Erstellt am: 13. 3. 2012 - 23:54 Uhr
Zuerst die Strafe, dann der Freispruch?
Handelt es sich um ein Kasperltheater? Vor dem Eingang des Wiener Landesgerichts sieht es heute Morgen ganz danach aus. Solidarische AktivistInnen veranstalten ein Puppenspiel um auf die "Justizfarce" hinzuweisen, die mit den angeklagten BildungsaktivistInnen gespielt wird. Zwei Monate U-Haft, monatelange Überwachungen und Bespitzelungen und den Vorwurf eine "terroristische Vereinigung" gebildet zu haben, das alles mussten sie hinnehmen.
Die angeklagten Aktivisten im FM4 Jugendzimmer zum nachhören.
Über die Ermittlungen gegen #unibrennt.
Die Terrorverdächtigten bekommen den Ute-Bock-Preis für Zivilcourage.
Der Verdacht einer terroristischen Vereinigung (§278b) wurde fallen gelassen. Dennoch wurde aus den Daten, die das LVT mit Hilfe dieses Paragrafen zusammensaugte, eine Anklage geschmiedet: versuchte Brandstiftung an einer AMS-Zentrale, deren Fassade in der Nacht zum 28.6.2010 durch Feuer in Mülltonnen beschädigt wurde. Nach fünf Zeugenbefragungen sagt Verteidigerin Anja Oberkofler heute: "Es waren keine belastenden Ergebnisse aus den Zeugenaussagen zu entnehmen." Was bleibt vom ersten unibrennt-Prozesstag?
Die Nervosität zu Prozessbeginn ist groß. Da nur dieser eine Prozesstag anberaumt ist, fürchten einige Prozessbeobachter eine schnelle Verurteilung. Richter Gerald Wagner streicht sich langsam mit dem Zeigefinger über die Oberlippe während er der Staatsanwältin Nina Mayrgündter lauscht. Die teilt ganz siegessicher Kopien von Stadtplanvergrößerungen an den Schöffensenat und die Angeklagten aus. Da sei der Tatort, die AMS-Zentrale Redergasse eingezeichnet sowie jene Künstler-WG im Haus des Kulturvereins Kaleidoskop, in der Erstangeklagter A. eine Kiste zwischengelagert hätte. Zusammen mit der Handy-Funkzellenauswertung, die Aufschluss über Standorte der Beschuldigten zu bestimmten Zeitpunkten gebe, präsentiert die Stadtplan-Kopie ein scheinbar übersichtliches Indizienbild.
Dann präsentiert die Staatsanwältin das Bekennervideo, auf dem schattenhaft die vermummten Brandstifter zu sehen sind. Ein Propaganda-Clip, der sich gegen das AMS, gegen "kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse" richtet. Danach Fotos des Brandschadens. Gegen den Erstangeklagten A. sei ermittelt worden, "weil es in der Szene Gerüchte gab, dass er Anschläge plant", sagt die Staatsanwältin. Und über das Video, dessen schlechte Bildqualität sie einräumt: "Man könnte die Personen nicht identifizieren, wenn man nicht wüsste, wer sie sind."
Die grammatikalische Konstruktion dieses Satzes ist für die Herangehensweise der Anklage bezeichnend.
"Vor ihnen sitzen vier politisch engagierte junge Menschen." beginnt Verteidigerin Anja Oberkofler ihre Gegenrede. Die Beschuldigten hätten in der ÖH gearbeitet, im bildungspolitischen Referat der Akademie der bildenden Künste. Sie erzählt die Geschichte der Universitätsproteste. Über ein Monat vor dem Brandanschlag aufs AMS sei der Erstangeklagte in einem Bericht des Verfassungsschutzes bereits als "Rädelsführer" der Studierendenbewegung ausgemacht worden. Der Verdacht einer terroristischen Vereinigung hätte es dem Verfassungsschutz ermöglicht die Angeklagten "auf Schritt und Tritt" zu überwachen.
Das Ziel der Anklage sei es nun Haft und Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen und die AktivistInnen einzuschüchtern, die nichts anderes getan hätten als ihr Recht auf freie Meinungsäußerung auszuüben.
lukas tagwerker FM4
Nun bittet Richter Wagner die Angeklagten den Saal zu verlassen und einzeln in den Zeugenstand zu treten. Der Erstangeklagte trägt seine Prozesserklärung vor:
"Ich wurde am 6.Juli 2010 von vermummten und bewaffneten Polizisten in meiner Wohnung überfallen. Mir wurden Handschellen angelegt (...) im (Polizei-)Auto spottete der Einsatzleiter des LVT, Reinhard Muik, mit grinsendem Gesicht und meinte, dass ich die nächsten Jahre gesiebte Luft atmen werde."
