Erstellt am: 26. 12. 2011 - 17:12 Uhr
The Hosting Couple
Schon der Anschlag des ersten Gitarrenakkords und das kurz drauf folgende, rumpelnde Schlagzeug versetzt einen sofort zurück in die 1960er. Das Rauschen, das bei den Breaks von "The Drone" sich immer wieder wie eine Welle im Frequenzbereich aufbäumt und lauter wird, das zischelnde Becken, das beim Anschlag durch den Kompressor alles andere zu überdecken droht, die dezent verhallte Stimme, die klingt, als würde man sich ein Kofferradio ans Ohr halten, dieser erdige und unmittelbare Sound macht das sechste Album von Robert Rotifer zu einem wahren Rohdiamanten, unter dessen ungeschliffener Oberfläche sich viele persönliche Geschichten verbergen.

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Back To Canvey Island
Im Alter von zwölf Jahren ist Robert mit seiner Schwester zum ersten Mal nach England geflogen, um eine dieser Sprachferien zu unternehmen, die gerade in den 1980er Jahren bei österreichischen Eltern sehr beliebt waren, die ihre Kinder fördern und zugleich auch mal ein bisschen Zeit für sich selbst haben wollten. Außerdem sind ja Sprachen das Tor zur Welt. Robert ahnte damals weder, was auf ihn zukommen, noch wie dieser Aufenthalt sein Leben maßgeblich ändern würde. Die Gasteltern Mrs. und Mr. Middleton lebten auf Canvey Island, eine 37.000-Seelen-Gemeinde auf einer kleinen Insel in der Mündung der Themse. Von dem großen London, das sich Robert erträumt hatte, war weit und breit keine Spur. Dafür hat der Zwölfjährige die Ausläufer des Mod-Revivals so richtig miterlebt, während in den Medien die Nachwehen vom Falklandkrieg über die Röhrenbildschirme flimmerten. Mit einer Schachtel Maltesers in der Hand schnupperte Robert nicht nur das Wasser der Themse, sondern auch den Vibe des pub rock von Elvis Costello und Dr. Feelgood.
All diese Eindrücke bringt Robert Rotifer in dem zentralen Stück der Platte, "Caney Island", mit seiner gewohnt eleganten Poppoesie auf den Punkt. Zu federleichten Akustikgitarrenakkorden, swingendem Schlagzeug und herzerweichendem Backgroundgesang erzählt uns der erwachsene Singer/Songwriter von seinen Erinnerungen und transportiert mit seiner sonoren, immer etwas brüchig wirkenden Stimme perfekt die Gefühle seines jüngeren Ichs. Nie verklärt oder zu melancholisch, sondern unbeschwert und mit der richtigen Portion Witz blickt er dem Zwölfjährigen liebevoll über die Schulter. Die tiefe Verbindung zu diesen ersten Erfahrungen in England sind mit jedem Ton während diesen viereinhalb Minuten spürbar. Auch wenn Robert in den liner-notes zu "The Hosting Couple" schreibt, nie mehr nach Canvey Island zurückzukehren, so ist dieses Vorhaben bereits gescheitert. Denn es lag nahe, das Video zu "Canvey Island" am Platz seiner Kindheitserinnerungen zu drehen. Darüber hinaus ist es auch ein Treffen der Generationen geworden, schließlich spielt den zwöfljährigen Robert sein gerade genauso alter Sohn, der mit Gitarre und Maltesers durch die wenig begrünte Betonlandschaft der Insel streift.
