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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

5. 10. 2011 - 11:02

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (29)

September: Motorisierte Verkehrsmittel / Oktober: Shopping

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenter Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 25. September

Tag der Zahngesundheit

■ Aus "Gleich hundert Übersetzungsvorschläge für An apple a day keeps the doctor away":

Täglich süße Äpfel naschen -
Arzt muss fortan Teller waschen.

So manchen Apfelbauers Schmerzen
entstammten der Gewalt von Ärzten.

Folgst du stets der Apfel-Weisung,
geht der Arzt zur Armenspeisung.

Äpfel, sieben Mal pro Woche –
Und der Arzt hat null Maloche.

Soll der Arzt mehr Freizeit haben,
musst du dich am Apfel laben.

(Das Projekt orientiert sich zusehends am Motto "Quantität statt Qualität")

■ Ich habe seit der Schule wohl zu keiner Zeit so viel Sport betrieben wie diesen September, in dem ich mich hauptsächlich auf dem Fahrrad fortbewege. Selbst längere Steigungen schaffe ich mittlerweile ohne Keuchen und Brennen in den Schenkeln.
Eine kritische Selbstanalyse führt aber zum Ergebnis, dass meine neu gewonnene Kondition mit Anfang Oktober höchstwahrscheinlich wieder systematisch abgebaut wird.

Montag, 26. September

■ Eine eher entfernte Bekannte nimmt tatsächlich die Dienste einer sogenannten Hundeflüsterin in Anspruch, die behauptet, eine dem Menschen eigentlich innewohnende, aber über die Jahrhunderte verkümmerte Fähigkeit kultiviert zu haben, nämlich mit Hunden sprechen zu können. Dafür muss sie den Hund gar nicht "persönlich" sehen. So wirbt sie mit ihrer Top-Referenz: Einst fand sie einen entlaufenen Hund nur unter Zuhilfenahme eines Fotos.
In der Stunde nimmt die Gute übrigens fünfzig Euro.

Zwei Stunden täglich ein bisschen konzentriert dreinschauen und Sätze wie "Er wünscht sich mehr Frischluft und weniger Trockenfutter" und auf Kosten der Dummen fürstlich leben, wie schön!

österreich

"Man sollte öfter unter dem Bett saugen" ist die falsche Bildunterschrift, denn nur wer selten unterm Bett saugt, erinnert sich an die Aufregung von vorgestern.

Dienstag, 27. September

■ Schlechte Geschäftsideen, Teil 231: Einkaufstaschen aus Teig. Man gibt die Produkte im Supermarkt hinein und kann die Tasche zu Hause dann justament in den Backofen schieben.

■ Unternehmen bei der Being Markovic-Probe für die große Revue am 7. September den ehrgeizigen Versuch, einen kompletten Song auf Deutsch so zu texten, dass er gesungen nach (Fantasie-) Italienisch klingt.
Die Tante balanciert schon die Teller - Di dante balan sier scodi della.
Oder so ähnlich.

Mittwoch, 28. September

■ Gesprächstaktiken nach Vorstellungen aller Art von Freunden oder Bekannten, die danach auf Premierenpartys und ähnlichem eine Rückmeldung wünschen, obwohl man die Darbietung scheiße fand:

  • Sich in Details flüchten:

"Bemerkenswert fand ich in der dritten Szene die brünette Schauspielerin mit dem riesigen Hut, die den S-Fehler so gekonnt in ihren Chanson eingebaut hat. Wo bekommt man übrigens solche Hüte her?"

  • Die Stimmungs-Ausrede:

"Für gewöhnlich hätte es mir sicher ausgesprochen gut gefallen, aber ich hatte heute einen so schrecklichen Tag und bin von pochenden Kopfschmerzen geplagt, dass ich mich gar nicht so richtig darauf einlassen konnte..."

  • Die Wahrheit sagen, aber derartig überspitzt, dass sie der befreundete Künstler für einen Scherz hält.

