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Susi Ondrušová

Preview / Review

11. 12. 2011 - 17:35

Musik zum Anschauen.

Das Innenleben von Sigur Ros und aktuelle Alben von Bon Iver und PJ Harvey werden mit neuem DVD Material neu veröffentlicht.

arcade fire

Kann sich noch jemand an Wallpaper erinnern? Richtig: Desktophintergründe zum Runterladen und immer wieder drauf starren. Das waren noch Zeiten, als sowas banales zu einem Fan-Goodie zählte. Heute reicht weder das noch ein personifizierter Blog oder die tägliche Statusmeldung aus, um die Fans bei Laune halten, sie käuflich und künstlerisch für sich und die eigene Musik zu begeistern.

So haben Arcade Fire also eine filmische Übersetzung ihres "Suburbs"-Albums mit Spike Jonze als Bonus DVD veröffentlicht, da waren sie schon die Grammy-Gewinner. Ein Recherche-Blick in mein Plattenregal erinnert mich daran, dass Mogwai die beste Liveband aller Zeiten sind und dass Cat Power, bevor sie sich mit ihrer Dirty Delta Blues-Band neu entdeckt hat, ihre "stripped down" Phase auf Film gebannt hat. Speaking For Trees: Ein Muss für jeden Fan.

3. Sigur Ros

Eine Band, die schon seit immer begriffen hat, dass Musik nicht mehr nur der Song ist, sondern die Geschichte, die Persönlichkeit, das künstlerische Statement, das sich eben nicht im Internet komprimieren lässt, das sind Sigur Ros, die dieser Tage ihr Livealbum/Livefilm "Inni" veröffentlichen.


Schon ihr fünftes Album Með suð í eyrum við spilum endalaust haben sie als Buch veröffentlicht, mit Fotos und einem filmischen Portrait zum Entstehungsprozess dieses Albums. Dann kam der sehr aufregenden Tourfilm "Heima", der die Band auf Tour durch Island zeigt, an Orten wo noch nie Bands aufgetreten sind. Ein wenig Werbung für das Land, aber allem voran ein Dokument, das erklärt, wo diese wundersame Band herkommt. Mit "Inni" veröffentlichen Sigur Ros nun ihr erstes Livealbum und legen gleich einen Livefilm drauf.

sigur ros

Aufgenommen beim Konzert im Alexandra Palace in London, haben sie mit Vincent Morisset (u.a. Arcade Fire´s "Miroir Noir") und Karl Lemieux ("visual expert" von Godspeed You! Black Emperor) zusammengearbeitet und keine analogen Techniken gescheut, um dem Titel dieses Werkes gerecht zu werden: Inni heißt soviel wie "innen" und soll im Vergleich zu den Naturaufnahmen auf "Heima" das Innenleben der Band darstellen. Man soll nun filmisch sehen, wie es sich "anfühlt Sigur Ros beim Spielen zu sehen."

Ich war noch nie bei einem Sigur Ros Konzert mit offenen Augen, also reicht mir das als Prädikat "wertvoll". Um mich aber endgültig für diese DVD zu begeistern, hilft auch der wundersame Produktionshinweis: "Inni was first transferred to 16mm film and then projected and re-filmed once, sometimes through glass and other objects to give a strong impressionistic look!"


2. Bon Iver

ond

„So steh ich bei einem Konzert!“

Ach Bon Iver, Bon Iver, warum hast du noch nie in Calgary oder Vienna gespielt? denk ich mir, als ich Anfang November in Berlin stehe und nach einem Besuch am Merch-Stand versuche, einen Platz in der ausverkauften Columbiahalle zu ergattern. Gesehen hab ich wenig, gehört genug. Zwei Schlagzeuge und allerlei Blasinstrumente.

sarah cass

„So greif ich nach dem Grammy!“

Ein Publikum das in den oberen Rängen mucksmäuschenstill und kerzengerade dasteht und nur mitsingt, wenn es das alte Lagerfeuer-Material verlangt.

Bon Iver weiß, dass die eingekauften T-Shirts (die Daseins-Stempelmarken der Indiekids) irgendwann mal ausgewaschen und verschrumpft sein werden, so ein Videoclip hat da natürlich eine längere Halbwertszeit. Aber moment, nein nein, ich rede nicht von der Leibesübungen-DVD die dokumentiert, wie sich die Bon Iver Crew fit hält:

Ich weiß übrigens auch, wie man sich Backstage-Zeit vertreiben kann: Interviews geben!

Keine Angst, Justin Vernon ist kein Bonnie Prince Billy und wechselt sicher nicht ins Schauspielfach. Die zehn Videos zu seinen aktuellen Songs zeigen nicht die Band, sondern vor allem die Plätze und Orte, an die man sich beim Hören vom Album katapultieren möchte. Kraft der Musik wird durch die Kraft verschiedenster Naturelemente dargestellt.



1. PJ Harvey

seamus murphy

Am 12.12. ab 19 Uhr in der FM4 Homebase: PJ Harvey live am Roskilde Festival (aufgenommen an 30.6.2011).

Über PJ Harvey kann man nicht genug lobende Worte finden. Ende des Jahres gehen einem immer wieder gerne die Superlative aus, also pappt man einfach ein "Nummer 1" auf die Bestenlisten und gut ist. PJ Harvey hat heuer mit „Let England Shake“ ein für ihre Begriffe eigentlich sehr typisches Album gemacht: ein anspruchvolles. Eines, das auf der musikalischen Ebene die HörerInnen in einen Sog zieht und auf der inhaltlichen Ebene die Fragen stellt, die man nicht mehr nur zwischen den Zeilen der Tageszeitungen lesen kann: "What if I take my problem to the United Nations..."

"Let England Shake" beschäftigt sich unter anderem mit den Folgen von Krieg für Menschen in ihrem Alltag. Und Krieg ist überall. Ihre Neuauflage von "Let England Shake" beinhaltet nun auch die Videos von Seamus Murphy, der durch seine Fotoarbeit "Darkness Invisible" auf sich aufmerksam gemacht hat.

Aus einer Art Recherche-Freundschaft und langen Telefon-Gesprächen über Seamus Murphys Erlebnisse vor und während des Krieges in Afghanistan und PJ Harveys Fragen nach Identität und Heimatbegriff (letztendlich aber auch aus ihrer Verantwortung, für ein künstlerisch nachhaltiges Statement einzustehen) haben sich zwölf Videoarbeiten herausgeschält, die eine "photographic journey through England" darstellen. Berührend. Sehr.