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Elisabeth Scharang

Geschichten über besondere Menschen und Gedankenschrott, der für Freunde bestimmt ist.

24. 2. 2012 - 11:06

Leben in der Kapsel

Christian leidet an einer Psychose und nimmt uns im FM4 Jugendzimmer mit in seine begrenzte Welt, in der er mit Ängsten, Schutzengel und einer großen Portion Talent zusammen lebt.

Die Langzeit-FM4-HörerInnen können sich bestimmt noch an die Writing Maniacs erinnern, die einmal im Monat im Jugendzimmer eigene Texte vorgelesen haben. Christian war einer von ihnen. So haben wir uns kennen gelernt. Dann war er verschwunden, abgetaucht.
Wiedergesehen haben wir uns in seiner kleinen Wohnung 2008, acht Jahre nachdem seine Psychose im Alter von 18 ausgebrochen war.
Am Freitag treffen wir uns wieder. Der Weg ins Studio und in ein Live-Jugendzimmer ist für jemanden mit seiner Diagnose eine gewaltige Herausforderung. Aber wer weiß, wie viele von euch auch in einer Kapsel leben und für die der Kontakt zu Christian eine Tür nach draußen sein kann. Mit ein Grund, warum er ins Studio kommt: Kontakt nach außen, Kontakt zu euch.

Wer bist du heute, am 24. Februar 2012?

Christian: Hm, schwierig. Jetzt genau in diesem Moment bin ich ein sehr lebensfroher, positiv denkender und in die Zukunft schauender junger (?) Mensch. Der das Leben zurzeit als Herausforderung und nicht als Hölle auf Erden sieht.
Ich bin aber auch ein Mensch, der sich wundert, dass wir bereits den
24. Februar 2012 haben, und dass genau zwölf Jahre seit Diagnose-Stellung meiner Erkrankung vergangen sind. Ich habe vieles geschafft, wenn auch mit tatkräftiger Unterstützung meines Umfelds; habe aber auch so manche Träume gehen lassen, weil nicht mehr wirklich tragbar/erträglich für mich. Doch manche Lebensträume sind geblieben, wurden durch meine krisenhafte Zeit erst geboren.

zeichnung von christian, selbstporträt

christian winkler

Ich habe Mut und Freude und Spaß am Schreiben gefunden. Mit 18 Jahren war es mein großer Wunschtraum, ein eigenes Buch zu schreiben, Philosoph und Schriftsteller zu werden. Das ist mir gelungen, wenn auch bis jetzt nur in etwas kleinerer Form, aber es ist zumindest ein kleines Büchlein geboren worden. Mühsam nährt sich das Eichhörnchen, ungefähr so verhält es sich in meinem Leben ...

Was beschäftigt dich, welche Fragen begleiten dich zurzeit?

Christian: Mich beschäftigt vor allem die Frage, wie ich meinen Aktionsradius erweitern kann; wie ich es schaffen kann, mit meiner Schutzengelarmee, die mich immer wieder aufs neue tatkräftig unterstützt (hier auch mein Dank an sie!) meinen momentanen guten Allgemeinzustand (natürlich nach wie vor mit Höhen und Tiefen) zu konsolidieren. Ich möchte Menschen kennenlernen, neue Menschen kennenlernen,
mit dem Zug durch Städte reisen. Ja, das alles würde ich gerne. Und ich stelle mir die Frage, ob das je möglich sein wird.
Ich würde gerne auf Konzerte gehen, Musikfestivals besuchen, ich würde gerne und ich würde gerne, Konjunktiv, ja Konjunktiv, du machst mein Leben reich... Oder einfach am Boden der Realität bleiben, Step by Step an die Sachen herangehen. Die Möglichkeiten zur Entfaltung meiner Träume gibt es. Das ist ja das Schöne. Trotz des Eingekapseltseins.
Doch mit einem Punkt bin ich sehr unzufrieden, und mit diesem Punkt werde ich auch immer unzufrieden sein: Das Furchtbarste für mich ist es, allein sein zu müssen, keinen Anschluss haben zu können.

bahnhof, leere geleise

christian winkler

In mir schlummern Talente, glaube ich halt, manchmal ist darauf der Zugriff verwehrt, auch klar, aber dann, dann sprudelt wieder Hoffnung samt edler Kreativität.
Ich möchte Dinge schaffen, erschaffen, mich ausdrücken, Worte finden, für das, was um mich herum passiert, meine Ängste ablegen, ich möchte mich befreien, ich möchte mein Leben teilen, mit Menschen die mich so schätzen wie ich bin. Und vielleicht wirst so auch du mir einmal begegnen, wo wir dann gemeinsam den Fluss entlang plätschernd zaubern werden ... Ja, manchmal träume ich am besten beim Schreiben dahin

Wann hat deine Krankheit begonnen und wie beschreibst du sie, deine Krankheit?

