Erstellt am: 16. 8. 2011 - 15:47 Uhr
Aufmucken statt runterschlucken!

FM4
In Österreich werden Wirtschaftskrise, rasant steigende Mieten oder Lebenserhaltungskosten und die politischen Versäumnisse einfach hingenommen. Die Journalistin Anneliese Rohrer rechnet in ihrer österreichischen Version von Stéphane Hessels Empört Euch! mit der Autoritätshörigkeit, der Faulheit und der Feigheit der Österreicher und Österreicherinnen ab.
Ich habe mit ihr über ihr Buch "Ende des Gehorsams", das vorherrschende Politikverständnis und politische Gnadentaten gesprochen.
Fordern Sie ein Ende des Gehorsams? Erwarten Sie es? Fürchten Sie sich davor?
Ich fürchte mich absolut nicht davor. Ich verlange es. Ich fordere es, weil so wie es bisher gelaufen ist mit der Unterwürfigkeit und der Ausrede auf den Obrigkeitsstaat, das ist keine Zukunft für Österreich.
Sie kritisieren, dass sich in Österreich zu wenige Menschen politisch engagieren. Woran liegt das?
Einerseits ist das eine Ausrede auf die Geschichte: Wir sind eine relativ junge Demokratie, eine Demokratie, die wir nicht selbst erkämpft haben. Und andererseits liegt es am Bildungswesen. Weil die jungen Leute nicht zur Kritik erzogen werden, sondern im Gegenteil: Wenn sie solche äußern wollen, werden sie sowohl in der Schule wie auch von den Eltern ruhig gestellt. Die Eltern sagen: ‚Lehn dich nicht zu sehr hinaus, das könnte dir schaden‘. Das ist die traditionelle Einstellung.
Sie sehen Österreich auch als autoritäre Gesellschaft. Inwiefern?
Weil viele demokratische Spielregeln nicht eingehalten werden. Weil viel passiert, was in anderen Demokratien schon zu Konsequenzen geführt hätte. Das wird bei uns einfach hingenommen. Das heißt, die Kontrolle der Autoritäten funktioniert weder durch die Bürger wirklich, noch durch die Medien.
Sie schreiben über Österreich von materiellen Vorteilen durch Parteien im Gegenzug für die Stimme am Wahltag. Wenn man sich das größte europäische Problemkind Griechenland anschaut, dann ist das unter anderem in so großen Schwierigkeiten, weil nach jeder Wahl die Sieger tausende Jobs in der Verwaltung geschaffen haben, und ein überbordender Staatsapparat auf das Budget drückt. Wie Griechenland ist denn Österreich?
Nicht in dem Ausmaß. Griechenland hat schon eine Sozialstruktur, die selbst für österreichische Verhältnisse unglaublich ist. Dort kann man nach zwanzig Arbeitsjahren in Pension gehen. Das können wir nicht toppen. Nicht mit unserer Hacklerregelung und nicht mit unseren Frühpensionen. Wir sind ja um so viel kleiner. Bei uns sind die Probleme so überschaubar, wir könnten sie ja leicht lösen. Aber vor allem müssten wir unsere Mentalität ändern. Diese Liebe zum Ruhestand, die Flucht in die Pensionierung – mit allen möglichen Tricks, Invalidität und ich weiß nicht was. Das muss sich ändern, wir müssen einfach wieder eine, in jeder Beziehung nicht nur im politischen, auch im Berufsleben, aktivere Gesellschaft werden.
Heute haben die Politiker auch in Österreich nicht mehr so viel zu verteilen, dazu gibt es Einsparungen in beinahe allen sozialstaatlichen Einrichtungen und Errungenschaften. Trotzdem halten sich die Proteste in Österreich in Grenzen. Warum eigentlich?

braumüller
Ich begreife dieses ‚nicht mehr so viel zu verteilen‘ als wirkliche Chance. Weil wenn die Politik nicht so viel zu verteilen hat, dann muss ich mich auch nicht so verbiegen. Ich meine, die ganze verstaatlichte und halbverstaatlichte Industrie, die ganze Verwaltung, das waren alles Bereiche für politische Gnadentaten. Die sind alle weg. Ich brauche jetzt also nicht auf die Gnade der Politiker warten und kann daher eigentlich aufrecht durchs Leben gehen. Warum sich bei uns trotzdem so wenig rührt, ist, weil wir länger brauchen, um unsere Einstellung zu ändern. Ich habe da ein Erlebnis gehabt, das wird mich noch die nächsten Jahrzehnte verfolgen: Eine Gruppe von Studenten war unzufrieden, ich habe gefragt: ‚Habt ihr das schon an der zuständigen Stelle vorgetragen?‘ ‚Nein haben wir nicht.‘ ‚Warum nicht?‘ ‚Naja, wir könnten ja irgendwann eine kommissionelle Prüfung haben, und dann könnte uns das Aufmucken schaden.‘ Das muss man sich einmal vorstellen! Um zu einer kommissionellen Prüfung zu kommen, muss ich schon einmal zwei Prüfungen verpatzt haben. Die haben ihr eigenes Versagen schon mitgedacht, als Begründung, warum sie den Mund nicht aufmachen.
Da geht es auch ganz stark um die Frustration, die bei Themen vorherrscht, bei denen seit Jahrzehnten Reformen in der Luft liegen, die aber nicht durchsetzbar sind. Beispiel Schule: Da wird jede Reform, jede Idee zwischen den Parteifronten und der Lehrergewerkschaft zerfetzt. Ist die Demokratie an bestimmten Stellen an einem toten Punkt angelangt?
Sie ist an bestimmten Stellen extrem in Gefahr. Ich verstehe nicht, warum die Eltern, um die Zukunft deren Kinder es geht, den Politikern nicht schon seit Jahren wirklich Druck machen. Man muss ja nicht auf die Straße gehen. Ich muss mir die Zeit nehmen, herausfinden, wer der Abgeordnete für meinen Bezirk ist, und den telefoniere ich nieder und schreibe ich nieder. Aber dieser Langmut, diese Gleichgültigkeit, dieses Hinnehmen, … Irgendwann werden die Studenten international nicht mehr wettbewerbsfähig sein. Dann wird es heißen: ‚Von der Universität Wien? Na, danke.‘ Und das muss man begreifen. Und wirklich: Die Bildungspolitik, Schule, Hochschule halte ich für ein Verbrechen an der Jugend.