Erstellt am: 10. 10. 2011 - 17:42 Uhr
Play Fair bei der WM 2014?
Die FIFA verlangt "saubere Spiele". Bestimmte Auflagen müssen erfüllt werden. Die Stadien müssten etwa nachhaltig sein. Deshalb ist einige der wichtigsten Arbeiten in Brasilien aktuell der Neubau und die Renovierung von Fußballstadien. Zeitdruck und Profitgier wirken sich auf die Arbeitsbedingungen aus. Nicht nur Bauarbeiter sind betroffen, auch die Industrie rund um T-Shirts und Souvenirs drückt mit informell Beschäftigten die Löhne der ArbeiterInnen.

Claus Pirschner
Die brasilianische Gewerkschaft UGT (Uniao Geral Dos Trabalhadores) unterschützt die Arbeiter, um sicherzustellen, dass Arbeitsrecht und Arbeitsschutz eingehalten werden; und dass gerechte Löhne bezahlt werden. Ein Interview mit Poliana Duarte und Gustavo Garcia von der UGT.
Claus Pirschner: Etwas mehr als zwei Jahre noch bis die WM in Brasilien eröffnet wird. Die Vorbereitungen laufen auch Hochtouren. Mit welchen Problemen haben die Arbeiterinnen und Arbeiter zu kämpfen?
Garcia: Bei den Umbauarbeiten im Maracanã Stadion in São Paulo, wo 3500 Arbeiter beschäftigt sind, hat es beispielsweise einen Unfall gegeben, weil Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten wurden. Zusätzlich zu der Forderung nach Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen fordern wir deshalb, dass es eine ärztliche Versorgung geben soll, die 24 Stunden verfügbar ist. Das ist vor allem in der Nacht wichtig, da 500 Personen in der Nacht arbeiten.
Was ist bei diesem Unfall passiert?
Garcia: Beim Bau werden chemische Produkte eingesetzt. Beim Öffnen einer Tonne mit diesen chemischen Produkten ist die Tonne explodiert und hat den Arbeiter verletzt. Es fehlt also an Sicherheitsbestimmungen. Dazu kommt, dass in Maracanã unfair bezahlt wird. Die Arbeiter sollten eigentlich 180 Real Lebensmittelunterstützung bekommen, ausbezahlt werden aber nur 100. Auch in die Gesundheitsversicherung wird zu wenig einbezahlt, andere Gehaltsbestandteile werden zu niedrig oder zu spät bezahlt.
Duarte: Ein weiteres großes Problem ist die informelle Arbeit. Illegale Arbeiterinnen und Arbeiter aus dem Ausland wissen nicht über ihre Rechte Bescheid, und so kommt es zu einer Art Versklavung. Viele der Illegalen arbeiten 12 bis 14 Stunden in kleinen Schneidereien. Sie arbeiten aber nicht nur dort, sondern wohnen und essen auch in den Schneiderwerkstätten. Am Ende des Monats erhalten sie ihr Gehalt, von dem aber gleich das Geld für Kost und Logis wieder abgezogen wird. Es bleibt kaum etwas über.
Garcia: Modeketten, die Produkte aus diesen kleinen Werkstätten zukaufen, fühlen sich nicht zuständig für die Produktionsbedingungen in Brasilien. Die UGT hat deshalb gemeinsam mit der Handelsgewerkschaft einen Marsch auf der ‚Straße der Mode‘, wie diese Straße in São Paulo genannt wird, veranstaltet, um die Verhältnisse unter denen dort produziert wird aufzuzeigen, und um Druck auf die Unternehmen auszuüben. Die Unternehmen müssen innerhalb der Wertschöpfungskette auch Verantwortung für die Produktionsbedingungen übernehmen.
Sind das Produkte speziell für die WM?
Garcia: Die offiziellen T-Shirts für die WM werden hauptsächlich in China produziert. Problematisch sind die Fälschungen von T-Shirts und Souvenirs innerhalb der informellen Wirtschaft, die dann im Rahmen der WM verkauft werden sollen. Die Steigerung der Nachfrage von Fälschungen führt dazu, dass die brasilianischen Migrantinnen und Migranten ausgebeutet werden.
