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Pia Reiser

Filmflimmern

31. 1. 2012 - 12:20

Von wegen "Aloha"

George Clooney heißt hier King, ist aber König und Narr in Personalunion. Im vermeintlich paradiesischen Hawaii hadert er in "The Descendants" mit Verlust, Wut, Verantwortung, Teenager-Töchtern und einem Slacker-Schädel.

Relax steht in Goldbuchstaben an der Hauswand der Familie King und tatsächlich ist ja relax das Versprechen, das einem gegeben wird, wenn man den Fuß auf Hawaii setzt. Der Mann, der aber grad schnell noch in Schlapfen schlüpft, um dann - den goldbuchstabigen Ratschlag ignorierend - watschelnd die Straße runterzulaufen, für den ist der Aloha State ohnehin mehr Paradox als Paradies. Hat er doch gerade erst erfahren, dass seine Frau, die nach einem Bootsunfall im Koma liegt, ihn betrogen hat. Und für uns im Publikum manifestiert sich ein Paradox in der Person, die hier in ausgeleiertem Polohemd und Shorts kurzatmig losschwattelt. Es handelt sich um George Clooney, der in Alexander Paynes "The Descendants" gegen sein Starpersona-Image anspielt. Er, der meist schmoof, überlegen und gut gekleidet agiert, er, der stets die Oberhand behält, ringt hier mit den Händen.

George Clooney

20th century fox

Die Hände reiben hingegen wird sich Payne, der hat mit dieser Besetzung eine Entscheidung getroffen, die seinem Film immerhin fünf Oscar-Nominierungen eingebracht hat. Bereits 2004 will Clooney mit Payne zusammenarbeiten, ihn interessiert die Rolle des Fernseh-Schauspielers Jack in "Sideways". Payne lehnt ab, er will einen weniger bekannten Schauspieler - Thomas Haden Church - für diese Figur. Für die Rolle des Matt King, des plötzlichen Alleinerziehers zweier Töchter, der strauchelnd versucht, seiner Rolle als Vater gerecht zu werden, während er den Mann sucht, mit dem seine Frau eine Affäre hatte, war George Clooney dann Paynes erste Wahl.

Paradise Lost

Und so wird "The Descendants" zu einem, nein, gleich zwei Image-Dementi: Denn nicht nur Clooney widerspricht mit dieser Rolle bisherigen Zuschreibungen, auch Hawaii ist hier nicht das blumenkettenbehangene Idyll, dessen sonnige Ruhe nur durch ein gelegentliches "Aloha" gestört wird. Paradise can go fuck itself, führt uns Matt Kings Voice Over in die Geschichte ein. Krebs, Kopfweh, zerrüttete Familien - nur, weil man hier lebt, sei man nicht gegen das Leben immun. Auf einem Surfbrett sei er das letzte Mal vor 15 Jahren gestanden.

20th century fox

Noch vor diesen Sätzen, ganz am Anfang des Films, findet sich eine einzige Einstellung: Eine lachende Frau auf Wasserskiern, ein blauer Himmel, ein noch blaueres Meer. Elizabeth, Matts Frau, die vor 23 Tagen einen tragischen Unfall hatte. Während sie nun im Koma liegt, wird er gezwungen, aufzuwachen und Verantwortung zu übernehmen. Nicht nur für seine Töchter, grandiose Exemplare in Sachen bestechender Widerborstigkeit, nein, ein bisschen auch für sein Land. Denn Matts Stammbaum geht zurück auf eine hawaiianische Prinzessin und einen weißen Banker und gemeinsam mit einem Rudel Flip Flops tragender Cousins ist er Treuhänder eines riesigen Stücks unkultivierten Landes, an dem zahlreiches Interesse herrscht. Da wär schon noch Platz für eine weitere Hotelanlage. Die Ahnen blicken würdevoll von Fotos auf Matt herab, weit weniger würdevoll wirken die Freizeitkleidungs-Cousins mit dem Bier in der Hand, aber auch das ist ein Charakteristikum Hawaiis, the most powerful men look like bums or stunt men.