Jazz Cigatetten im französischen Landhaus
"The Hosting Couple" bietet viele Geschichten, die das Bild von Robert Rotifer komplettieren. Da wäre zum Beispiel das mit charmantem Fuzz-Rock überzogene "Jazz Cigarettes", das Roberts frühesten Bandgehversuchen gewidmet ist. Mit Sechzehn hat er im Qualm von den "Jazzzigaretten" seines damaligen, älteren Schlagzeugers psychedelische Suiten geschrieben, die schon mal bis zu sechzehn Minuten dauern konnten. Leider gingen all diese haarsträubenden Stücke verloren. Mit diesem Song wird zumindest der Geist der damaligen Zeit beschworen. Und mit dem keck dahin groovenden "Way Of The World", das harmonisch eine gewisse düstere Tragik in sich trägt, lässt Robert Rotifer dann doch noch die politische Dimension einfließen, die ihm bei all seinen Werken stets wichtig ist. Diesmal schreibt er jedoch aus der Sicht des schulterzuckenden Durchschnittseuropäers, der meint nichts verändern zu können und dass Bankenkrise, Armut und parteipolitische Propaganda einfach der Lauf der unserer Welt sind.

Robert Rotifer
Dass dieses wunderolle Album es schafft, die Stimmungen, Gefühle und Inhalte auch derart gut zu vermitteln, liegt zum großen Teil an der Art der Produktion, die genau genommen auch die Initialzündung für das Projekt war. Denn das "hosting couple" waren nicht nur die Gasteltern in den 1980ern in England, sondern auch der Musiker Wreckless Eric und seine Frau Amy Rigby, die mit Robert Rotifer unbedingt ein Album produzieren wollten. Obwohl noch nicht genügend Songs geschrieben waren, fuhr Robert mit seinem Bassisten Darren Hayman (bekannt für seine Band Hefner) und Schlagzeuger Ian Button (Gitarrist der großartigen Death In Vegas) nach Frankreich aufs Land. Dort hatte Wreckless Eric sein Studio aufgebaut, vollgestopft mit analogen Geräten und Instrumenten, Bandmaschinen und Kompressoren, sowie alten Mikrophonen. Als Robert, Darren und Ian die Songs live einspielten, mussten sie vor lauter Freude an dem erdigen Sound kichern. Es war wohl wie ein Traum, wenn man einfach in die Gitarre schlägt und das Signal, das durch Bandechos und Röhrenhall geschickt in die Kopfhörer eingespeist wird, wirklich klingt, als würde man in den 1960ern in einem Studio aufnehmen. Weckless Eric, der nach wildem Herumschrauben auf seinen Geräten selbst ganz begeistert vom Sound war, meinte nur trocken "we make a whole album". Und so fand sich Robert zwischen den Sessions draußen im Garten vor dem Studio wieder, um an weiteren Songs zu schreiben. Dort kramte er auch seine Skizzen zu "Aberdeen Marine Lab" heraus, das innerhalb eine halben Stunde zu einem poppigen Ohrwurm "zusammengejammt" wurde.
Back To Vienna
Ebenfalls im Garten von Wreckless Eric und seiner Frau entstand "Creosote Summer", sozusagen die Fortsetzung von "Canvey Island" und zugleich der perfekte, thematische Abschluss der Platte. Zu herrlich dahin schunkelndem Beat und gefühlvoller Slide-Gitarre erzählt Robert von seiner Rückkehr nach Wien, dem Ankommen am Flughafen und der sich schnell einstellenden Erkenntnis, das hier alles beim Alten geblieben ist. Doch der Zwölfjährige spürte noch lange den englischen Wind an den Schultern, und der Geruch des Teeröls im Vorgarten seiner Gasteltern wollte ihm nicht aus der Nase weichen. Selbst wenn alle anderen gewohnt ihrem Leben nachgingen, war für den jungen Robert die Welt nicht mehr, wie sie vorher war.
Mit "The Hosting Couple" ist dem seit über fünfzehn Jahren in England lebenden Musikjournalisten, Autor und Musiker ein kurzweiliges, soundtechnisch großartiges und vor allem berührendes Album gelungen, das bei aller Rückschau und Erinnerung eine gewisse Zeitlosigkeit in sich trägt. Bleibt eigentlich nur mehr das spannende Gedankenexperiment, ob wohl Roberts zwölfjähriger Sohn auch einmal seine Erinnerungen an die jetzige Zeit vertont?