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Andreas Gstettner-Brugger

Vertieft sich gern in elektronische Popmusik, Indiegeschrammel, gute Bücher und österreichische Musik.

8. 11. 2011 - 18:39

Oh Schwunder, was soll es bedeuten

Mit seinem dritten Album "Schwunder" legt Nino Aus Wien ein sprödes aber schönes, verwinkeltes aber einnehmendes, kontroversielles aber berührendes Werk vor. Mich schwundert da gar nichts mehr.

Zu Beginn konnte ich mir die Faszination am "Phänomen" Nino Aus Wien nicht wirklich erklären. Was war so großartig an dem recht eigensinnigen und sich verwehrenden Liedermacher, dass die österreichische Medienlandschaft im Gleichklang Lobeshymnen anstimmte? Für mich erschlossen sich die manchmal verhatschten Kompositionen ebenso wenig. Mein Versuch, zu der verschrobenen Welt des verschlossen wirkenden Künstler einen Zugang zu finden, scheiterte. Umso mehr ich den Nino jedoch verfolgte - medial, nicht stalker-mäßig, versteht sich - desto mehr begriff ich, was diesen smarten Jungen so interessant macht. Es ist dieser schmale Grad zwischen Verweigerung und Offenbarung, zwischen Kunstfigur und autobiographischer Selbstdarstellung, zwischen banalen Alltagsbeobachtungen und lyrischer Poesie.

Außerdem muss man dem Nino zu Gute halten, dass er endlich die alte Rot-Weiß-Rot-Dinosauriergarde abgelöst und ihren utopischen Allmachtsanspruch auf die heimische Popmusik pulverisiert hat. Als zu erwartende Reaktion wurden dem Wiener Musiker gleich verschiedenste Stempel aufgedrückt. "Neuer Austro-Pop" (was immer das auch sein soll) war nur einer davon, der den Wiener Musiker selbst auch ein wenig verwirrt dreinblicken ließ. Umso wichtiger war es wohl, mit dem dritten Album einen neuen Haken zu schlagen.

nino aus wien singt

Pamela Rußmann

Das Uhrwerk zurückdrehen

Schon mit der ersten Nummer "Urwerk" wird klar, dass diese Platte anders ist. Mit fast schon krautrockigem Unterton werden hier mit warmen Beatles-Orgeltönen die 1960iger beschworen, wobei dieses Stück mit seinem mäandernden Sprechgesang und dem repetitiven Grundtenor auch Velvet Underground anklingen lässt. So zumindest will es der Künstler selbst verstanden wissen. Und damit hat er auch nicht ganz Unrecht. Darüber hinaus ist der Text von "Urwerk" wirklich ein Glanzstück. Die irrwitzige, traurige und hypnotisierende Spirale von Gedankenassoziationen zu Langeweile, Einsamkeit und Kurzsichtigkeit lässt einen bis zum Schluss nicht los und hinterlässt das Gefühl, beim ersten Durchlauf nicht alles mitbekommen zu haben. Deshalb wird noch mal an den Anfang der Nummer gespult um zu überprüfen, welchen Satz Nino an die Wand sprühen will, damit ihn jeder hassen kann und warum sich eigentlich ein Taxifahrer besser ausdrücken kann, als der Komponist des Liedtextes.

Nino Aus Wien Albumcover

Nino Aus Wien

Das dritte Nino Aus Wien Album "Schwunder" erscheint am 11.11. auf Problembär Records.

Inspiriert von dem Film Cafe Elektric, entstand ein gleichnamiger Song, der mit seinen "im Fieber der Schweinegrippe eingespielten" Gitarren, sanften Klarinettenlinien und dahin swingendem Beserl-Schlagzeug nahe an jenem Pop vorbeischrammelt, mit dem Herr Mandl immer gerne verglichen wird. Lässt man diese für den Nino Aus Wien fast schon ein wenig kitschige Seite zu, dann eröffnet sich einem ein schöner, berührender Song. Ähnlich ist die Anmutung von "Hotel", neben "Urwerk" eines der Highlights der Platte, in dem zu einem tief traurigem Akkordeon und schunkelndem Bass Nino gemeinsam mit Fred Schreiber ins Hotel California einzuchecken scheinen. Da wundert es nicht, dass es zwei Stunden brauchte, um den Song auf seine fünf Minuten zu kürzen. Denn in der euphorischen Stimmung des sich aufbäumenden Schlussteils kann man die Zeit schon einmal aus den Augen verlieren.

Zwischen Literaturvertonung und kratzigen Popsongs

Ein zentrales Lied von "Schwunder" ist "Finnegan's Wake", eine quasi Vertonung des literarischen Werks von James Joyce. Es gilt als schwer zugänglich und schwer lesbar. Nicht so für den jungen Wiener Musiker, der in diesem Buch mit Lust und Freude stundenlang versinken kann. Vor allem die Rhythmik von Joyces Sprache hat es ihm derart angetan, dass ihm eine Stelle als Ohrwurm so lange durch den Kopf geisterte, bis er sie endlich mit einem Chor umgesetzt auf Platte bannen konnte.

Als Basis flirren bei dieser sechsminütigen Monsternummer unter dem lyrischen Text sowohl ein Glockenspiel als auch eine verstaubte, zwölfsaitige Akustikgitarre. Einige Nino-Fans werden an diesem Stück wahrscheinlich länger zu kauen haben. Auch "Venedig geht unter", das Schlusslied der neuen Platte, könnte für manchen Musikliebhaber schwer zu verdauen sein. Denn hier blättert der Lack durch die unglückliche Soundwahl von verzerrter Gitarre und die verschwommene Produktion leider ab.

Der Nino Aus Wien

Julia Stix

Was das Titelstück "Schwunder" betrifft, so handelt es sich dabei um einen genial verwirrten, eineinhalbminütigen Ausschnitt einer spontanen Jamsession, die in der originalen, ungeschnittenen Version ganze achtundvierzig Minuten dauert. Spätestens an dieser Stelle wird klar, dass "Schwunder" die Nino Aus Wien Band (bestehend aus Raphael Sas, David Wukitsevits und Herrn pauT) mehr denn je in den Vordergrund stellt. So lässt sich die Entwicklung hin zum erweiterten Popzugang, der vom Gesamtsound recht kratzbürstig daher kommt, durchaus nachvollziehen. Es braucht Mut, so einer Dynamik zu diesem Zeitpunkt der musikalischen Entwicklung freien Lauf zu lassen. Denn der Nino Aus Wien hat zum Glück nicht bei einem Major unterschrieben und damit auch keinen Pakt mit dem Ghostwriter-Teufel geschlossen.

Demnach gehört "Schwunder" genauso zum Nino, wie die beiden Platten davor. Ebenso wie Krixi, Kraxi und die Kroxn einen wichtigen Bestandteil des Nino Mandl Universums darstellen. Und wie ich den Nino Aus Wien einschätze, wird sein nächster Schritt wieder in eine neue und hoffentlich überraschende Richtung gehen.

Bis es soweit ist, sollten wir unsere Schritte in die Fledermaus in Wien lenken, wo "Schwunder" am Mittwoch 09. November mit Lesung und DJ-Abend präsentiert wird.