Amara Miller und George Clooney in "the descendants"

20th century fox

Kein Pathos, kein Zynismus

Alexander Payne ist kein Mann für Pathos. Dass er diesen auch geflissentlich draußen lässt, wo die Themen - Sterbehilfe, Verlust eines Elternteils, Erbe antreten - geradezu darum betteln, macht auch den Reiz von "The Descendants" aus. Paynes Schlüssel zum Geschichtenerzählen ist stets low key, hier allerdings bringt er Herz mit rein, wo in seinen letzten Filmen - "About Schmidt" und "Sideways" - Zynismus regierte. Beides sind amerikanische Komödien für Leute, die normalerweise weder Amerikanisches noch Komödien mögen. Filme, denen irgendwie ein Dünkel anhaftet, die sich für was Besseres hielten, und sei es auch nur, weil zahlreiche Kritiker ihnen diesen Status verliehen haben. "The Descendants" lässt das alles zurück.

Man könnte dem Film fast Naivität unterstellen, wenn es um Mats wichtige Entscheidung sein Erbe betreffend geht. Eine Entscheidung, die ohne große Rede und orchestralen Soundtrack-Teppich einhergeht. Diesen Vorwurf aber könnte man dann immer, wenn in Filmen ähnlich wichtige Entscheidungen getroffen werden, den Figuren machen. Da geht es immer darum, an etwas zu glauben, woran alle anderen bereits den Glauben verloren haben, da siegt Geschichtsbewusstsein, Familie, Integrität, stets über Geld oder Macht. Aber getragen von Pathos und Überhöhung fällt die "Naivität" weniger auf, im Gegenteil, da werden uns diese Entscheidungen stets mutig präsentiert. Mutig ist es aber hier von Payne sich auf eine gewisse Naivität überhaupt einzulassen, sich weder von Pomp noch Coolness oder Ironie den roten Faden seiner Erzählhaltung verknoten zu lassen.

Stolpernde Männer

Den Zynismus, den Payne, wie er selbst sagt, für nachhaltiger als Sentimentalität hält, lässt er hier draußen. Sentimentalitäten aber eigentich auch. Wo die dysfunktionale Familie sonst in Filmen gern quirky abgebildet wird und Hipster-freundliche Verankerungen in der aktuellen Popkultur sucht, bleiben "The Descendents" diese Anbiederungen fremd. Payne bleibt seinem Thema treu, den Mann im mittleren Alter im Moment des Stolperns abzubilden. Komik und Melodram, Absurdes und Rührendes wechseln einander ab. Exzellent geschrieben, braucht der Film für viele Figuren nicht mehr als drei Szenen, um sie in all ihrer Vielschichtigkeit und Zerrissenheit abzubilden.

Beau Bridges und George Clooney in "the descendants"

20th century fox

Und nicht nur die Erdung des George Clooney war eine kluge Besetzungs-Entscheidung; jede Rolle sitzt hier. Vom gierigen Beau Bridges mit einer ausgewachsenen Grasser-Frisur bis zu den renitenten Töchtern Shailene Woodley und Amara Miller. Von der verletzten Judy Greer bis zum herrlichen Slacker-Schädel Nick Krause, den von der älteren Tochter Alex weise gewählten Gefährten für die schwierige Zeit. Der funktioniert in seiner scheinbaren Einfältigkeit oft wie die Sprachausgabe der eigenen Gedanken während des Films.

"The Descendants" läuft seit 27. Jänner 2012 in den österreichischen Kinos, verkleidet mit dem Verleihitel "Familie und andere Angelegenheiten"

Next Stop: Nebraska

I made “About Schmidt” for Omahans and “Sideways” for residents of Santa Barbara County and for sure this film for Hawaii., so Payne hier im Interview. Sein nächster Film wird - wie "About Schmidt" in Nebraska spielen, dabei würds doch auch noch 47 andere US-Bundesstaaten für weitere humanistische Strauchelgeschichten geben. Wenn man "The Descendants" jetzt sieht, so lastet natürlich der Druck der Oscar-Nominierungen auf ihm und es bleibt die Frage, warum gab's hier fünf Nominierungen und warum bleiben - narrativ wie visuell - beißendere, dringlichere und zeitgeistigere Filme wie "Take Shelter", "Drive" und "Shame" unbeachtet. Das sollte sich dann aber nicht in eine Geringschätzung von "The Descendants" wandeln, sondern in ein Hinterfragen der Oscar-Spielregeln.