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Trishes

Beats, Breaks und Tribe Vibes - oder auch: HipHop, Soul und staubige Vinyl-Schätze.

26. 7. 2011 - 19:01

Ungezwungen versus Überroutiniert

Der Unterschied zwischen einem sensationellen und einem "nur" guten Konzert - an den Beispielen Erykah Badu und Aloe Blacc.

Samstag abend in Wiesen: Der DJ startet (vielleicht als Referenz an das zweite Wort im Titel der "Nova Jazz & Blues Nights") mit Grover Washington Jr. Als über den funky Jazzgroove plötzlich eine unverwechselbare Frauenstimme zu singen beginnt, wird das Publikum sofort aufgeregt. Die kurze Enttäuschung darüber, dass Erykah da jetzt nur aus der Konserve gesungen hatte, wird durch ein Greatest Hits Set zwischen White Stripes, Prince, Michael Jackson et. al. verblasen. Langsam postieren sich die Musiker, dann die gleich vier Backgroundstimmen.

* inklusive Thundercat am Bass, der genau wie sein Homie Flying Lotus eine sehr wichtige Rolle am kommenden Erykah Badu Album spielen wird, wie mir Letzterer kürzlich im Interview erzählte...

Schließlich schleicht sich die Hauptprotagonistin von der Seite der Bühne langsam ins Rampenlicht und es kann losgehen! Die Hymne "The Healer" wird zu einem verhatschten Funk-Monster aufgeblasen, die düstere Drogendealergeschichte "Danger" zu einem sexy Slowjam transformiert - spätestens jetzt ist die Gewissheit da, hier etwas Besonderem beizuwohnen! Ohne Mühe trifft Ms. Badu alle Töne und Stimmlagen, mit kleinen Gesten hat sie ihre brilliant eingespielte Band* zu jedem Zeitpunkt im Griff. Gemeinsam nehmen sie uns mit auf einen Trip durch musikalische Referenzuniversen, wo zusammenkommt, was nicht offensichtlich, aber eben doch, zusammengehört. "Do you wanna come along for a ride?" Ja, wir wollen!

Erykah Badu lässt es sich nicht nehmen, zwischendurch auch mal mit den Drumpads die Kontrolle zu übernehmen, zupft hier ein bisschen an der heftig effektierten Gitarre oder klopft auf das Agogo. Davor, dazwischen und danach singt die Frau, und sie tut das nicht bloß genau so gut wie auf Platte, sondern noch um die Spur intensiver und beseelter. Die Gänsehaut meldet sich immer wieder, und das nicht wegen der bitterkalten Luft einer "Sommer"nacht - die ist nämlich für diese eineinhalb Stunden aus dem Bereich vor der Bühne verbannt worden.

Wollte man an diesem Beispiel für eine ungezwungen dargebotene, grandiose Soulshow doch noch eine Kleinigkeit aussetzen, dann wäre das vielleicht der Fakt, dass die großartigen zwei "New AmErykah" Platten kaum Spielzeit eingeräumt bekommen, und die zweite überhaupt nur in Form von "Window Seat" für 10 Sekunden angeschnitten wird - just bevor das Mothership schließlich das burgenländische Tal Richtung Orbit verlässt. Dank des portablen Musikabspielgeräts kann das Ankh-Defizit aber auf der Heimfahrt wieder ausgeglichen werden...

(c) FMS-David Bitzan

Erykah Badu bei der Nova Jazz & Blues Night in Wiesen

FMS-David Bitzan

Wie hat sich das nochmal Janet Jackson damals bei Joni Mitchell ausgeborgt? Manchmal wissen wir Dinge erst so richtig zu schätzen, wenn sie nicht mehr da sind. In unserem Fall der überdachte Bereich vor der Bühne in Wiesen, der am regnerischen Sonntagabend in der Open Air Arena schmerzlich fehlt. Ebenso wie die eigentliche Headlinerin dieses Abends, deren tragisches Ende schon am Samstag das Hauptgesprächsthema am Festivalgelände war.

Am Sonntag gibt es, unmittelbar vor dem Aloe Blacc Konzert, eine spontane Mini-Trauerfeier: Zum Bild der voll beleuchteten leeren Bühne wird Amy Winehouses Trauermarsch Back To Black eingespielt. Ein unerwartet berührender Moment, in dem es wohl nicht nur diesem Konzertbesucher kurz in die Augen regnet...

The Grand Scheme betreten danach die Bühne und setzen mit dem Marvin Gaye Soundtrackstück T Plays It Cool einen ersten deutlichen Hinweis darauf, in welche Richtung das hier gehen wird: Soul der klassischen Sorte! Nachdem den casual listeners mittels "I Need A Dollar" Instrumental klargemacht worden ist, warum sie eigentlich hier sind, betritt ein proper gekleideter Aloe Blacc die Bühne. Der überaus talentierte MC und Sänger aus Kalifornien ist dank ebenjenem Song im Laufe der letzten einundhalb Jahr in den Pop-Mainstream reingestolpert und fühlt sich auf Bühnen dieser Größe mittlerweile sichtlich wohl.

Da werden in einem kurzen Medley die Soulgötter James Brown, Stevie Wonder und eben Marvin Gaye inklusive Bühnengehabe gekonnt imitiert, anderswo versucht Blacc in der Mitte des Publikumsraumes eine Soul Train Line einzurichten (der Versuch scheitert leider kläglich, aber Soul Train hat bei uns eben leider nicht die Samstagvormittage dominiert). Dass der Typ selbst überdurchschnittlich gut tanzt, hat er ja erst kürzlich in einem Video unter Beweis gestellt, dass das auch während einer Liveshow funktioniert spricht für seine Fitness!

Aloe Blacc und seine Band machen objektiv nichts falsch - das kann mir aber das etwas fahle Gefühl von Lieblosigkeit leider nicht nehmen. Vielleicht sind sie vom vielen Touren schon etwas ausgelaugt, vielleicht setzen sie am Festival-Headliner-Spot lieber auf die sicherste Nummer. Aber während des Hits mit dem $-Zeichen auf Reggae umzuschalten und dann gemeinsam mit dem Publikum "No Woman No Cry" zu intonieren, ist meiner bescheidenen Meinung nach dann doch um die entscheidende Prise Anbiederung zuviel.

* die übrigens in Teilen entscheidend an Aloe Blaccs Albumproduktion mitgewirkt hat...

Die Lehrstunde in Muckertum am Anfang der Zugabe (Wow, Slapbass! Aua, Fusionsynthie!!) zeigt das Problem von einer anderen Seite: Klar, dass das hier alles Profis sind! Aber während die Band von Erykah Badu am Samstag und die Menahan Street Band* (mit Charles Bradley) vor zwei Wochen wunderbar vorgezeigt haben, wie man die eigene Virtuosität nicht eitel vor sich herträgt, sondern in den Dienst eines großen, mühelos scheinenden Konzert-Ganzen stellt, wirkt das hier wie überroutinierte Angeberei. Was ein bisschen schade ist!

(c) FMS-Mario Friesinger

Aloe Blacc bei der Nova Jazz & Blues Night in der Arena Wien

FMS-Mario Friesinger