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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

10. 5. 2012 - 15:14

INDECT, der Fussball und die Militärs

Das nach dem Ausstieg des polnischen Innenministeriums schon totgesagte EU-Überwachungsprojekt INDECT lebt weiter. Elemente davon werden bei der Euro 2012 eingesetzt.

Der Mitte April überraschend verkündete Ausstieg des polnischen Innenministeriums aus dem umstrittenen Überwachungsprojekt INDECT war offensichtlich nur ein Manöver, das unter dem Eindruck der davor ausgebrochenen Proteste gegen ACTA in Polen richtig zu verstehen ist.

Im Frühjahr war es in polnischen Städten bekanntlich zu einer Serie von spontanen Massendemonstrationen gekommen, deren Ausmaß und Intensität Regierung wie Aktivisten gleichermaßen überrascht hatte. In Folge war es zu einem eiligen Rückzieher der polnischen Regierung in Sachen ACTA gekommen, die Ratifizierung des Abkommens wurde ausgesetzt.

Kurz danach erfolgte die Ankündigung des Ausstiegs der polnischen Polizei aus dem von der EU-Kommission mit zehn Millionen Euro geförderten Projekt, in das die beteiligten Technischen Universitäten zusammen weitere fünf Millionen einbringen. Die Projektvorgaben kamen bis jetzt von polnischen und nordirischen Polizeibehörden.

Mehr Überwachung, mehr Datenschutz

In der vergangenen Woche hatte der INDECT-Projektleiter, TU-Professor Andrzej Cziech, in einem Interview mit der "Gazeta Prawna" betont, das seit seinem Bekanntwerden unter heftigem Beschuss stehende Überwachungsprojekt werde natürlich weitergeführt.

Die Ziele von INDECT seien keineswegs die Überwachung ganz normaler Bürger auf der Straße, die Überwachung diene vielmehr der Früherkennung von Bedrohungen auf der Straße wie im Internet. Als drittes explizites INDECT-Projektziel nannte der Professor ausgerechnet "Datenschutz". Bevor auf dieses Paradoxon eingegangen werden kann, ist eine kurze Beschreibung dieses Projekts vonnöten.

Die militärischen C4-Systeme

INDECT ist ein Prototyp für ein System zur Rundumüberwachung der urbanen Zivilgesellschaft, sowohl im realen wie im virtuellen Leben. Das technische Set-Up sieht einer modernen militärischen Gefechtsfeldzentrale dabei zum Verwechseln ähnlich.

Diese C4-Systeme - "Command Control Computers Communication" - gibt es in verschiedenen Ausführungen, je nachdem, wo und wie sie militärisch eingesetzt werden. Die Funktionen der einzelnen Elemente von INDECT ergeben zusammen ein für den Einsatz in der urbanen Zivilgesellschaft adaptiertes C4-ISR-System (Intelligence, Surveillance, Reconnaissance), wie sie in allen Kriegsgebieten zum taktischen Einsatz kommen.

Intelligence durch Profiling

"Intelligence" bedeutet im Fall von INDECT sowohl Schnittstellen zu Datenbanken der Polizeibehörden, wie den Einsatz von "Profiling"-Software die - von Social Networks angefangen - Daten aus dem WWW, Tauschbörsen aber auch privaten PCs extrahiert und zu personenbezogenen Profilen verarbeitet.

Dazu kommen Daten aus dem wirklichen Leben von "Sensoren", vorzugsweise von Überwachungskameras, aber auch von Sound-Detektoren, wobei alle Daten zentral verarbeitet und zusammengeführt werden. Das mithin wichtigste Feature dieses C4-Systems für die Polizei sind Applikationen, die diesen Datenwust auch auswerten.

Drohnen und Papstvisiten

Anhand von vordefinierten Ereignissen wird in solchen Fällen Alarm geschlagen: Wenn eine Personen plötzlich losläuft, oder zu lange vor einer Bankfiliale auf- und abgeht, wenn ein herrenloser Koffer an einem belebten Platz herumsteht oder ein Sound-Sensor einen Knall gemeldet hat.

Das deutsche Luftverkehrsgesetz wurde das bestehende Flugverbot für unbemannte Flieger zur "Verbesserung der polizeilichen Gefahrenabwehr" bereits in Teilen aufgehoben. Ähnliche Bestrebungen laufen auch in anderen europäischen Staaten, der Druck dahinter kommt von der europäischen Rüstungsindustrie.

Das ist "Surveillance", während "Reconnaissance" vor allem unbemannte, mit Sensoren aller Art vollgepackte Drohnen meint, die im Fall von Demonstrationen, Randale, Planquadrataktionen, Großveranstaltungen oder Papstvisiten Aufklärungsflüge durchführen.

Spritzpistolenalarm

Ausgerechnet ein solches Totalüberwachungssystem soll dem Datenschutz des Bürgers dienen? Natürlich, sagt Professor Dziech, zumal der Bürger damit zwar permanent aufgezeichnet werde, diese Daten im Regelfall aber nicht ausgewertet würden. Während derzeit noch Polizeibeamte die Monitorwände beobachten müssten, so werde in Zukunft eine Applikation die Videostreams überwachen und nur dann Alarm schlagen, wenn ein vorbestimmtes "Ereignis" auftrete.

Als Beispiel dafür führt Dziech im Interview eine Situation an, die dem Ereignis "Mensch zieht Schusswaffe" zugeordnet wurde. Durch den Alarm werde dann ein "Disponent" zugeschaltet, der feststellen werde, ob es sich um eine echte Waffe oder eine Spritzpistole handle.

