Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Shit Stuff"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

15. 12. 2011 - 16:31

Shit Stuff

Das Jahr, in dem die Konsumgesellschaft sich selbst gegessen hat.

Es ist eine schizophrene Weihnachtsgesellschaft heuer. Alle sollen sparen, weil wir - merke "wir", nicht etwa die, denen wir vor drei Jahren zig Milliarden ins Rektum geschoben haben - über unsere Verhältnisse gelebt haben.

Gemeint sind damit hierzulande all die Deppen, die sich all die Kreditkarten besorgt haben, die man ihnen allerorts unter die Nase rieb, damit sie auch ein bisschen auf Boom und neue Middle Class machen konnten.

Andererseits sollen sie bei aller Sparsamkeit aber auch ganz toll einkaufen, denn wenn einmal die High Street kracht, bricht der ganze schöne Service-Economy-Traum endgültig zusammen.

Leeres Geschäft

Robert Rotifer

Service Economy Ende 2011, wenigstens die Junk Mail wird noch geliefert

Für mich als Kulturfuzzi, der solche Dinge lieber den Ökonomen überlassen sollte, die gerade an vernünftigen Lösungen wie der Rückkehr der Kinderarbeit arbeiten, ist allerdings interessant, wie sich diese deprimierende Zwickmühle im Warenangebot äußert.

Ein Rundgang durch die High Street hat mich dabei auf eine ganz neue Theorie gebracht: Vielleicht beißen die Leute ja auch deshalb nicht an, weil sie von der Konsumgesellschaft nur die schäbigsten Schnuller geboten kriegen. Überall nur schlappes Zeug, nicht einmal Geschenke für Feinde, sondern bloß apathische Scheinprodukte, die der Form halber die Regale füllen. So als hätten selbst die, die diesen Schrott anbieten, keine Lust mehr drauf.

Ein paar gestern aufgeschnappte Beispiele:

Fische auf Holzstöcken

Robert Rotifer

"Was kann wohl in diesem riesigen Paket sein?", fragt sich Papa, während er vor der gebannt zusehenden Familie auspackt. Ah, sieben Holzfische auf windschiefen Stangen. Ihr seid verrückt, das wär doch nicht notwendig gewesen.

Diamond Jubilee Chess Set

Robert Rotifer

Das Diamond Jubilee Commemorative Chess Set erinnert sich jetzt bereits an das 50-jährige Krönungsjubiläum der Königin, das erst nächstes Jahr stattfinden wird. Schwierig eigentlich, weil Prinz Philipp ja kein König ist, und weil ich nicht weiß, ob es britischen Untertanen überhaupt erlaubt sein sollte, gegebenenfalls die Queen vom Brett zu bugsieren. Das übrigens nur 99 Pfund kostet. Plus 199 für die Figuren...

Hug Me Mug

Robert Rotifer

Wir alle leiden täglich minutenlang, während unsere Teetassen noch zu heiß zum Umfassen sind, ehe sich ihr Inhalt handfreundlich abgekühlt hat. Generationen haben deshalb ihre Pulloverärmel überdehnt, das hat dank "Hug Me" jetzt ein Ende. Hoffentlich abwaschbar.

Nodding Bulldog

Robert Rotifer

Ein gewisser Trost ist, dass chauvinistische Europhobe die bei weitem grässlichsten Geschenke kriegen. Hier das passende Maskottchen zum isolationistischen Irrsinn. "The British Bulldog Is Back" (offenbar ein der auf der öffentlichen Erniedrigung von jungen MöchtegernunternehmerInnen durch Superreiche basierenden BBC-Fernsehserie "The Apprentice" entsprungenes Produkt). Sie kann bezeichnenderweise nur abnicken, die britische Bulldogge.

Swarowski Shop in Canterbury

Robert Rotifer

Nicht dass es keine europäischen Marken gäbe auf der britischen High Street. Hier ein blick in den gerade renovierten, bis aufs Personal und eine einzige, verlorene Kundin (abgeschnitten, rechts) völlig leeren Swarovski-Shop.

