Erstellt am: 19. 9. 2011 - 12:35 Uhr
Berlin hat gewählt und alles lief wie erwartet
Klaus Wowereit bleibt Bürgermeister. Der Sieg der SPD ist ein klein wenig glanzlos, sie hat zwei Prozentpunkte verloren und muss sich nach zehn Jahren Rot-Rot einen neuen Koalitionspartner suchen. Denn verloren hat auch die Linke, und das war absehbar. Die Linken haben mit den Diskussionen um Antisemitismus und die Mauertoten stark an Sympathien eingebüßt und trotz guter Inhalte und guter Arbeit ihren Ruf als alte Stasi-Kader-Partei gestärkt .
Die CDU konnte mit den brennenden Autos, einem Thema, das in Berlin dann doch viel weniger interessiert als die Berichterstattung vermuten lässt, und ihrer Law and Order Politik nicht viel gewinnen. Schließlich ist die Berliner CDU für einen riesigen Bankenskandal verantwortlich, hat das Geld der Bürger im großen Stil verzockt, dagegen sind Autozündler Kleinkriminelle. Und den Berliner Bürger, den drückt die Arbeitslosigkeit von 13,5 % und die Sorge um steigende Mieten mehr als brennende Autos.
Die große Überraschung sind die Piraten, die gleich mit 8,9 % der Stimmen erstmals in ein Landesparlament eingezogen sind.

EPA
"Wer sind diese Piraten?" fragten sich am Wahlabend alle Journalisten. Nerds, Hacker, Gamer, eine männerdominierte Partei, die unter 15 Kandidaten nur eine Frau aufgestellt hat - soviel wusste man. Zu diesem Geschlechterverhältnis befragt antworteten sie der Berliner "taz", man sei über das Genderdenken hinaus. Wenn das aber heißt, dass nur als Männer sozialisierte Menschen in einer Partei das Sagen haben, kann man daran zweifeln.
Die Piraten sind zunächst eine Protestpartei, eine Partei für Jungwähler und Nichtwähler. Wer links ist, wem die Grünen zu bieder und die Linke zu verstaubt ist, der hat Piraten gewählt. Leute aus dem Clubumfeld, Menschen die sich gegen das Gentrifizierungsprojekt "Media-Spree", die Uferbebauung der Spree, einsetzen. Der Landeschef der Berliner Piraten wusste zwar letzte Woche bei einer Talkshow nicht, wie viele Schulden Berlin hat, er schätzte "viele, viele Millionen" (es sind tatsächlich 63 Milliarden), aber das hat ihm nicht geschadet.

dpa/Stephanie Pilick
Erst vor ein paar Wochen haben die Piraten ihr Profil genauer erklärt: Sie sind nicht nur für freies Internet und gegen Überwachung sondern auch für Bürgerrechte, direkte Demokratie, Transparenz, Legalisierung von weichen Drogen, strikte Trennung von Staat und Kirche, bedingungsloses Grundeinkommen, Wahlrecht für alle die hier leben - also Forderungen, die der gemeine Linke- oder Grünen-Wähler auch unterschreiben würde.
Die Piraten fordern kostenlosen öffentlichen Nahverkehr, das kann man utopisch oder populistisch nennen. Aber sie sind so erfrischend unprofessionell, sind von den Jahren in der Politik noch nicht so deformiert und angepasst wie die Grünen.
Das Internet ist für die Piraten, was Öko einst für die Grünen war. Sie konnten Nichtwähler mobilisieren und haben von den Grünen, den Linken und sogar der FDP Wählerstimmen abgeschöpft.
Die Grünen haben es sich mit vielen Stammwählern durch ihr Liebäugeln mit der CDU und einer etwas nassforschen Kandidatin verdorben. Klientelpolitik für die Besserverdienenden vom Prenzlauer Berg, Vernachlässigung der sozialen Frage, wenig Internetkompetenz sagt man ihnen nach. Zwar haben sie 4 Prozentpunkte dazu gewonnen, aber eigentlich verloren, denn sie wollten stärkste Partei werden und mit Renate Künast die Bürgermeisterin stellen. Jetzt müssen sie abwarten mit wem die SPD koalieren will.
Die FDP, im Bund stellen die Lieberalen immerhin den Vizekanzler und Außenminister, ist in Berlin unter 2% geblieben
Nun kann sich also Klaus Wowereit einen Partner zum Regieren suchen. Am Ende wird es auf Rot-Grün hinauslaufen, das wünscht sich auch die Mehrzahl der Berliner. Die Piraten werden mit ihren 15 Sitzen vielleicht nicht allzu viel bewirken, aber das Berliner Abgeordnetenhaus doch ordentlich aufmischen können.