Der eigentliche Grund

Hier kommt man dem eigentlichen Grund, warum INDECT ins Leben gerufen wurde, schon ziemlich nahe. Die Polizeibehörden der beiden unbestritten überwachungswütigsten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, Großbritannien und Polen, haben sich deshalb zusammengetan, weil ihnen die Kamerasysteme bezüglich der Echtzeitüberwachung bzw. Auswertung durch Beamte entweder schon über den Kopf gewachsen sind (Großbritannien) oder gerade dabei sind, das zu tun (Polen).

Zwei Dutzend Monitore permanent im Auge zu behalten ist ungemein ermüdend, bereits nach 20 Minuten sackt die Wahrnehmungsschwelle ab, immer mehr Relevantes wird einfach übersehen. Sinkende Effizienz und weit über Gebühr gestiegene Personalkosten sind die Folge, denn zu jeder neu installierten Überwachungskamera gehört auch ein Monitor.

Die Genese des INDECT-Projekts seit Frühjahr 2009.

Das ist der Grund für INDECT und nicht die Verbesserung des Datenschutzes für unbescholtene Bürger, indem nicht mehr ein echter Polizeibeamter, sondern ein Algorithmus den großen Bruder spielt.

"Verbergen sensibler Informationen"

Die wiederholte Beteuerung Dziechs, dass persönliche Daten durch "Verbergen sensibler Informationen" geschützt würden, ist ungefähr so viel wert wie das "Maskieren" oder "Pseudonymisieren" von Datenfeldern in den Flugpassagierdatensätzen.

Die Daten werden erhoben und zuѕammengeführt, im Fall der Passagierdaten werden Namen und Adresse nicht sofort angezeigt, bei INDECT ist die Möglichkeit vorgesehen, Gesichter auszublenden. In beiden Fällen sind die "verborgenen sensiblen Informationen" für den Beamten genau einen Knopfdruck weit weg.

Biometrie und Heimatschutz

Die Eingabe eines anderen Befehls aktiviert hingegen ein in INDECT integriertes Biometriemodul, das die Merkmale der erfassten Gesichter einliest und mit einer Datenbank abgleicht. Soviel zum Thema "Datenschutz".

Das Interview mit dem Leiter des INDECT-Projekts Andrzej Dziech. Für die deutsche Übersetzung, die aus urheberrechtlichen Gründen nicht veröffentlicht werden kann, sei der INDECT-Taskforce der bayrischen Piraten gedankt.

Was den "Ausstieg" der polnischen Polizei betrifft, so hat die sich nur aus der Projektsteuerung zurückgezogen. Das wiederum ist nur im Rahmen der Euro 2012 und den Ereignissen der letzten paar Monate zu verstehen. Nach einer Welle von Protesten gegen ACTA begannen die Probleme mit dem Mitveranstalter Ukraine zu eskalieren, zu allem Überfluss warnten Kritiker und sogar EU-Parlamentarier, dass Einzeltechnologien von INDECT bei der Europameisterschaft testweise zum Einѕatz kommen könnten.

Euro 2012

Das ist mehr als nur wahrscheinlich, zumal INDECT ja auch bestehende Instrumente der Polizei integriert, wie etwa herkömmliche, vernetzte Überwachungskameras, Hooligan-Datenbanken, oder Erkenntnisse, die unter Einsatz technischer Mittel schon jetzt aus Sozialen Netzwerken extrahiert werden. Hochauflösende Kameras, deren Bilder durch Biometriesysteme laufen, werden bei der Euro 2012 halt noch in Polizeihubschraubern anstatt in Drohnen eingesetzt.

Das einzige wirkliche Novum an INDECT sind nämlich nicht die einzelnen Technologien - Bahnbrechendes ist nichts dabei - sondern nur ihre Kombination und ihr Einsatzzweck in der eigenen Zivilgesellschaft.

In Österreich wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb einer Hooligan-Datenbank bereits mit der Verabschiedung der Novelle zum Sicherheitspolizeigesetz im Dezember 2005 geschaffen. Bei der EM 2008 war der Abgleich dieser Datenbanken mit jenen der anderen europäischen Staaten bereits Routine.

Was Polen betrifft, so ist auch weiterhin gesichert, dass die Polizeibehörden von den Ergebnissen dieses "Forschungsprojekts" profitieren. Die drei an INDECT beteiligten polnischen TUs, AGH, Danzig (GUT) und Poznan (PUT), gehören auch weiterhin der Plattform Heimschutz des polnischen Innenministeriums an.

Das sagt die deutsche Polizei zu INDECT

Auf einen Bericht des ARD-Magazins "Kontraste" im Herbst 2011, der den Auftritt eines BKA-Beamten bei INDECT thematisierte, hatte das deutsche Bundeskriminalamt mit folgendem Dementi reagiert:"Auf Bitten der Projektleitung hat das BKA im Jahr 2009 INDECT-Beteiligten das BKA-eigene Projekt "Foto-Fahndung" vorgestellt. Dieses Projekt wurde 2007 mit überwiegend negativen Forschungsergebnissen vom BKA eingestellt. Dies war der alleinige und einmalige Beitrag des BKA zum INDECT-Projekt....Dem BKA wurde 2007 von Seiten der University of Science and Technology in Krakau, die mit der Leitung des INDECT-Projektes betraut ist, eine Partnerschaft angeboten. Dies hat das BKA aufgrund des umfassenden Überwachungsgedankens des Projektes abgelehnt. Seine Ablehnung hat das BKA seit 2007 mehrfach schriftlich zum Ausdruck gebracht, sowohl gegenüber der beauftragenden EU-Kommission als auch der Projektleitung von INDECT."