Erstellt am: 18. 10. 2011 - 16:32 Uhr
"Muss ja keiner hingehen"
Ich weiß nicht, warum in meinen Musikgeschichten der letzten Zeit dauernd der Geist des Neil Young erscheint, aber analog zu dem wohl allseits bekannten Phänomen, dass ein Wort, das man nie zuvor gehört hat, plötzlich in aller Munde zu sein scheint, könnte es schon auch was damit zu tun haben, dass ich heuer endlich dazu gekommen bin, seine lebenseinnehmend dicke Biographie „Shakey“ zu lesen. Die derzeit kursierende britische Ausgabe trägt übrigens ein Zitat von Noel Gallagher auf dem Cover: „This book has changed my life.“

sour mash
Während man sowas liest, sieht man so einiges durch die Brille jenes Buches und wie es der Zufall wollte, fiel meine Lesephase genau in die des sich über Monate hinweg anbahnenden Noel Gallagher-Soloalbums. Die Versuchung lag also nahe, bestimmte Parallelen wie die Streitereien mit dem bekoksten Stephen Stills oder und das Weglaufen von der immer noch erfolgreichen, aber künstlerisch erschöpften Stadionband darauf umzulegen, was mit Oasis und Noel Gallagher passiert war.
Vor ein paar Wochen hatte ich dann Gelegenheit, Noel direkt darauf anzusprechen. Ich saß mit ihm im Büro der Managementfirma von Oasis mit der Weltkarte an der Wand (enttäuschenderweise ohne territoriale Fähnchen oder andere taktile Spuren strategischer Sandkastenspiele), wo ich schon so manches Album vorab gehört hatte. Das letzte Mal übrigens jenes von Beady Eye, der Band des nach Gallaghers Abgang 2009 verbliebenen Rests von Oasis.

Robert Rotifer
Was immer seither passiert sein mag, Noel schien immer noch derselbe zu sein.
Was freilich auch nur Pose ist.
Denn derselbe Noel, der mir noch vor ein paar Jahren erklärt hatte, es sei seine Pflicht, stellvertretend für seine Fans den Rockstar zu verkörpern, meinte nun mit derselben Überzeugung, dass einer, der sich in seinem Alter nicht besser seiner Familie widmete, wohl ein ziemlicher „knob“ sein müsse (Knopf ist nicht gemeint).
Stimmt allerdings (und hätte wohl auch schon seit einiger Zeit gestimmt). Was wiederum die lebensverändernde Wirkung von „Shakey“ anlangt...
„Da war ein bestimmtes Zitat drin“, erklärte Noel, „Jemand hat Neil Young gefragt, was der ganze Scheiß soll: Crosby, Stills, Nash & Young, Buffalo Springfield, Crazy Horse... Was soll das alles? Und er hat geantwortet: Keine dieser Bands ist groß genug, um zu erfassen, was ich tue. Ich habe das gelesen, das Buch zugeschlagen, und mir gedacht: Das empfinde ich ganz genauso. So groß Oasis auch sein mögen, sie sind nicht groß genug, um alles zu beinhalten, was ich zu bieten habe.“
Ein unfassbar arrogantes Statement eigentlich, aber ich wusste schon von meinen früheren Begebenheiten mit Herrn Noel her, dass das, was einem in seiner Gegenwart einigermaßen vernünftig erscheint, sich auf dem Papier genau zu jener Art von Zitat wandelt, die nun schon seit gut 15 Jahren die Klatschspalten der lokalen Musikpresse füllt.
Wenn also heute in der Listening Session in Connected Noel Gallagher seinen Bruder für unzurechnungsfähig und als „einfach eine weitere Person mit einer Meinung, die niemand interessiert“ bezeichnet, wird das im Radio vermutlich ganz selbstverständlich rüberkommen. Ein Zitat hab ich übrigens aus Platzmangel nicht eingebaut. Blöd eigentlich, zumal es im Lichte der heute verkündeten Stone Roses-Reunion nicht unpassend gewesen wäre.
Ich hab Noel nämlich gefragt, was er denn zu jenen Leuten sagen würde, die das ganze Theater rund um die Oasis-Trennung nur als Vorspiel der unvermeidlichen Reunion sehen.
„Wie sollte jemand darauf kommen?“ zischte Noel zurück.
Nun ja, wenn man sich andere Bands ansieht...
„Ja, aber Bands trennen sich nicht, weil sie in fünf Jahren wieder zusammenkommen wollen, sondern weil etwas unerträglich geworden ist. Dann machen sie ihr Ding, und in fünf Jahren kommt ein Angebot, das sie nicht ablehnen können. Ich werde dich nicht anlügen, irgendwann einmal wird da drinnen (winkt hinüber zum Büro des Managements) das Telefon läuten. Ich nehme an, mein Manager hebt jetzt schon ab und sagt nein, bis dann noch eine zusätzliche Null erscheint, und er zu mir sagt: 'Ich muss dir das sagen.' Und dann muss jemand eine Entscheidung treffen. Aber... weißt du... ich weiß nicht, warum die Leute darüber zynisch sein müssen. Sie brauchen ja nicht hinzugehen.“