Erstellt am: 22. 11. 2011 - 23:56 Uhr
Auch ein Reality Check
Heather McGregor hieß sie, die Frau, die mir heute morgen das Müsli im Hals stecken bleiben ließ. Da war sie, eine Headhunterin in der City, in einem Streitgespräch mit Deborah Hargreaves von der High Pay Commission, einer unabhängigen Plattform, die sich die explodierenden Einkünfte des obersten Promille der britischen Bevölkerung aufs Korn genommen hat (das durchschnittliche Gehalt der Manager von FTSE100-Firmen ist in den letzten 30 Jahren um sagenhafte 4000% gestiegen, allein im letzten Jahr um 49%, bei gleichzeitig sinkenden Reallöhnen für den Rest der Bevölkerung).
Angestellte als die Kinder des Chefs
All das ginge niemand was an, ließ Frau McGregor uns wissen, denn die Entlohnung von Managern sei ausschließlich Angelegenheit der Aktionäre. Der Erwähnung des Vorschlags der High Pay Commission, den Angestellten einer Firma in der Entlohnung ihres Chefs Mitbestimmung zu ermöglichen, begegnete sie mit einem vielsagenden Gleichnis:
Man würde sich schließlich auch nicht von seinen Kindern erklären lassen, wie man mit seinem Geld umzugehen habe. Im übrigen brauche jedeR, der/die über das Alter von sieben Jahren hinaus Probleme mit der Ungerechtigkeit der Welt habe, dringend einen „reality check“.

eastlondonlines
Wie gesagt, das Zusammenspiel von Müsli, Schwerkraft und Schluckreflex geriet angesichts dieser Aussagen einigermaßen durcheinander. Nicht nur wegen der locker ausgesprochenen Gleichsetzung von Angestellten und Kindern, sondern mindestens genauso wegen der Selbstverständlichkeit, mit der McGregor den offensichtlichen Irrwitz eines außer Rand und Band geratenen Systems als völlig unverrückbar präsentiert.
Dieses Beschwören scheinbarer Gottgegebenheiten ist im medial geführten Propagandakrieg der Wirtschaftskrise die perfideste aller Waffen. So zu tun als gäbe es schlicht keine Alternativen, weder zur rapide wachsenden Ungleichheit in der Welt, noch zu den „notwendigen Reformen“, die notfalls durch das Aussetzen demokratischer Prozesse durchgesetzt werden müssen.
Im Gespräch hier in Großbritannien unter anderem die Senkung des Mindestlohns und der weitere Abbau des Arbeitsrechts inklusive einer Abschaffung der EU-Höchstarbeitszeitsrichtlinien.
Dabei gibt es jetzt schon eine Gruppe, für die all das nicht zu gelten scheint. Nicht unbedingt die von Heather McGregor so verachteten, gerechtigkeitsverblendeten Kinder, aber die Jugendlichen.
Die britische Strategie gegen Jugendarbeitslosigkeit: Unbezahlt Regale schlichten
Laut letzte Woche veröffentlichten, offiziellen Zahlen stellen sie mehr als eine Million von 2,62 Millionen britischen Arbeitslosen.
Nicht darin enthalten sind natürlich jene seriellen PraktikantInnen, die gezwungenermaßen jahrelang ohne Bezahlung arbeiten – in Großbritannien übrigens schon lange nicht mehr ein auf die wohlhabenden, vom Elternhaus gesponserten Schichten beschränktes Syndrom. Dafür haben nicht zuletzt die notwendigen Reformen seitens der in Sachen Sparkurs wegweisenden britischen Regierung gesorgt.
Wie ebenfalls letzte Woche zu Tage kam, schlichten nämlich Jugendliche auf Vermittlung des Department for Work and Pensions unter dem Deckmantel der „work experience“ bis zu acht Wochen lang Regale in Supermärkten, unter der Drohung, andernfalls ihre 53 Pfund Job Seekers Allowance zu verlieren.
Man kann sowas Ausbeutung nennen, oder Zwangsarbeit, eine staatliche Subvention der Supermärkte, ein Unterwandern des Hilfsarbeitsmarkts durch unbezahlte Konkurrenz, eine Art von Reality Check (falls der/die jugendliche Arbeitslose noch an so realitätsferne Kindereien wie Fairness glauben sollte).
Oder auch ein perfektes Rezept für einen sozialen Kollaps, der die Straßenunruhen vom letzten Sommer wie ein Picnic aussehen lassen wird.