Erstellt am: 20. 12. 2011 - 19:01 Uhr
Glasschwerter im Neonlicht
Zuallerst: Bitte klickt auf folgendes Video und hört euch in aller Ruhe die erste Minute an. Vorskippen gilt nicht!
Das muss man sich erst einmal trauen. New Age-Flöten, Synthies und dann das: Rave-Salven, locker aus der Hüfte gefeuert, ohne Sicherheitsnetz und ohne Genierer. Leuchtgrün, quietschgelb, grellpink - diese Musik ist neonfarben, sie ist laut und kompromisslos, zersäbelt nonchalant eine Handvoll Stilkonventionen und hat die Feuilletons der internationalen Musikpresse dieses Jahr ordentlich durchgeschüttelt.
Dubstep hat ja erst vor wenigen Jahren die weltweiten Clubs überrollt, da wurde er schon von Post-Dubstep, wonky Glitch-Hop-Hybriden und den zahlreichen anderen Ausformungen der Bass Music überholt. Dass ein großer Teil der jungen wilden Urheber dieser kleinen und großen Musikrevolutionen aus dem UK kommt, ist neben bemerkenswert noch bezeichnend für die kreative Aufgeschlossenheit der dortigen Musikszene.

Rustie/Warp Records
"Die elektronische Vertonung des Web 2.0" – so wird "Glass Swords", das Debütalbum von Russel White alias Rustie, oft verstanden. Zwischen Videospiel-Referenzen und Daft Punk-Bezügen jongliert er ohne Berührungsängste mit Dubstep, Hip Hop, Grime und den oben erwähnten Rave-Böllern. Im Zeitalter des allgegenwärtigen Internets und der ständigen Verfügbarkeit von Information hat Rustie in seinem Studio in Glasgow ein kompromissloses, perfektes Popkultur-Potpourri zusammengeschustert.
The Age of Euphoria
Man mag nun nicht musikjournalistentypisch ein neues Zeitalter ausrufen, aber man darf verschmitzt lächelnd gerne bemerken und sich darüber freuen, wie die Euphorie ein kleines Comeback in der Clubmusik feiert. Nach Jahren des seriösen Minimal Techno oder Deep House (die beide ihre Seele und ihren Platz in der unseren haben, klar!) ist mit der Rückkehr von Disco-Hedonismus, Pop-Appeal oder aufgebrochenen, offenen Beatstrukturen schon längst wieder eine Portion fun in die Clubs zurückgekehrt. Man kann sich als Produzierende/r heute alles trauen und wird von der Tanzfläche aus nicht mit Bier angeschüttet, kann Disco, R´n´B, Hip Hop oder Trance, Rave und Rockriffs nach Lust und Laune referenzieren und Genregrenzen pulverisieren, und man kann so unverschämt viel Spaß daran haben, wie man nur will. Keine schlechten Aussichten, oder?
"Glass Swords" leuchtet und blinkt zwar unüberhörbar bunt, ist aber meilenweit von sterilem Hochglanz entfernt und klingt nie billig. Auch bei hohem Tempo bleiben die Beats satt und knackig und die Synthies schneiden eine messerscharfe Schneide durch die Clubluft. Schwerter aus gehärtetem Glas. In all ihrer Hymnenhaftigkeit bleiben Rusties Tracks aber immer charmant schief, wie es bereits Kollege Obkircher in seiner Rustie-Groove-Covergeschichte auf den Punkt gebracht hat. Eine Hedonismusexplosion in Schräglage, die dadurch umso mehr geradeaus schießt. Nicht umsonst ist sein Album bei der Labelinstitution Warp Records erschienen, die schon manch anderen Clubmusikvisionär wie Aphex Twin oder Autechre hervorgebracht und unterstützt hat.
"Glass Swords" von Rustie ist im Oktober bei Warp Records erschienen.
Man mag von Rusties unermüdlichen, musikalischen Adrenalinjagd halten, was man will – in diesem Jahr hat in der Clubmusik jedenfalls kaum ein Weg an ihm vorbeigeführt. Sky´s the limit.