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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

19. 4. 2012 - 16:17

EU-Flugdatensystem kommt im Herbst

Parallel zur Verabschiedung des Abkommens mit den USA arbeitet die EU-Kommission bereits an einem eigenen, europäischen System. Wie aus Diplomatenkreisen zu erfahren war, wird im September bereits ein Entwurf präsentiert.

Das EU-Parlament hat in Straßburg heute das Abkommen zur Weitergabe der Daten europäischer Flugpassagiere an die USA nach längerer Diskussion mit deutlicher Mehrheit beschlossen. 409 Abgeordnete stimmten dafür, 226 dagegen. Ein von der Grünen Fraktion eingebrachter Antrag, das Abkommen dem EuGH zur Prüfung auf Konformität mit dem EU-Recht vorzulegen, wurde abgelehnt.

Wie aus diplomatischen Kreisen zu erfahren war, laufen hinter den Kulissen bereits die Vorbereitungen für ein europäisches PNR-System ("Passenger Name Records", PNR) auf Hochtouren. Die EU-Kommission hat dafür bereits eine externe Studie vergeben, die deutlich vor der Sommerpause des Parlaments fertig gestellt sein sollte. Dabei gibt es allerdings noch zahlreiche Punkte zu klären, wie Zugriffsberechtigungen, Zweck der Zugriffe, zentrale oder dezentrale Speicherung der Daten usw.

Frankreich drängt auf EU-System

Und dabei spießt es sich offenbar, denn laut "Fahrplan" hätte ein Entwurf der Kommission schon im Juli vorliegen sollen. Nach der Studie ist aber noch eine Folgenabschätzung angesagt, so die Kommissionsvertreter weiter, zumal noch nicht klar sei, in welchem Verhältnis die Nützlichkeit eines solchen Systems zu den erwarteten Kosten stehe.

Die französischen Vertreter regierten auf diese Äußerung ausgesprochen nervös. Man habe sehr starkes Interesse an einem solchen, europäischen Passagierdatensystem zur Bekämpfung von Terrorismus, das sobald wie nur irgendwie möglich eingeführt werden sollte, hieß es seitens der französischen Delegation im EU-Ministerrat.

Anfang April hatte Kommission den EU-Ministerrat davon unterrichten müssen, dass die USA das PNR-Abkommen auch weiterhin als "Executive Agreement" einstufen, Es wird dem Kongress daher nicht zur Ratifizierung vorgelegt und damit ist es für die USA nicht einmal rechtlich bindend. Damit ist auch eine Gleichbehandlung europäischer Flugreisender mit jenen der USA nicht möglich.

EU-System im Herbst

Die Kommission berief sich auf die länger als erwartet dauernde Folgenabschätzung und kündigte den ersten Entwurf für die Sitzungsperiode im Herbst 2012 an. Es ist also ab September mit einem ersten Ansatz für ein europäisches Flugpassagiersystem zu rechnen.

Wie es genau aussehen soll, wird wohl maßgeblich durch die Kostenfrage definiert sein. Briten und Franzosen haben in der Vergangenheit immer wieder sogar die Erfassung innereuropäischer Flüge verlangt, was besonders für kleinere Airlines teuer wird.

Die Kostenfrage

Es müssen daher mehrere PNR-Varianten auf ihre Verträglichkeit mit dem europäischen Rechtssystem abgeklopft werden, und eben die Kostenfrage muss geklärt werden. Davon wiederum hängt Ausmaß und Umfang des Systems ab, werden nur Flüge über die Unionsgrenzen hinaus erfasst, wird es logischerweise billiger.

Wie das EU-Parlament dann auf diesen Entwurf reagieren wird, steht also noch in den Sternen. Nur eins lässt sich jetzt schon mit einiger Sicherheit sagen: Eine so klare Mehrheit wie bei der Plenarabstimmung über das Abkommen mit den USA am Donnerstag ist im Falle eines europäischen PNR-Systems nicht zu erwarten.

Von der Öffentlichkeit unbemerkt hatte der EU-Ministerrat bereits im April 2011 beschlossen, die Erhebung von Flugpassagierdaten auf innereuropäische Flüge auszuweiten. Gravierende Einwände der eigenen Rechtsabteilung wurden dabei ignoriert.

Wer wie gestimmt hat

Auch am Donnerstag war das Abstimmungsverhalten keineswegs von uneingeschränkter Zustimmung geprägt, sondern vielmehr von der Erkenntnis, dass für Europa einfach nicht mehr herauszuholen war. Die größte Fraktion EPP stellt auch das Gros der "Ja"-Stimmen, gefolgt von den Sozialdemokraten, die in dieser Frage allerdings nicht einer Meinung waren.