Was unternehmt ihr dagegen? Es gab einerseits den Marsch, aber soll man die illegalen Arbeiterinnen und Arbeiter über ihre Rechte aufklären? Soll man den informellen Sektor abschaffen, oder muss er Schritt für Schritt legalisiert werden? Vor allem: Sind das Probleme, die speziell im Vorfeld der WM entstehen oder strukturelle Probleme in Brasilien?
Garcia: Es gibt ein Projekt gemeinsam mit der Gewerkschaft in Paraguay, weil viele der Migrantinnen und Migranten in Brasilien aus Paraguay kommen, wo es darum geht, die Menschen aufzuklären und zu bilden. Um ihnen zum Beispiel zu sagen, dass sie Anspruch auf eine Lohnsteuerkarte haben. Gleichzeitig werden sie über ihre BürgerInnen-Rechte aufgeklärt. Momentan ist diese Projekt in einem Stadium, wo es in erster Linie um eine ‚Train the Trainer‘-Ausbildung geht. Wir versuchen, Schlüsselpersonen innerhalb der Community der Migrantinnen und Migranten ausfindig zu machen und zu bilden, damit die ihr Wissen dann an die Community selbst weitergeben können. Das große Ziel dabei ist, Leute, die momentan in der informellen Arbeit beschäftigt sind, in formelle Arbeitsverhältnisse zu bringen.
Inwieweit ist Sexarbeit ein Thema? Scheinbar ist Sexarbeit in Brasilien ja akzeptierter als anderswo.
Duarte: ArbeitnehmerInnen-, Arbeitgebervertreter und die Regierung werden sich im Dezember bei einer Konferenz versammeln, um verschiedene Achsen zu besprechen. Umweltschutz wird ein Thema sein, eine ganz wichtige Achse ist aber die Frage nach der psychischen und physischen Gewalt gegen Frauen. Gerade in Bezug auf die WM wird dort diskutiert werden, wie man Frauenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen verhindern kann.
Wie kann man sie verhindern?
Duarte: Es braucht natürlich die Unterstützung der Regierung. Die Exekutive muss verstärkt werden, es braucht mehr Kontrollen. Die UGT macht gerade Bewusstseinsbildung für dieses Thema, und wir veranstalten in allen Bundesstaaten Seminare. In einer Art Top-Down-Strategie soll das Bewusstsein für sexuelle Ausbeutung bis an die Basis durchdringen. Ein großes Problem sind aber die Touristen. Viele von ihnen kommen extra wegen sexueller Ausbeutung von Frauen nach Brasilien.
Garcia: Es wird ein großes Projekt gemeinsam mit der Regierung geben, weil das Problem oft die geringe Schul- und Ausbildung von Frauen ist. Wir wollen mit Informationen an diese Frauen herantreten und sie weiterbilden, damit sie in Zukunft nicht mehr auf Sexarbeit angewiesen sind.
Die WM interessiert Menschen in der ganzen Welt. Es gibt auch viele Fußballfans in Österreich und Europa. Was kann ich als Fußballfan von Europa aus gegen die Probleme der ArbeiterInnen in Brasilien unternehmen?
Garcia: Wir haben gemeinsam mit anderen Gewerkschaften die Kampagne ‚Play Fair‘ ins Leben gerufen. Das Ziel ist, möglichst viele Menschen über die Probleme in Brasilien zu informieren. Damit wollen wir Druck auf die Regierung ausüben. Gleichzeitig fordern wir, dass sich die Arbeitsbedingungen, sollten sie im Zuge der WM verbessert werden, nicht danach wieder verschlechtern. Durch die WM soll insgesamt eine Verbesserung erreicht werden. Die Kampagne ‚Play Fair‘ gibt es ja nicht das erste Mal, auch bei der olympischen Spielen in Athen gab es sie schon. Es ist uns wichtig, dass Fußballfans diese Kampagne unterstützen, indem sie davon erzählen, E-Mails an die Verantwortlichen schicken, indem sie sich an die FIFA wenden. Vor allem sollen die Arbeiterinnen und Arbeiter in Brasilien durch diese Kampagne wissen, dass sie nicht allein sind, und dass ihre Probleme auch außerhalb von Brasilien wahrgenommen und kritisiert werden.