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Barbara Köppel

Durch den Dschungel auf die Bühne des Lebens.

26. 4. 2012 - 16:01

Brüssel, do you hear me?

Seit 1. April 2012 können EU-BürgerInnen länderübergreifende Bürgerinitiativen organisieren, und sich so in Brüssel Gehör verschaffen. Wie funktioniert das neue Demokratie-Tool?

Aktuell sind mehr als zehn EBIs in Vorbereitung oder am Laufen. Sie behandeln Themen wie Medienfreiheit, Vorratsdatenspeicherung, Homo-Ehe, Basiseinkommen, Finanztransaktionssteuer oder Atomausstieg.

  • Eine Übersicht findet sich hier. Nach der Prüfung durch die EU-Kommission werden sie auch ins offizielle Register eingetragen.

Mehr Mitsprache, mehr direkte Demokratie - das verspricht die neue Europäische Bürgerinitiative (EBI), ein Verfahren, mit dem einzelne EU-BürgerInnen ihre Anliegen direkt vor die EU-Entscheidungsträger bringen können.

Im deutschsprachigen Raum wird das neue Instrument gern auch als "Europäisches Volksbegehren" bezeichnet, und tatsächlich funktioniert es ähnlich wie sein österreichisches Pendant.

How to "Europäische Bürgerinitiative"?

Logo Europäische Bürgerinitiative

Europäische Kommission

Alle EU-BürgerInnen, die das Mindestalter für die Wahl zum EU-Parlament erreicht haben - in Österreich liegt das bei 16 Jahren - haben das Recht, eine EBI zu organisieren. Ihr Gegenstand darf weder "offenkundig missbräuchlich, unseriös oder schikanös" sein, noch gegen die Werte der Union verstoßen, wie sie in den EU-Verträgen festgelegt sind.

Über einen eigenen BürgerInnenausschuss müssen mindestens eine Million Unterschriften aus mindestens sieben verschiedenen Mitgliedsstaaten gesammelt werden. Pro Land ist eine bestimmte Quote von Unterstützungserklärungen festgelegt. In Österreich müssen mindestens 14.250 Menschen unterschreiben.

Echte Bürgerbeteiligung oder Pseudo-Demokratie?

Erreicht eine EBI unter den genannten Voraussetzungen die 1-Million-Marke, heißt das allerdings nicht, dass ihre Forderungen unmittelbar umgesetzt werden. Eine Bürgerinitiative kann die EU-Kommission lediglich dazu auffordern, ein Gesetz zu beschließen oder zu ändern - und das auch nur in Bereichen, in denen sie dafür zuständig ist. Dazu zählen beispielsweise Umwelt, Landwirtschaft, Verkehr oder öffentliche Gesundheit.

Logo EU-Volksbegehren "Meine Stimme gegen Atomkraft"

Global 2000

Heute, am 26. Jahrestag von Tschernobyl, startet Global 2000 gemeinsam mit anderen Organisationen "Meine Stimme gegen Atomkraft", das erste "Europäische Volksbegehren für saubere und sichere Energie". Gefordert wird, Hochrisiko-Reaktoren sofort abzuschalten, verpflichtende Stilllegungspläne für alle übrigen Atomkraftwerke in der EU bis 2015, und 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050.

  • Vorregistrierungen sind ab sofort möglich, unterschreiben kann man ab 1. Juni 2012. Dazu ist ein gültiger Reisepass oder Personalausweis vorzulegen, online muss man die entsprechende Nummer angeben.

Theoretisch besteht also die Möglichkeit, dass zu einem bestimmten Thema die Unterschriften aller rund 500 Millionen UnionsbürgerInnen vorliegen, ohne dass die EU-Behörden dadurch zum Handeln verpflichtet werden.

Gregor Wenda, stellvertretender Leiter der österreichischen Bundeswahlbehörde, die für die Prüfung von EBIs auf nationaler Ebene zuständig ist, bringt dieses Risiko gut auf den Punkt: „Wenn die EU-Kommission einen erfolgreichen Antrag einer Bürgerinitiative bekommt, ist sie zwar verpflichtet, sich diesen anzuschauen, aber sie muss daraus keinen Rechtsakt machen. Sie muss lediglich begründen, warum sie es nicht tut.“

Fällt die Entscheidung der Kommission hingegen positiv aus, geht der ausgearbeitete Rechtsakt durch das übliche Gesetzgebungsverfahren. Der Vorschlag der EU-Kommission wird dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt, die wiederum können ihn annehmen oder ablehnen.

Diese bürokratischen Hürden sollten aber keinesfalls ein Grund sein, sich von der Durchführung einer Bürgerinitiative abschrecken zu lassen. Tatsächlich ist eine EBI das einzige politische Instrument, mit dem "normale" BürgerInnen den Entscheidungsorganen der EU annähernd gleichgestellt werden.

Auch die Organisatoren der EU-weiten Anti-Atom-Initiative sind zuversichtlich. "Wenn wir es schaffen, dieses Volksbegehren erfolgreich durchzuführen", so Reinhard Uhrig von Global 2000, "wird sich die EU-Kommission sehr schwer tun, diese Stimme der Bevölkerung zu ignorieren. Alles andere wäre auch ein katastrophales Zeichen, das kann sich die EU nicht leisten. Sie muss daher zu unseren Forderungen Farbe bekennen, und in Atomfragen künftig so vorgehen, wie es die Mehrheit der Bevölkerung will."