massen vorzudringen. Ist alles vollkommen in Ordnung. Und doch war sie sichtlich begeistert, mit mir über ihre Anfänge bei K Records reden zu können. Und über die nächste Station beim Kill Rock Stars Label.

Ich starrte also auf die hirnverbrannte Message der abgesperrten, virtuellen Stream-Pumpe und war für sie stellvertretend nostalgisch für eine Welt, zu der kein Weg zurückführt.

Nicht nur für Gossip, sondern für uns alle.

Ja, ich hätte nicht “nostalgisch“ schreiben sollen, da hab ich den kulturoptimistischen PhrasendrescherInnen wohl meine verwundbare Bauchseite geboten. Aber ich rede hier nicht über die Ökonomie, die engen Netze des Nischenmarketing oder die längst im allgemeinen Strudel von Adele („Indie“) bis Richard Hawley (Major) verschwommenen Indie/Major-Gefechte, sondern über das alte Projekt vom Pop als Vehikel der Subversion im endgültig desillusionierten Post-Gaga-Zeitalter.

Wie weit entfernt wir uns davon entfernt haben, fiel mir bei jenem Gossip-Song auf, der mir von meinem blockierten Stream hier noch am besten in Erinnerung geblieben ist: „Get a Job“, die Geschichte einer Frau in Dittos Alter (30), deren prekäres Dahinleben samt nächtlichem Ausgehen an den ökonomischen Realitäten scheitert. „I'd like to go and party but I gotta go to work. Work. Work. Work. Work. Work.“

Es ist die Umkehrung des alten „subversiven“ Pop-Versprechens der Ära des wachsenden Wohlstands der Fünfziger und Sechziger, den lästigen Nine-to-five-Job loszuwerden und ein freies Leben zu führen. Eine Verheißung, die in jetzigen Zeiten gefährlich nach Chuzpe klingt.

Der Drang zum Job wird in „Get a Job“ dagegen zur unausweichlichen Konsequenz des Überlebenmüssens, die Existenz der Bohéme zum nicht aufrecht zu erhaltenden Luxus.

Das Medium Popsong war schon in früheren Rezessionen bei diesem Topos angelangt, siehe „No Scrubs“ oder „Ain't Nothing Going On But The Rent“. Im Gegensatz zu jenen möglicherweise hassenswertesten Texten der Popgeschichte fehlt „Get A Job“ von Gossip das Element der Häme, aber in seinem Kern ruht derselbe essentielle Widerspruch zum eskapistischen Prinzip Pop.

Und das macht bei allem Glitzern wenn schon nicht nostalgisch, dann zumindest melancholisch, gerade aus dem Mund einer Beth Ditto, die ansonsten offen zum Straßenkampf aufruft. Allerdings nur im (oben verlinkten) Interview, bezeichnenderweise nicht im Song.

Vielleicht – und in den Achtzigern stieß New Pop auf dasselbe Problem – bleibt Pop als Gegenstimme in seiner Verpflichtung zur Dekadenz also unverrückbar ein Wohlstandsphänomen. Schade eigentlich.