Erstellt am: 20. 11. 2011 - 13:53 Uhr
Ein Buch wie ein Bissen Brot
- Länge des für Österreich von den Nazis geplanten Autobahnnetzes in Kilometer: 1422
- Fertiggestellte Autobahnkilometer in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg: 16,8
Die Familie sitzt beim Weihnachtsessen, und weil gerade alle da sind, kann der Opa einmal allen erklären, wie die Welt so ausschaut. Wie uns die Ausländer die Arbeitsplätze wegnehmen, wie sie uns das Sozialsystem kaputtmachen und warum sich die Enkelin hüten soll, sich etwas mit einem Muslimen anzufangen.
Den Enkelkindern bleiben (nicht zum ersten Mal) die Griesnockerl im Hals stecken und das ist auch ganz gut so. Denn natürlich hat Opa nicht Recht, aber es fehlen die Fakten, um seine durch jahrzehntelangen Kleinformatkonsum eingeübten Vorurteile glaubhaft zu entkräften.
- Erwerbsquote von Türkinnen in Österreich 2010: 33,4 Prozent
- Erwerbsquote von Österreicherinnen 2010: 67,8 Prozent.
- Erwerbsquote von Österreicherinnen 1991: 36,4 Prozent
Die Falter-Journalistin Nina Horaczek und der Rechtsanwalt Sebastian Wiese haben sich an 52 klassisch österreichischen Vorurteilen abgearbeitet und präsentieren die Ergebnisse ihrer Recherche in Buchform: Das Handbuch gegen Vorurteile bietet die perfekte Argumentationslinie samt aktuellen Daten und Fakten, um gegen Stammtischparolen anzugehen.
Natürlich fällt dem Populisten ein schnelles "Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg" leichter, als eben diese Aussage plausibel zu entkräften - dann hilft auch das Handbuch nur bedingt. Schließlich hat man es nicht die ganze Zeit mit, um darin nachzuschlagen. Und wer kennt schon aktuelle Arbeitsmarktstatistiken auswendig?

Czernin Verlag
Nach denen sind etwa 70 Prozent der MigrantInnen am Arbeitsmarkt in Produktion und Bau, im Haushalts- und Restaurantbereich, in Kranken- und Altenpflege tätig. Alles Bereiche, die nicht besonders viel Sozialprestige genießen deswegen auch nicht ausschließlich mit ÖsterreicherInnen besetzt werden könnten.
Weniger überraschend ist vielleicht die Tatsache, dass MigrantInnen weniger mit ÖsterreicherInnen um Arbeitsplätze konkurrieren, als mit anderen MigrantInnen. Das hat man sich vielleicht schon gedacht, im Handbuch gegen Vorurteile aber ist die Quelle angegeben, nämlich das WIFO-Weißbuch.
Buchpräsentation
Nina Horaczek und Sebastian Wiese präsentieren das Handbuch gegen Vorurteile am Montag, 21.11.2011 um 19 Uhr im Gasthaus Stern in Wien Simmering. Dort gibt es eine Stammtischdiskussion mit Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, Flüchtlingshelferin Ute Bock und der Chefredakteurin von M-Media, Clara Akinyosoye.
Das Handbuch gegen Vorurteile konzentriert sich fast ausschließlich auf populistische Aussagen von rechts außen: In den meisten Kapiteln geht es um Ausländer, Islam und das Dritte Reich, ansonsten sind nur noch der EU drei Kapitel gewidmet. Damit bewegt sich das Buch in einem nachvollziehbaren Rahmen.
Jede Menge wichtiger und vielleicht auch von der Zielgruppe intelligenter SelbsthinterfragerInnen oft und unbewusst verwendete Vorurteile werden aber ausgelassen. Vielleicht gibt es ja bald Band zwei, der sich mit faulen Dicken und pädophilen Schwulen beschäftigt.
Bis dahin haben JournalistInnen wie Enkelkinder mit dem Handbuch gegen Vorurteile 300 Seiten akribisch aufgearbeitete Argumentationslinien samt Quellenangaben zur Verfügung, um Opa in die Schranken zu weisen. Und selbst wenn das Buch nicht zur Hand ist: Einige wichtige Zahlen und Fakten bleiben einfach hängen.
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Opa wird über fundierten Widerspruch nicht erfreut sein, aber von Weihnachtsfriede kann da ja längst keine Rede mehr sein und vielleicht bringt ihn das Enkerl doch noch einmal zum Nachdenken.