Erstellt am: 18. 1. 2012 - 18:26 Uhr
Österreicher wollen nicht neben Migranten wohnen
ÖsterreicherInnen möchten im europäischen Vergleich am wenigsten neben MigrantInnen wohnen. In der europäischen Wertestudie wurden 67.774 Personen in 45 Ländern befragt. Warum ist in Österreich die Antipathie gegen Einwanderer am höchsten? Was sind die Ursachen und was kann zu einer Deeskalation führen? Die Studienautorin – die Politologin Sieglinde Rosenberger – nimmt dazu im FM4 Interview Stellung.

Sieglinde Rosenberger
Sieglinde Rosenberger ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.
Claus Prischner: Sie haben bei der europäischen Wertestudie herausgefunden, dass in Österreich die größte Antipathie gegenüber MigrantInnen vorherrscht; was heißt das denn konkret?
Sieglinde Rosenberger: Die Frage, die gestellt wurde, ist "Wen möchten Sie als Nachbarn haben und wen nicht". Wenn wir diese Frage heranziehen, dann stellen wir fest, dass die Meinungen der ÖsterreicherInnen dahingehend sind, dass sie eine große Unerwünschtheit gegenüber MigrantInnen äußern, dass sie weiters eine große Unerwünschtheit äußern gegenüber Menschen, die zugewandert sind, Menschen, die eine andere Hautfarbe haben, Menschen, die muslimischen Glaubens sind. Das ist auffallend, insbesondere wenn wir diese Unerwünschtheit in Österreich mit anderen Ländern vergleichen. Da nimmt Österreich - um es zynisch zu sagen - eine einzigartige Stellung ein; hier ist die Ablehnung am größten. Weiters stellen wir aber auch fest, dass nicht nur zugewanderte Menschen wenig erwünscht sind, sondern auch Menschen, die zu Minderheiten gehören, Juden und Romani zum Beispiel. Drittens fällt auf, dass die ÖsterreicherInnen in dieser Befragung wenig Interesse daran zeigen, Menschen als Nachbarn zu haben, die psychisch krank, instabil oder drogenabhängig, alkoholkrank sind, etc.
Wie groß ist der Unterschied zu anderen Ländern, kann man das in Zahlen fassen?
Die Ablehnung gegenüber MigrantInnen ist bei etwas über 20 Prozent der Befragten zu beobachten. In Italien, Finnland und Griechenland gibt es ähnliche Werte. Dann gibt es Länder wie Frankreich, wo diese Frage eigentlich keine Rolle spielt.
Können sie sich erklären, warum die Ablehnung in den 1990er Jahren weniger stark gestiegen ist?
Was wir beobachten können ist, dass diese Stimmung gegen "andere" Menschen in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen ist. Die Ursachen dafür dürften vielfältige sein. Wenn man Dänemark oder die Niederlande als Vergleich heranzieht, sieht man, dass es in diesen Ländern auch Ablehnung gibt - deutlich nicht so stark wie in Österreich - und, dass es in diesen Ländern Debatten, Gespräche im öffentlichen Raum gibt. Kritische und negative Aspekte im Zusammenhang mit Migration werden ebenso wie positive Aspekte diskutiert. Das ist in Österreich anders. In den 1990er Jahren gab es noch viel stärkere "pro" Argumente von den Grünen oder stückweit auch von der SPÖ. In den 2000er Jahren ist dann nur mehr der negative Diskurs bezogen auf Migration übrig geblieben.
Was waren die Pro-Argumente und wie sieht der negative Diskurs aus?
Argumentationen, die man in den 90er Jahren noch beobachten konnte - auch in Zusammenhang mit gewissen Krisen - war ein Diskurs, den wir als Diskurs der Menschenrechte, der Humanität bezeichnen. AsylwerberInnen aufzunehmen ist auch eine Angelegenheit der Humanität - Stichwort Kriege in Ex-Jugoslawien. Zweitens gab es sicherlich auch ökonomische Argumente, die Migration als wichtiger Faktor für die ökonomische und soziale Entwicklung. Zumindest zu Beginn der 90er Jahre dürfte der wirtschaftliche Aspekt eine stärkere Kraft dargestellt haben. Das ist in den 2000er Jahren weitgehend verloren gegangen. Ich glaube aber, dass diese Argumente wieder an Bedeutung gewinnen werden, aber das werden wir erst in der nächsten Befragung feststellen können. Der negative Diskurs, der von politischen Akteuren und den Medien aufgegriffen wird, ist ein vielfältiger, der aber sehr viel mit der österreichischen Souveränität zu tun hat, den muss man vielleicht auch in Zusammenhang mit der europäischen Integration sehen. In den 2000er Jahren ist Österreich in der Europäischen Union tatsächlich angekommen, es ist auch deutlicher geworden, was die politischen Spielräume in Österreich sind. Das heißt, das ist ein Diskurs, der Migration mit der EU verbindet, der impliziert, dass Souveränität und Heimatrechte verloren gehen. Die Frage der Sicherheit bzw. Unsicherheit fällt auch in diese Zeit: Migration stellt in der Darstellung von rechten politischen Parteien ein Sicherheitsrisiko dar, deswegen verstärkte Grenzkontrollen und so weiter. MigrantInnen werden also mit Unsicherheit zusammengebracht, möglicherweise auch mit Kriminalität, das ist ein Diskurs, der den Zahlen zwar nicht standhält, aber er wird geführt und scheint sich in den Köpfen festzusetzen.
Sehen Sie den neuen Diskurs, der Migration wieder stärker mit wirtschaftlichen Argumenten führt, in Zusammenhang mit dem neuen Integrationsstaatssekretariat?
Was wir in den letzten beiden Jahren beobachten konnten, ist, dass die österreichische Regierung - nicht unbedingt die österreichische Gesellschaft - sich noch einmal mit dem Phänomen "Migration" auseinandersetzt und das positiver wahrnimmt und vor dem Hintergrund auch die Notwendigkeit von Integration und Integrationspolitik thematisiert. Es wird festgestellt, dass wir ein Einwanderungsland sind und wir in der Folge auch bestimmte rechtliche, strukturelle, institutionelle Maßnahmen zu setzen haben. Dass sich die Gesellschaft wandelt und dieser Wandel sowohl in der Mehrheits- als auch in der Minderheitsgesellschaft zu beobachten ist. Weiters würde die österreichische Wirtschaft ohne MigrantInnen ja über weite Strecken überhaupt nicht funktionieren. Die Wirtschaftsseite ist hier zum Akteur geworden, sie bringt andere Argumente ein und genau das dürfte auch zur Einrichtung des Integrationsstaatssekretäriats geführt haben - nicht die Kritik von NGOs. Es ist jetzt anzunehmen, dass sich alleine durch die Existenz des Integrations-Staatssekretäriats das Reden über Migration, über Chancen und Probleme tendenziell verändert.