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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

12. 10. 2011 - 18:50

Rot-Grüne Wende in der Verkehrspolitik?

Ein Jahr Rot-Grün in Wien.

Gestern, Dienstag, hat die Wiener Stadtregierung die neuen Tarife für die Öffis vorgestellt (gültig ab Mai 2012). Es geht um ein Prestigeprojekt der Grünen. Immerhin haben sie im Wahlkampf die „100 Euro Jahreskarte“ für U-Bahn, Bim und Bus propagiert. Das Wahlversprechen hat die Mühlen im Rathaus nicht überlebt, aber eine wesentlich verbilligte Jahreskarte ist herausgekommen. In Wien kosten die Öffis für JahreskartenbesitzerInnen bald nur mehr einen Euro pro Tag. Allerdings: Tages- und Wochentickets werden teurer; das Semesterticket für Studierende gilt einen Monat länger, kostet aber auch mehr.

Zwischenbilanz: ein Jahr rot-grüne Verkehrspolitik

Die neuen niedrigeren Öffipreise sollen zu den großen Zielen der rot-grünen Verkehrspolitik beitragen: 40% Öffis am Gesamtverkehrsaufkommen, ein Drittel weniger Autoverkehr und doppelt so viel Radverkehr als bisher.

Radfahrerinnen

Amsterdamize

Wie beurteilen die Interessensgemeinschaft Fahrrad und der ÖAMTC ein Jahr rot-grüne Verkehrspolitik in der Bundeshauptstadt? Martin Hoffer vom ÖAMTC hat für den Sprecher eines Automobilclubs Überraschendes zu den neuen vergünstigten Öffi Tarifen kundzutun: „Ein interessantes Angebot für alle Mobilitätsträger. Jeder Autofahrer sollte für sich durchrechnen, ob sich ein Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel lohnt“. Er wünscht sich in Kombination damit eine Verbilligung der Park&Ride-Tickets. Alec Hager von der IG Fahrrad freut sich, dass Fahrräder in Hinkunft kostenlos im öffentlichen Verkehr mitgenommen werden können, und dass die Stadt Wien diese Klientel mit einem eigenen Radbeauftragten ernst nehme. Ihm missfallen die teurer gewordenen Tages-Wochen und Semestertickets für Studierende. Im Allgemeinen beobachtet Hager seit Rot-Grün in Wien mehr Radfahrer in der Stadt unterwegs sind.

Die erste größere Änderung wurde am Ring sichtbar, der nun nicht nur auf einer sondern auf beiden Seiten Radwege hat. Die Ausdehnung ist notwendig geworden, da täglich 6000 RadlerInnen bei der Oper vorbeidüsen: “Da ist man leider in dieselbe Falle getappt wie beim ersten Ringradweg in den 80ern. Man beschneidet den Platz der Fußgänger, und das führt zu Konflikten. Man ist nicht mutig genug, um den Platz vor allem von Autoparkplätzen zu lukrieren. Wir haben jetzt eine Verdoppelung der Länge des Ringradwegs mit Schlangenlinien und der Fußgängerproblematik. Das war keine gute Idee“, kommentiert Hager.

Radweg

APA

Die angekündigten Fahrradstraßen sind bislang an noch nicht angepassten Bundesgesetzen gescheitert. Aber Alec Hager ist optimistisch, dass Rot-Grün in Wien damit noch aufwarten wird: Es schweben ihm Straßen vor, wo Radfahrer Vorrang haben und nebeneinander fahren können.

Ein bislang ausgebliebener Verteilungskampf?

Ein Beispiel im Verteilungskampf um öffentlichen Raum, dem in Zukunft mehr folgen könnte, ist die Untere Donaustraße. Da stehen sich ÖAMTC und IG Fahrrad diametral gegenüber. Einer von drei Autostreifen wurde für RadfahrerInnen reserviert. Für den ÖAMTC Experten ist es schädlich, wenn man den Autos Platz wegnimmt, die sich dann stauen, während der Radweg nicht benützt würde. Alec Hager von der IG Fahrrad sieht darin ein Zeichen, dass es für AutofahrerInnen in der Stadt noch zu viele Parkplätze gibt, sonst würden Sie nicht hereinfahren.

Warum reagiert der ÖAMTC dennoch sehr mild auf die rot-grüne Verkehrspolitik? Weil er die Mobilität aller im Auge hat, wie Hoffer beteuert. Oder da die wirklich gröberen Maßnahmen noch nicht im ersten Jahr durchgeführt wurden? „Wenn man will, dass Wien eine Vorzeigestadt in der ökologischen Verkehrspolitik wird, dann muss man ganz anders agieren und wirklich die ganz heißen Kartoffel angreifen. Da geht’s um die Reduktion von Parkplätzen und Parkraumbewirtschaftung. Da haben wir noch hohe Erwartungen, die erst erfüllt werden müssen“, so Alec Hager. Allerdings ist derzeit in Verhandlung, dass in zusätzlichen Bezirken für Parkplätze zu zahlen ist.

Größter Streitpunkt ist auf Wartebank

Und dann war da ja noch der große Streitpunkt zwischen der SPÖ und den Grünen - der Bau des Lobau-Tunnels. Der ist wohl auf die lange Bank geschoben worden. Baustart ist frühestens 2019 - also weit nach der aktuellen Regierungsperiode.

Kleine Schritte, statt großer Wende

Eine große Verkehrswende ist in Wien mit Beteiligung der Grünen im ersten Jahr nicht eingetreten. Es ist eine Politik der kleinen Schritte, die noch wenig an öffentlichem Raum umverteilt hat. Ein konstruktives Signal ist mit der Verkehrspolitik in der Donaumetropole dennoch gesetzt. In Berlin sind kürzlich rot-grüne Koalitionsverhandlungen wegen eines Zwists um Autobahnen gescheitert. In Wien hat sich Bürgermeister Michael Häupl vor einem Jahr aus genau demselben Grund für die Koalition entschieden: „Ich streite lieber über Straßenkreuzungen, als dass ich über die Zukunft unserer Kinder streiten müsste.“