Erstellt am: 15. 12. 2011 - 12:45 Uhr
Das subjektive Sicherheitsgefühl
Das Gewerbegebiet von Gänserndorf ist nahezu menschenleer, als die Rekruten Haberfellner und Aufhammer dort zu einer ihrer letzten Fußstreifen abgesetzt werden. Es ist Sonntag und bis auf die Christbaumstände haben alle Geschäfte geschlossen. In zwei Stunden sollen die Rekruten vom ÖAMTC über das Fachmarktzentrum bis zum Gänserndorfer Bahnhof patrouillieren, von wo sie ihr Kommandant wieder abholen wird.

Simon Welebil FM4
Sie umrunden jedes Geschäft und prüfen Türen und Lagereingänge darauf, ob sie verschlossen sind, oder ob "verdächtige KFZ" zu sehen wären. Zuletzt hätte man bei einem Autoersatzteilhändler und beim ÖAMTC Batterien gestohlen, gibt ihnen ihr Kommandant noch mit. Es ist eine langweilige und eintönige Aufgabe, die die Rekruten zu verrichten haben. Die Zeit vergeht nur langsam.
Obwohl die Soldaten seit 2007 keine Exekutivrechte mehr haben, niemanden mehr festnehmen oder durchsuchen dürfen, sind sie voll ausgerüstet, mit Funkgeräten, Ferngläsern, Sturmgewehren und scharfer Munition. Seit der Verlagerung der Schengen-Außengrenze dürfen sie nur mehr das, was alle BürgerInnen dürfen, Tatverdächtige anhalten, bis die Polizei kommt.
Beobachten und Melden
Einmal hätten sie bei einem Lagereingang Einbruchspuren entdeckt, bei einem Supermarkt in Strasshof. Sie haben gleich Meldung erstattet, sich ein wenig zurückgezogen, die Türen weiter beobachtet und auf das Eintreffen der Polizei gewartet. "Es hat sich dann herausgestellt, dass es ein alter Einbruch war, leider", meint einer der Rekruten, "aber da ist es heiß hergegangen. Man fragt sich, ob die noch da drin sind, ob es mehrere Leute sind, sind die dann bewaffnet? Da ist dann die Pumpe ganz schön gegangen."

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Über die Aufgaben "Beobachten und Melden" wären seine Soldaten eigentlich schon hinweg, erklärt Vizeleutnant Ruiter. Das lerne man in den ersten 24 Tagen beim Bundesheer. In den letzten fünf Monaten hätte er die Grundwehrdiener eigentlich zu schwierigeren Aufgaben ausgebildet, zu Gebirgsjägern: "Mein Zug ist ein Kampfzug. Das heißt, er hat eine vier Monate lange intensive Ausbildung hinter sich, im Hochgebirge, im Kampfgruppenschießen, hat Gefechtsdienstleistungsbewerbe absolviert. Auf einmal kommt er nach Niederösterreich und versieht dort fünf Wochen seinen Dienst mit Beobachten und Melden. Das ist einem Soldaten schwer zu erklären."
Highlights unterbrechen die Eintönigkeit
In der letzten Woche ihres Assistenzdienstes haben sich die Soldaten mit ihren Aufgaben abgefunden. Highlights sind selten, dann aber umso interessanter. Vor Kurzem sind Leute aus ihrem Bataillon Zeugen eines Einbruchs geworden. Ein Tresor wurde aus einem Schuhgeschäft gestohlen und die Soldaten haben zur Verfolgung der Täter angesetzt. Im "Straßengewirr von Gänserndorf" seien sie ihnen aber entkommen. Durch Vorfälle wie diese fühlen sich die Grundwehrdiener in einer sinnvollen Tätigkeit bestätigt. Der Assistenzeinsatz sei zwar nicht mehr so sinnvoll wie früher, aber die Bevölkerung würde sich durch die Soldaten sicherer fühlen.

Simon Welebil FM4
Vor allem im Wohngebiet, durch das sie jetzt patrouillieren, würde ihnen immer wieder Sympathie bezeugt, erzählen die Rekruten, und ab und zu stecke man ihnen Süßigkeiten zu. Heute ist kaum jemand auf der Straße. Die einzige Person in Zivil, die ich treffe, fühlt sich weder bedroht, noch ist sie überzeugt vom Sinn der Patrouillen. "Ich glaub nicht, dass sie jemanden abschrecken würden. Jeder, der einbrechen will, weiß doch, wo die gehen, und die gehen recht langsam. Das heißt man kann eine halbe Stunde davor abgneißen, wo die Soldaten eine halbe Stunde später sein werden. Insgesamt glaube ich nicht, dass das diesen Einsatz und das ganze Geld rechtfertigt."
Großer Zuspruch
Mit dieser Meinung ist sie im Bezirk Gänserndorf allerdings in der Minderheit. Glaubt man einer Umfrage im Auftrag des Innenministeriums, so fühlen sich 76% der BewohnerInnen des Bezirks durch das Bundesheer sicherer und 86% sprechen sich für eine Fortsetzung des Assistenzeinsatzes aus.
In der (Teil-)Gemeinde Zwerndorf, einem der letzten Stützpunkte des Bundesheeres im Assistenzeinsatz, wird die Sympathie für das Bundesheer besonders deutlich. Zur Abschiedsveranstaltung kommen nicht nur der Bürgermeister, ein Vertreter der BH, ein ÖVP-Nationalrat und der Bezirkspolizeikommandant, sondern auch ein Drittel der 300 EinwohnerInnen.