Kristallzeug

Robert Rotifer

Wenig platte Nasen vor dieser Auslage, warum wohl.

Apple Store

Robert Rotifer

Wobei ich schon auch sagen muss, dass die immer so gelobten Apple-Shops minus Kundschaft auch nicht mehr so wahnsinnig anziehend wirken. Traurig einsame Bildschirmwüsten, wie ein Großraumbüro ohne Sessel.

Wenn das das Aufregendste ist, was das 21. Jahrhundert an Shopping-Experience zu bieten hat, dann lieber gleich in den nächsten Wartesaal. Da haben sie wenigstens den Lesespiegel.

Technology-Abteilung

Robert Rotifer

Let it snow, let it snow, let it snow. Im HMV füllt die rasend interessante "technology"-Abteilung jenen Platz, wo früher einmal Tonträger standen, mit gesichtslosen Geräten, für die niemand mehr Namen außer blutleeren Akronymen einfallen, die sich keiner mehr merken mag.

Die Tonträger braucht zwar offenbar keiner mehr, aber sie hatten einen unschätzbaren Vorteil: Weil überall was anderes drauf war, hätte man vielleicht mehrere davon gewollt. Und nächste Woche sogar wieder neue.

Wie viele ipod-Docks, Kopfhörer, Verbindungskabel, Ladegeräte und Spielkonsolen lassen sich dagegen verschenken, bevor das Spiel aus ist?

Wenigstens gibt es noch "Designer"-Marken.

Animal-Zeug

Robert Rotifer

Ein Animal-Toilette-Set. Schatz, ich hab das gesehen und dabei gleich an dich gedacht.

Ich nehme an, mein Genörgel über diese Tristesse der High Street hat etwas mit meinem Alter zu tun. Aber nur insofern als ich tatsächlich schon zu alt bin, um an den bei der Jugend beliebten Weihnachtsmythos zu glauben, dass Leute in meinem Alter sich tatsächlich über „die schöne Kerze“ oder die Weinflasche im verglasten Holzschaukasten freuen.

Okay, es gibt noch anderes. Zugegebenermaßen nicht hier abgebildet sind: Bekleidungsgeschäfte, weil die Trostlosigkeit der High Street-Mode mein Lebtag schon dieselbe ist.

Und Büchergeschäfte. Deren eifriges Arbeiten an der eigenen Abschaffung würde einen eigenen Blog verdienen, aber aus demselben Grund gehören sie eigentlich auch schon gar nicht mehr hierher, sind nur ein fossiler Teil des Gestern und Ablenkung von einer Entwicklung, die sich viel besser mit dem ausdruckslosen Antlitz eines Kindle darstellen ließe.

Gefühlsmäßig ist nämlich 2011 das Jahr, in dem sich die Konsumgesellschaft selbst gegessen hat. Immer schon gut im Herstellen von Dingen, die keiner braucht, ist sie jetzt angelangt beim Erzeugen von Zeug, das auch keiner mehr will.

Neben all dem verschieden dimensionierten aber sonst beinahe identisch und durchgehend freudlos aussehenden Gerät, das zugleich Uhr, Musikvorspieler, Telefon, Fernsehen, Computer, Spielzeug und Kamera ist und damit alle Uhren, die nur Uhren, Musikvorspieler, die nur Musikvorspieler, Kameras, die nur Kameras etc. sind, ein bisschen arm und überflüssig aussehen lässt, wird uns von nun an nichts mehr übrig bleiben als Fummel, lustlos mit Logos versehener Krimskrams, nickende Bulldoggen und grüne Kristallweihnachtsbäumchen.

Dann aber auch wieder egal, weil sowieso niemand das Geld haben wird, irgendwas davon zu kaufen. Mein Weihnachtsgeschenkstipp für 2021: Essensmarken, Wolldecken, starker Alkohol. Und reichlich Kerzen, ob schön oder nicht.

PS: Geschenkt: Mein Lied zum Blog auf Darren Haymans hiermit empfohlenem klingenden Adventkalender.