"So einen abgrundtief miesen Schmarrn hat ja die Welt noch nicht gesehen, hahahahahahahahahahahaha!

  • Der Verarbeitungs-Trick:

"So kurz danach kann ich noch gar nichts dazu sagen, ich muss die ganzen Eindrücke erst richtig verarbeiten."

  • Beschäftigt sein.

Lebhafte Gespräche fingieren, immer in der Nähe des Buffet bleiben, Blasenentzündung erfinden, Handy immer in Griffweite, morgen "früh raus müssen".

Donnerstag, 29. September

■ Während in Büchern alles vorkommen kann, findet man Bücher nicht in allem.
Beispielsweise können Marder in Büchern vorkommen, von Büchern in Mardern hörte man dagegen selten. Wenn Buchhandlungen in Büchern vorkommen, handelt es sich dagegen um ein sehr schlechtes Beispiel für Dinge, die in Büchern vorkommen, in denen aber umgekehrt keine Bücher zu finden sind.
Sollte man sich jedenfalls mal überlegt haben!

■ Mein Glück mit dem Wetter im September ist kaum zu fassen. Kein einziges Mal wurde ich am Rad oder zu Fuß nass, die Herbstsonne bot eigentlich täglich ideale Bedingungen für die nicht-motorisierte Fortbewegung.

Freitag, 30. September

Translation Day, zu Deutsch: Tag des Übersetzens

■ Kleine Stadt-Radfahrer-Typologie:

  • Hans Guck-in-die-Luft

macht seinem Namen alle Ehre und übersieht verlässlich Autos, Fußgänger, Hunde oder andere Radfahrer.

  • Der Individualist

scheint rein aus Imagegründen den Radweg zu frequentieren bzw. ihn mit einem Laufsteg zu verwechseln. Auf Hoch-, Ein- oder Liegerädern posiert er im grellen Gewand und widmet dem Pöbel auf seinen primitiven Billigrädern spöttische Seitenblicke.

  • Der Profi

saust im hautengen Dress auf Rennrädern an den minderwertigen Hobby-Rädern vorbei. Selbst kurze Strecken werden nicht ohne Trinkflaschen, Helmbeleuchtung und GPS absolviert. Spätestens bei der nächsten Ampel trifft man sich aber wieder.

  • Die Plaudertasche

tritt im Doppel auf, fährt im Schritt-Tempo neben der zweiten Plaudertasche und beansprucht zwei Dritten des Radwegs. Profi-Aggro-Provo-Hardcore-Mannöver: Zwischen den beiden überholen!

  • Der Über-die-rote-Fahrradampel-Drüberfahrer

fährt immer über rote Fahrradampeln drüber.

  • Der Gehsteig-Flüchtling

fürchtet den Straßenverkehr und fährt in der „Ich steig eh gleich ab“ – Haltung durch die Geographie.

■ Barbara Karlich behandelt in ihrer von mir überaus geschätzten Sendung das Thema „Die Barbara Karlich Show – Forum oder Seelenstriptease Österreichs?“ Die Methusalems im Auditorium sind sichtlich überfordert von der fast schon zu zahlreich vertretenen Zunft der Wissenschaft, die der sympathischsten und sanftesten Talkshow der Welt zu Recht ein gutes Zeugnis ausstellt.

Samstag, 1. Oktober

Weltmusiktag, Weltvegetariertag

■ Im Oktober wird auf Shopping im weitesten Sinn verzichtet. Das heißt, dass absolut nichts gekauft oder bestellt werden darf, was nicht unbedingt notwendig ist. Außer Nahrungsmitteln und höchstens Batterien oder Seife ist also fast jeder Einkauf verboten.
Ich gehe von einer nicht besonders großen Herausforderung aus.

■ Hurrah, das Ron Tyler Archiv ist endlich zurück!

Anmerkung am 10. Oktober: Das Tagebuch der letzen Woche entfällt leider.