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Die Stimmung ist wehmütig, als das Jägerbataillon 24 die Flagge einholt. Das ist nicht nur vom Rednerpult aus vernehmbar, wo die tolle Zusammenarbeit von Bundesheer und Behörden betont wird, sondern auch von den ZuseherInnen. "Sie werden uns abgehen", hört man immer wieder und "Sie haben uns sehr geholfen". Nötig wäre der Einsatz des Bundesheeres vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs gewesen, als hier im Bezirk viele Autos gestohlen wurden. Nicht von "ursächlich Kriminellen", wird betont, sondern von Flüchtlingen, die das erstbeste Verkehrsmittel für ihr Weiterkommen genommen haben. Die Autos wären dann Monate später in Italien aufgetaucht, mit Strafzetteln übersät.
Kaum grenzüberschreitende Kriminalität
Illegale Grenzgänger gibt es mittlerweile selten im Bezirk, und die Kriminalität wäre hier nicht grenzüberschreitend, erzählt der Bezirkspolizeikommandant Oberst Kirchner. Die meisten Delikte hätten in Wien ihren Ursprung. "Das Ballungszentrum Wien birgt ein gewisses Potenzial an Kriminalität. Viele Tätergruppen operieren vom Wasserkopf Wien aus und führen ihre kriminelle Tätigkeit in den Randbezirken durch."

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Die Sinnhaftigkeit des Assistenzeinsatzes will der Bezirkspolizeikommandant nicht bewerten, das müssten sie in den Ministerien tun, er schätzt aber, dass man die Grundwehrdiener anders einsetzen kann als Polizeibeamte. Allein dienstrechtlich kann man keine PolizistInnen zwölf Stunden lang eine Baustelle observieren lassen, von der Baumaterial gestohlen wird, von der Bezahlung gar nicht zu reden.
Prävention nicht messbar
Oberst Kirchner hebt auch die Präventionsleistung des Bundesheeres hervor, das allein durch seine Präsenz viele Delikte verhindern würde. Diese Präventionsleistung wäre aber nicht messbar. Ebensowenig wie das "subjektive Sicherheitsgefühl", das das Bundesheer der lokalen Bevölkerung durch seine sichtbare Streifentätigkeit gibt.
Jetzt müsse eben die Polizei sichtbarer werden, meint Oberst Kirchner. Vor allem aber solle die Bevölkerung verantwortungsbewusster werden: "Die Zusammenarbeit mit dem Bundesheer hat gezeigt, dass viele Objekte nach wie vor nicht versperrt werden, dass Leute in Geschäfte gehen und die Autos unversperrt mit laufendem Motor draußen stehen lassen. Es ist auch bei Objekten so, dass diese offen sind. Man kann in Bauernhöfen bis in die Wohnhäuser nach vorne gehen und sich dort nehmen, was man will. Da muss man an das Bewusstsein appellieren, dass ich für mein Eigentum mehr Vorsorge treffen muss."

Simon Welebil FM4
Nachdem das Bundesheer seine Flagge vor dem Zwerndorfer Gemeindezentrum eingezogen hat, gibt es noch ein gemeinsames Mittagessen aus der Gulaschkanone. Bevölkerung, MusikantInnen und SoldatInnen sitzen nebeneinander in der Garage der Feuerwehr, essen Gulasch und reden über die letzten Jahre in dem kleinen niederösterreichischen Ort. Einige werden ihre lieb gewonnenen Gewohnheiten aufgeben müssen, etwa die Frau, die jeden Tag seit fünfzehn Jahren zwei Wurstsemmel und zwei Stück Gebäck am Gefechtsstand vorbei bringt. "Die Einbrüche werden sicher steigen", meinen die einen, andere haben einen pragmatischeren Zugang: "Es muss wieder ohne Bundesheer auch gehen, wie es ja lange Zeit vorher gegangen ist."
Bevor alle gehen, will ein Rekrut noch etwas anbringen: " Ein kleiner Appell an die Bevölkerung da herunten in den Grenzgebieten, Niederösterreich, Burgenland, etc.: Ihr müsst in Zukunft auf euren Krempel selbst aufpassen. Schaut einfach. Wir sind leider nicht mehr da, dass wir auf euch aufpassen, aber ich wünsch euch alles Gute und dass es bei euch daheim nix gibt."
Das Jägerbataillon 24 rückt heute, am 15.Dezember aus dem Assistenzeinsatz ab. In zwei Wochen werden sie in der Heimat gebraucht, bei der Präparierung der "Streif" in Kitzbühel.