Auf die Fragen des Richters lassen sich die Beschuldigten nicht ein. Die Verhöre durch den Verfassungsschutz seien von Feindseligkeit und Drohungen geprägt gewesen, weshalb alle vier Angeklagten außer ihren Prozesserklärungen nichts mehr sagen wollen. Richter Gerald Wagner fragt dennoch: Was war ihre Rolle bei der Audimaxbesetzung? Was war der Inhalt der SMS? Warum glauben Sie, wurden Sie zum Staatsfeind erklärt? Glauben Sie, dass die Gesetze für Sie nicht gelten? Die Antwort: Kein Kommentar, kein Kommentar, kein Kommentar.
Staatsanwältin Nina Mayrgündter hat bei ihrer Befragung der Zweitangeklagten dann plötzlich mehr Glück. "Wissen Sie, dass mich ihre Mutter während Ihrer Haft besucht hat? Wissen Sie was ihre Mutter gesagt hat?"
Die Zweitangeklagte J.: "Das ist geschmacklos. Das ist geschmacklos."
Die Staatsanwältin ist empört. Sie hat als Antwort gehört: "Sie sind ein Schmacko."
J. bleibt dabei, keine weiteren Fragen zu beantworten und trägt ihre Prozesserklärung vor:
"Aufgrund mangelnder Beweise wird ein Gesinnungsprozess geführt. Ein Prozess, der uns dafür bestrafen soll, was wir denken und als was wir uns definieren."
Nachdem die Viertangeklagte I., eine Studentin der internationalen Entwicklung, betont, dass einzig ihr politisches Engagement sie in Verdacht gebracht hätte, fordert sie "die sofortige Einstellung des Verfahrens, eine Überprüfung der Ermittlungsmethoden und die Auflösung des sogenannten Verfassungsschutzes". Die Besucher im Gerichtssaal antworten mit Applaus, der Richter mit einer Ermahnung.
lukas tagwerker FM4
Die Befragung der Zeugen bringt dann wenig Licht in die vermuteten Umstände der Tatbegehung. Der Erstangeklagte hätte in den Tagen der Tat eine Kiste in einer Künstler-WG in der Schönbrunnerstraße zwischengelagert gehabt. "Für eine Übersiedelung" sagt er. Irgendwann hätte er die Kiste an einem späten Abend abgeholt, niemand aus dieser WG-hätte ihn dabei gesehen. Ein Zeuge erinnert sich die Haustür geöffnet zu haben, ein anderer hat mit dem Erstangeklagten telefoniert. Und in der Tatnacht hätte dieser Zeuge einen unbeantworteten Anruf des Erstangeklagten bekommen. Eine dürftige Indizienlage.
Die drei Zeugen sind allesamt Kunststudierende und geben an von der Polizei bei den Verhören unter Druck gesetzt worden zu sein. "Sie wollten, dass ich etwas Eindeutiges sage, was ich aber nicht weiß." so die Zeugin M. In ihrem Auftreten wirken die WG-Bewohner noch jetzt verschüchtert. Sie wurden zu einem bestimmten Zeitpunkt der Ermittlungen selbst verdächtigt und scheinen sehr unglücklich darüber, dass ihre Aussagen für eine Anklage benutzt worden sind.
Zuletzt kommen noch ein AMS-Mitarbeiter und der Post-Angestellte in den Zeugenstand, der den Brand entdeckte und meldete. Wir erfahren, dass es regelmäßig zu vandalistischen Beschädigungen an AMS-Fassaden kommt. Und, dass der Brandentdecker niemanden vor Ort gesehen hat.
Als am Ende der Verhandlung die Verteidigerin umfassende Beweisanträge zur Entlastung der Beschuldigten stellt (die Vorladung der verantwortlichen Verfassungsschützer, die Auswertung der beschlagnahmten Computer und sämtlicher Observationsprotokolle) kommt es zu giftiger Stimmung zwischen ihr und der Staatsanwältin, die diese Beweisanträge beeinsprucht. Richter Gerald Wagner wird die Anträge prüfen und hat die Verhandlung auf einen unbestimmten Termin vor August vertagt.