Christian: Ich war 18 Jahre alt, als ich krank wurde. Mittlerweile sind zwölf Jahre vergangen. Ich habe eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis. Das äußert sich bei mir so, dass ich Probleme vor allem mit meinem Gedächtnis und der Konzentration habe, schnell reizüberflutet bin. Angst ist auch ein zentrales Thema, aber auch Stimmungsschwankungen. Ich erlebe meine Erkrankung als sehr einschränkend.

Ich nehme täglich meine Medikamente. Doch mit dem Einnehmen von Medikamenten ist es nicht getan, manch einer könnte glauben, man schluckt seine Pillen und hat seine Ruhe, lehnt sich zurück und macht sich einen schönen Lenz. Es gehört viel Eigeninitiative dazu, um mit dem Krankheitsgeschehen fertig zu werden.
Meine Erfahrung ist, dass es kein Allheilmittel gibt. Wichtig ist nur, dass man sich rasch in professionelle Hilfe begibt. Jeder Weg ist aber individuell und persönlich.

Nun gut, also was mache ich konkret um mit meiner
Erkrankung fertig zu werden? Neben der fachärztlichen Betreuung, nehme ich in regelmäßigen Abständen Verhaltenstherapie in Anspruch. Diese Form der Therapie, der Unterstützung, ist für mich ein wesentlicher Punkt meines gesamten Genesungsprozesses. Außerdem sei auf das sozialpsychiatrische Angebot hingewiesen, das meinen Aktionsradius etwas größer macht. Zum Beispiel die Ergotherapie-Gruppe, IPT (Integratives Psychologisches Therapieprogramm) und konkrete Unterstützung, um mit dem Alltag wieder vertraut gemacht zu werden. (In meinem Fall dauerte es zum Beispiel etwa 1,5 Jahre, bis ich im Ort wieder halbwegs ohne Ängste einkaufen gehen konnte.) Es geht darum, die richtige Balance zwischen Aktivitäten und Ruhephasen zu finden.

Neben den vielen pathologischen Begriffen, die herumschwirren, die natürlich auch ihre Berechtigung haben, möchte ich gerne meine Definition von meiner Krankheit schildern: Ich spreche von einer Seele, die aufgrund ihrer ureigensten persönlichen Geschichte, auch mit dem, was sie bisher erfahren hat, einen "Dauergipsverband" braucht; die ein Gebrechen aufweist, mit dem behutsam umzugehen ist.

Hoffnung und Glaube an Besserung, in meinen schwierigsten Zeiten waren aber die Eigenschaften, die mich bis hierher gebracht haben. Wenn ich nicht mehr die Hoffnung für mich übernehmen konnte, so haben das stellvertretende Personen übernommen, denen ich bis heute tausendmal Danke sage.

gemalte und gezeichnete bilder von christian

christian winkler

Und diesen Text von mir möchte ich noch mit schicken! Wir hören uns heute Abend im Jugendzimmer!
Christian

Unendliche Ewigkeiten

Meine Liebe unendlich weit,
wird Kreise ziehen, die ganze Zeit um dich,
doch vorsichtig bemüht,
langsam und mit Achtsamkeit.
Die Bäume wehen im durstenden Wind.
Die Kerzen strahlen im bunten, wahnsinnigen Labyrinth.
Immer, bis ans Ende dieser Welt.
Immer, bis ans Ende dieser Welt.
Bin ich auf der Suche nach dir,
Nach dieser meinen zweiten Hälfte.
Alles vergebens, traurig, bitter, traurig im Jetzt.
Ich will und ich will und ich will.
Loslassen.
Von dem altem Schmarrn, der mir hinderlich die Zukunft verbaut,
will frei wie ein Vogel der Freiheit entgegen,
das Sturzfliegen beiseite lassen, dir begegnen, und,
und, du begegnest mir. Oder begegnest nur du mir, und ich erkenne dich dann?
Es wird schon wieder kompliziert. Lass es einfach sein.
Einfach sein.
So höre ich es auch aus dem Wald heraus flüstern.
Oder vom Himmel herab?
Einfachheit und Hoffnung, und dann DU, das ist es,
mein Paradies, fortan, immer nur mehr mit dir.
Das Du und das Ich. Wir sind dann gemeinsam ein Ich und ein Du.
Dafür mein Dank, jetzt schon, geschwind....
Der Wind nun im Sturm, Feuer am Dach und an der Decke,
die mir sonst auf den Kopf fällt. Verwirrend. Zunächst einmal.
Doch dann, dann glätten sich die Wellenwogen, in diesem meinem Bild,
und wenn ich mir es jetzt herauszunehmen wage; "von Anfang an habe ich es geliebt diese wunderbaren Wellenwogen in meinem Bild."
Meine ewigen Bilder für dich, für wie viele Ewigkeiten,
nun ja, das weiß ich noch nicht.

Das FM4 Jugendzimmer ab 19 Uhr

Du kannst mit diskutieren! Entweder per Mail unter fm4@orf.at oder während der Sendung per Telefon.

Die Nummer ins Studio: 0800 226 996
oder international +43 1 5036318

Kontakt zu Christian: lebeninderkapsel AT gmx.at