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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

10. 11. 2011 - 17:00

Do the bohemian dance

Ein finnisch-französisches Studio-Duo therapiert uns und sich selbst mit experimentellem Pop. Das bezaubernd eckige und berührend schräge Album "Both Ways Open Jaws" von The Dø.

Eine sanft dahin fließende Keyboardmelodie von Dan Levy und die zerbrechliche Stimme von Sängerin Olivia Merilahti, mehr braucht es nicht, um sofort in die neue Klangwelt von The Dø hineingesogen zu werden. Doch auch wenn sich das finnisch-französische Duo bei dem Eröffnungssong "Dust It Off" sehr ruhig und beinahe naiv gibt, erzeugt es gleichzeitig eine erfrischende Spannung, die sich fortan durch das ganze neue Album zieht. Außerdem hat "Both Ways Open Jaws" viele Überraschungen parat. Denn eines sind The Dø sicherlich nicht: Berechenbar.

Bandfoto  Olivia Merilahti and Dan Levy from The Do

The Do

Die zwei Arme des Monsters

Schon vor Jahren hat mich der Auftritt von Olivia und Dan beim Southside Festival komplett umgehaut. Es waren die Energie und der rotzig gespielte Indierock, mit denen das quirlige Duo ihre poppigen Stücke umsetzten, ohne dabei die zerbrechlichen Studiokompositionen ihres Debüts "A Mouthful" durch exaltierte Performance zu zerschlagen.

Sie können eben beides. Gleichzeitig gefühlvoll ruhig und energetisch kantig sein. So ähnlich verhält es sich auch mit dem mehr als würdigen Nachfolgewerk "Both Ways Open Jaws", bei dem mir öfter die sprichwörtliche Kinnlade offen blieb. Bei dem eingangs erwähnten "Dust It Off" setzt nach einschmeichelndem Kuschelkurs nämlich eine gewisse Entfremdung ein. Denn Olivias Vocals werden zerstückelt und wieder neu zusammengesetzt. Diese Dekonstruktion erfolgt nicht mit der Holzhammermethode, sondern behutsam unter der wundervollen Oberfläche, die Dan mit seinem geschickten Händchen für dramatische Komposition aus flächigen Keyboard- und Trompetenlinien zusammen flechtet.

The Do Albumcover "Both Ways Open Jaws"

The Do

Das darauf folgende "Gonna Be Sick" überrascht dann gleich mit hölzernem, knöchernen Sound. Neben Bass und akustischer Gitarre fallen sofort die verschiedensten Persussioninstrumente auf, die munter durch die Songrhythmik hüpfen. So knüpfen The Dø ein cleveres Spannungsfeld zwischen organischen Instrumenten und elektronischer Metamorphose und dehnen es über das ganze Album aus. Olivia und Dan seien selbst wie ein zweiarmiges Monster, wenn sie im Studio zusammen arbeiten. So beschreibt es zumindest die manchmal etwas kühl wirkende Sängerin. Diese Dualität spiegelt sich auch im Albumtitel wider, der sich auf die einerseits leicht aggressive Energie und andererseits auf das Streben nach behütendem Selbstschutz bezieht. Denn die wohl poppigste Nummer "Too Insistant" ist eine sehr intime, recht komplexe und eigentlich offenherzige Reflexion über Liebesbeziehungen, umgesetzt in einem berührend großartigen Video.

Von Mondmeerjungfrauen und Steinzeitmenschen

Aufgenommen wurde dieses verzaubernde Popalbum in einem kleinen Landhaus irgendwo in Südfrankreich. Dorthin haben sich The Dø zurückgezogen, um frei von Erwartungshaltungen und Businessdruck experimentieren zu können. Denn Produzent und Komponist Dan ist leidenschaftlicher Klangforscher, der gerne in freier Natur seine Mikrophone aufbaut und mit spontanen Sessions beginnt, um das Knochengerüst der Songs in atmosphärische Soundwelten aufzubauen.

The Do Bandfoto

The Do

Wo a Grillen zirpen... The Dø lieben es nuter freiem Himmel inren Sound-experimenten nachzugehen. Für "Both Ways Open Jaws" zog sich das Duo in Südfrankreich aufs Land zurück.

In einer Vollmondnacht ist die geheimnisvolle Schlussballade "Moon Mermaids" entstanden, in der man neben Klavier, Stimme und Blasinstrumenten ein durchgehendes Grillenzirpen hören kann. Sängerin Olivia erwischt dabei genau die richtige Mischung zwischen aneckender Eigenwilligkeit und harmonischer Eingängikeit, die Björk früher meisterlich beherrscht hat.

Neben den ruhigen, beschaulichen Stücken haben The Dø auch treibende Songs zu bieten, die das Tanzbein zum Zucken bringen. Eine solche Nummer ist "Slippery Slope", ein erdiges und schräges Beatmonster, durch das sich das ungleiche aber perfekt harmonierende Duo in ein Steinzeithöle zurückversetzt gefühlt hatte. Ausgerüstet mit lediglich einem Holzstock wird auf alles getrommelt, was man finden kann. So entstande ein M.I.A.-hafter Track, dessen seltsam animalischer Rhythmus trotz des kurzen Popformats eine hypnotische Wirkung erzeugt.

Tanz für die Leichtigkeit

"Both Ways Open Jaws" vereint alles, was an The Dø faszinierend und liebenswert ist. Unbändige Experimentierfreude, musikhandwerkliches Geschick, den Mut zu ungewöhnlichen Arrangements und Harmoniefolgen, das Gefühl für emotional tief gehende Gesangslinien und Refrains, sowie eine ungeschminkte Reduktion auf die wesentlichen Elemente der Songs die auch bewirkt, dass die oft filigranen Kompositionen in fast jeder Form ebenfalls auf der Bühne funktionieren.

The Do Bandfoto

The Do

Stellenweise driftet "Both Ways Open Jaws" leider etwas in klassische Folkgefielde ab, unter dem Strich bleibt jedoch ein wundervolles Gefühl zurück, ein besonders Album gehört zu haben. Und das ist schließlich auch das Ziel von The Dø. Mit Musik Menschen ein Gefühl der Leichtigkeit und Momente des Glücks zu verschaffen.

Darüber hinaus hat das Songschreiben für Olivia auch den therapeutischen Zweck, sie selbst glücklich zu machen. Nicht umsonst ist das absolute Highlight der Platte "Bohemian Dances " eine grenzgeniale, sich langsam aufbauende und immer intensiver werdende Hymne an die Sorglosigkeit, Unbeschwertheit und Leichtigkeit im Leben. Und das haben wir alle ja von Zeit zur Zeit wirklich nötig.