Die österreichischen SPE-Abgeordneten hatten sich schon im Vorfeld dagegen ausgesprochen, überzeugen konnten sie ihre Fraktion ganz offensichtlich nicht. Die österreichischen Sozialdemokraten stimmten denn auch mit der Ausnahme von Hannes Swoboda gegen das Abkommen, die EVP war geschlossen dafür. Die Grünen Abgeordneten stimmten wie alle fraktionslosen MEPs (BZÖ, FPÖ sowie Liste Martin) aus Österreich dagegen.

Insgesamt waren die Liberalen mehrheitlich gegen eine Unterzeichnung, die Grünen vollständig.

Das Dilemma

So weit, so absehbar. Wie den Wortmeldungen der letzten Monate zu entnehmen ist, sind echte Befürworter dieser Form von Verkehrsüberwachung keineswegs jene Mehrheit, die das Abstimmungsergebnis suggeriert. Sehr viele MEPs, darunter wohl auch einige Konservative haben nur mangels Alternative für das Abkommen gestimmt.

Die Europäer sind nämlich in einer wenig aussichtsreichen Situation und das ist ihr Dilemma: Die USA agieren vollständig im Einklang mit den eigenen Gesetzen, wenn sie die persönlichen Daten europäischer Staatsbürger aus den globalen Buchungssystemen Amadeus, SABRE usw. in großem Stil abziehen und mit den aktuellen Datensätzen der Airlines laufend abgleichen.

Kollision mit dem Datenschutz

Die Europäer hingegen kollidieren durch die Auslieferung dieser Daten an das US-Ministerium für Heimatschutz (DHS) mit ihren eigenen Datenschutzgesetzen und den Grundrechten insgesamt. Zum einen werden anlasslos personenbezogene bis sensible Datensätze europäischer Bürger en gros gesammelt, um ihre Reisebewegungen zu beobachten.

Zweitens werden diese Daten an den Drittstaat USA übermittelt, der von sich aus erklärt hat, diese Datensätze nach eigenem Ermessen weiterzuverteilen. Wenn die USA entscheiden, dass eine bestimmte Auswahl dieser Daten europäischer Bürger aus Gründen nationaler Sicherheit der USA an - sagen wir - die pakistanischen Behörden übermittelt wird, dann ist das durch das Abkommen absolut gedeckt.

Briten und Franzosen

Dieser Zustand ist nun für die nächsten sieben Jahre festgeschrieben, denn so lange ist das Abkommen in Kraft. Hinter den Kulissen laufen derweil die Bestrebungen, ein europäisches Pendant zum PNR-System der USA einzuführen. Großbritannien ist in diesem Punkt bereits mehrfach vorgeprescht, Frankreich ist - allerdings aus völlig unterschiedlichen Gründen - ebenfalls für ein solches System.

Ob nun Sozialdemokraten oder Tories in London an der Regierung waren, einen Unterschied machte dies in den letzten zehn Jahren nicht. Großbritannien ist durch das sogenannte UKUSA-Abkommen von 1949 weltweit der einzige Staat, der von den USA in Bezug auf Inforationsweitergabe als gleichberechtigt angesehen wird. Die britischen Geheimdienste haben daher - in welchem Ausmaß immer - exklusiv Zugang zu diesen Flugpassagierdaten, alle anderen EU-Staaten haben das nicht.

Die Briten sind für die Einrichtung eines europäischen PNR-Systems, das auch die Flüge innerhalb der Union erfasst, um die Überwachung des Flugverkehrs zu komplettieren. Frankreich ist hingegen für die Einrichtung eines europäischen Systems, um die USA davon abzubringen, Datensätze nach Belieben aus den internationalen Buchungssystemen abzuziehen, umschrieben wird dieser Vorgang verschämt als "Pull"-System.

"Push 'n' Pull"

Ein "Push"-System würde bedeuten, dass die Europäer sämtliche Daten selbst erheben und dann eine Auswahl der Datenfelder an die USA übermitteln, "Pull" wiederum bedeutet, dass die US-Heimatschützer aus den Buchungssystemen sämtliche Informationen über den jeweiligen Fluggast abziehen, der Ist-Zustand.

Wie aus diplomatischen Kreisen weiter zu erfahren war, kam es bereits im Vorfeld der PNR-Abstimmung zu einem heftigen Disput zwischen Vertretern der EU-Kommission und einzelnen Mitgliedsstaaten im Ministerrat.

Die EU-Kommission bezieht sich dabei offenbar auf das PNR-Abkommen mit Australien, das hier im Volltext veröffentlicht wurde.

Frankreich, Deutschland, Österreich, Polen und Tschechien hatten die Informationspolitik der Kommission über den Stand der Verhandlungen mit den USA mit deutlichen Worten kritisiert. Die Kommission weigert sich nämlich standhaft, die Mitgliedsstaaten schriftlich zu unterrichten, bzw. ihnen die jeweils aktuellen Abkommensentwürfe vorzulegen.

2011 seien "Pannen" passiert und ein PNR-Abkommenstext sei vorzeitig an die Öffentlichkeit gelangt, hieß es seitens der Kommission dazu.