Erstellt am: 15. 3. 2012 - 19:46 Uhr
A Declaration of Independence
„Endlich eine Indie-Band, zu der man tanzen kann“ - Ich glaub, das war das erste, was ich über die Tigercats gelesen habe, und so nett es gemeint war, so viel Madchester-bedingte skeptische Nackenhaarversteifung rufen solche Behauptungen im Pawlowschen Hund in mir hervor (darüber diskutieren wir ein andermal).
Aber im Fall der Tigercats geht es um eine Sache, die die wenigsten Indie- und schon gar keine „Indie Rock“-Bands beherrschen, nämlich das, was man bis in die mittleren Sechziger hinein (als Bands zum letzten Mal die Hauptquelle von Tanzmusik waren) „going softer“ nannte.
Sie verstehen also das Leiserwerden, und natürlich auch das Anschwellen, das Fallenlassen und Auffangen auf jene magische Art, die sich (immer noch) nicht programmieren lässt.
Was noch unglaublicher ist: Sie haben es geschafft, diese live so unwiderstehliche Dynamik gleich beim ersten Anlauf auf Platte zu bannen, mit nichts mehr als ihrem schrubbeligen, unfrisierten, irgendwo zwischen Calypso, Jonathan Richman, Afro-Beat, The Clash oder The Beat nach Grooves angelnden schlichten Zubehör aus Schlagzeug, Bass, zwei Gitarren und ein bisschen Orgel da und dort - scheinbar unspektakulär aber treffsicher trocken produziert, das meiste davon auch noch im Do It Yourself-Verfahren.
Und das ist noch nicht einmal die Hälfte der Gründe, warum ihr Album „Isle of Dogs“ mich so unvernünftig glücklich macht.

Tigercats
Meine letzte Ausgabe von FM4 Heartbeat einschließlich eines Interviews mit Tigercats und einiger Songs aus ihrem Album "Isle of Dogs" kann man sich noch bis kommenden Montag hier als Stream anhören.
Es gibt nichts Besseres im Leben als die von faulen Schulterzuckern gepredigten ewigen Wahrheiten fallen zu sehen. Das Beste am Älterwerden ist wiederum das Sammeln der Belege für die tatsächlich einzig bestehende Wahrheit, dass nämlich jene zynischen Schulterzucker am Ende immer als die größten Deppen dastehen.
Wie zum Beispiel jene, die vorschnell behauptet haben, die Popmusik habe zur gegenwärtigen existentiellen Krise des Wirtschafts- und Gesellschaftssystems nichts zu sagen (in schlechter Laune gehörte ich selbst mit dazu).
Dann kommt nämlich prompt sowas wie Ill Manors
von Plan B raus, und es gibt gar Anlass zur Wiedergeburt eines glaubhaften politischen Musikjournalismus mitten im Mainstream.
Was Plan B für die Kids der Council Estates sagt, das sagen Tigercats für deren direkte Nachbarn, die als Vorhut der bourgeoisen Blase – von den Kids der Council Estates, aber vor allem von sich selbst - so vielgehasste urbane Bohéme, die schon lange nicht mehr aus falscher Sozialromantik in die Reviere der ersteren eindringt, sondern weil sie sich nichts anderes leisten kann; die mit prekärem Salär von der Hand in den Mund lebt, auch wenn sich ihre Mittelklasse-Eltern das einmal ganz anders vorgestellt hatten.

Haircut Records
Ich muss gestehen, ich kannte einige Leute aus dem Kreis der Tigercats, bevor ich sie einen Ton spielen hörte. Sie sind allesamt auf der Suche nach dem interessanteren Leben von außen her in die große Stadt gezogen und dabei im Ostlondoner Stadtteil Limehouse gelandet, gleich neben der tatsächlichen Isle of Dogs, dem ungentrifizierbaren Stadtgebiet an der Themse, das ihrer Platte ihren Namen gibt.
So wie sie selbst ist auch ihre Platte sich nicht ganz sicher, inwieweit sie Teil oder Widerspruch ihrer Umgebung sein will. Sie beginnt lokalpatriotisch mit „Coffin For The Isle Of Dogs“ und dessen allerersten Zeilen „This is a declaration of independence! Pull up the bridges! Don't let anybody in! In this island that's gone to the dogs! Take your grievances to the streets!“ - Dies ist eine Unabhängigkeitserklärung! Zieht die Brücken hoch! Lasst niemand rein! Auf dieser Insel, die vor die Hunde gegangen ist! Geht mit euren Beschwerden auf die Straße!
All das ist ein Bezug auf jene Tage im Jahre 1970, als die BewohnerInnen der Isle of Dogs unter ihrem Anführer Ted Johns aus Protest gegen ihre Behandlung durch die Stadtverwaltung ihre Insel tatsächlich vorübergehend zum autonomen Gebiet erklärten.
„It's not our crisis, this is not your collateral,“ singt Duncan Barrett am Ende des Songs, „this is a declaration of independence and it's unilateral.“ Und stellt damit einen unmissverständlichen Bezug zur Gegenwart her.
Dann, im Song „Vapours“, findet sich der Held im trendig/schäbigen Dalston wieder, auf dem Heimweg in einem Nachtbus voller Idioten mit lächerlichen Frisuren, genau jene hirnlosen Hipster, für die Außenstehende ihn vielleicht selbst halten könnten.
Das von Duncan selbst gemalte und animierte, wunderbare Video zum Song Full Moon Reggae Party, das zum Zeitpunkt, wo ich das hier schreibe, offenbar noch kaum jemand gesehen hat, zeigt die Tigerkatze wiederum als Außenseiter auf ihrer Isle of Dogs, eine Katze unter Hunden eben.
Alles in allem ging es, wie Barrett in unserem Interview sagte, um die Vermittlung eines „sense of place“ (man kann das übersetzen, aber nur schlecht), und das ist, wie man weiß, eines der großen Kernthemen wirklich großer Popmusik.

Haircut Records
Wie es sich gehört, machen Duncans begleitende Grafiken und die halb realen, halb surrealen Bilder in seinen Texten dabei aus ebendiesem Ort einen magischen Cartoon, den man beim Hören von „Isle of Dogs“ gemeinsam mit Tigercats zu bewohnen beginnt. Dass er seine Bandkollegen in der hier ganz an den Schluss verbannten, ursprünglich als Picture Disc veröffentlichten Debüt-Single „Banned at the Troxy“ auch noch beim Namen ruft, macht uns dann schon beinahe zum Teil der Tigerkatzen-Gang, die gleichzeitig geschmeidig und verschreckt durch die „Limehouse Nights“ kreuzt.
Bei unserem Interview meinten die Tigercats Duncan und Johnny, dass sie bei ihren Auftritten im Rest des Landes schon gar nicht mehr dazusagten, dass sie aus London kommen, weil man sie dort sonst automatisch für geistlose ModestudentInnen halten könnte. Die Gefahr besteht nicht bzw. der Täuschungsversuch lohnt nicht. „Isle of Dogs“ ist ganz eindeutig ein London-Album, und ein selten intelligentes noch dazu.
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