Erstellt am: 29. 7. 2011 - 13:13 Uhr
BLNRB - Welcome to the Madhouse
Initiiert wurde das Projekt vom Goethe-Institut Nairobi, das den Berliner Produzent Andi Teichmann als DJ für eine Vernissage gebucht hat.
Sein Set überraschte die an Techno nicht gewohnten, aber keinesfalls tauben Ohren. Das Interesse am Sound der anderen Stadt war geweckt, das Experiment im Jahr darauf gestartet.
2009 fliegen die Techno-Produzenten Andi und Hannes Teichmann mit der Ragga-Tech und Blip-Hop Formation Jahcoozi und den elektronischen Alles-Könnern von Modeselektor nach Nairobi, um dort mit lokalen MCs Musik zu machen. Die Berliner wohnen dort drei Wochen lang in einem zur Musiker-WG mit zwei Studios umfunktionierten Haus, das von den lokalen MCs schnell den Spitznamen "Madhouse" bekommt, weil es dort so wahnsinnig zugeht. Fast Non-Stop wird an den Beats und Lyrics getüftelt, knusprige Raps getoastet, gejammt und aufgenommen.
Da einige Musiker in den entfernten Slums wohnen und pro Session stundenlange Busfahrten auf sich nehmen, bleiben manche kurzerhand auch im Madhouse, um die kreative Energie vollends auszunützen. BLNRB wurde somit zu einem sozialen Experiment, bei dem laut Hannes Teichmann alle einiges gelernt haben, was nicht immer einfach war. Das ausgeprägte afrikanische Gemeinschaftsgefühl und das lautstarke Herumgewusel im Haus wurde den Europäern, die "stolz darauf sind, auch einmal die Tür zu zumachen", gelegentlich zu viel.
Portrait "BLNRB - Welcome to the Madhouse"
Zu Beginn war nicht geplant, zwingend ein Album aus den produzierten Tracks zu formen. Somit konnten sie ohne Zeitdruck und Vorgabe den Ideen freien Lauf lassen. Eine überwältigende Erfahrung, wie Hannes Teichmann erzählt:
"Im Madhouse war die totale Freiheit, die man eigentlich nur als Schüler hat, wenn man am Nachmittag mit seinen Freunden rumhängt und keine Verpflichtungen hat. Und wenn man in so einer Atmosphäre Musik macht, kann man den ganzen Tag Musik machen. Man steht morgens auf und hört sich die Sachen an, die man bis spät in die Nacht aufgenommen hat, dann gehst du frühstücken und dann steht schon wieder jemand da, der Bock hat, mit dir etwas auszuprobieren. Wenn man professionell produziert und Musiker ist, kennt man diese unglaubliche Freiheit gar nicht mehr."
Gebrüder Teichmann- Im Studio & On Stage
World Musik 2.0
BLNRB - Welcome to the Madhouse ist bei
Out Here Records erschienen.
Das Ergebnis ist die kosmopolitische Compilation "BLNRB – Welcome to the Madhouse". Swahili-Rap, stante pede in wabernde Dancehall- und Rumpel-Beats gespittet, gemischt mit Berlin-Nairobi-Calling Tech-House. Massive Bässe, bedrohlich pumpend, dann wieder verhalten stolpernd. Gitarrengezupfe und Gesumme, dubbig und steppig. Schneller Rock von Jahcoozi und Just a Band findet sich ebenso unter den 18 Nummern, wie zwei Schüler, die den großen MCs zeigen, wo der Flow wohnt. Nämlich in Kibera, dem größten Slum Ostafrikas. Ein großer Wurf ist diese Compilation, mehr als 6 000 Kilometer weiter.

Out Here Records
Die Gebrüder Teichmann haben nicht nur in Kenia musikalische Feldforschung betrieben. Im Frühjahr waren sie in Afghanistan, Bangladesh, Indien und Sri Lanka. Von dort kommt auch Sasha Perera, die Sängerin von Jahcoozi. Ihr kommunikatives Talent hat die Vernetzung innerhalb der kenianischen Community erleichtert. Sie hat schnell Swahili gelernt, mit den MCs über die Lyrics und ihre homophobe Einstellung diskutiert. Bereits am zweiten Tag hat Sasha die Security-Frau vom Eingangstor ins Studio eingeladen, die dann auch gesungen und Effekte auf einen Dub-Track gedreht hat.
Doch die Berliner Clubmusikologen sind nicht nur im Madhouse gesessen, sie haben auch die Musiker in den Slums besucht, weil sonst das Projekt für sie zu einseitig gewesen wäre. Deshalb haben sie auch die Kenianer 2010 zum Worldtronics Festival nach Deutschland eingeladen, wo neben einem Konzert noch weitere Tracks entstanden sind.
Modeselektor, Nazizi, Abbas - Monkeyflip @Haus der Kulturen, Berlin
In Kibera, dem größten Slum des Landes, haben sie an einem Nachmittag ein Konzert gegeben, weil es am Abend zu gefährlich gewesen wäre. Daher waren im Publikum hauptsächlich kleine Kinder, und zwei von ihnen namens Little King und Robo, haben beim Open Mike so überzeugt, dass sie die beiden am nächsten Tag von der Schule abgeholt haben mit ihnen den Track "Take it Higher" aufgenommen.
Auch etablierte kenianische Künstler hört man auf BLNRB, zum Beispiel Nazizi, die Queen of Kenyan Hip Hop, MC Abass Kubaff, der in Nairobi ein richtiger Star ist und das aufstrebende sechsköpfige Hip-Hop-Kollektiv Uko Flaani. Damit der Sound ausgewogen und nicht nur dem Prinzip "Berliner Produzent, kenianischer Gesang" folgt, war die Zusammenarbeit mit anderen lokalen Produzenten und Bands wie der Elektro-Pop-Gruppe Just a Band wichtig.
Gebrüder Teichmann, Abbas, Kimya, LJ - Dirty Laundry
Hunger und Unruhen?
Von der großen Hungersnot im Land haben die Berliner kaum etwas mitbekommen, da sie in der abgeschotteten Parallelwelt des Upperclass-Districts untergebracht waren. Doch das extreme Gefälle zwischen Arm und Reich war Hannes Teichmann sehr wohl bewusst:
"Es gab einen Bettler, der mich in den Supermarkt mit genommen hat, um mir zu zeigen, dass er das Geld nicht vertrinken wollte, sondern zehn Kilo Reis gekauft haben wollte. Da schluckt man erst Mal, weil solche Grundnahrungsmittel teilweise teurer waren als bei uns."
Doch mehr als der Hunger waren die Unruhen nach den letzten Wahlen ein Thema, bei dem sich verschiedenen Volksgruppen gegenseitig umgebracht haben. Der Schrecken dieser Bürgerkrieg-ähnlichen Zustände fließt laut Teichmann stark in ihre Arbeiten ein.
"Welcome to the Madhouse" in the Mix
NRBLN-BLNRB / BLNRB-NRBLN
Irgendwann musste sich das multikulturelle Kollektiv auf einen Namen einigen. Die Diskussion rund um den Titel der Compilation ist auch auf dem Opener "Goldbreaks Variations" von Abass, Kimya, LJ und den Gebrüdern Teichmann nachzuhören. Als vermeintlich objektive Instanz zur Namensfindung wurde schließlich Google herangezogen. Nachdem BLNRB mehr Treffer als NRBLN erzielte, heißt das Album nun so.
Am meisten wundert, dass die Compilation trotz 20 verschiedener Künstler nicht auseinander fällt und wie aus einem Guss wirkt. Das liegt wohl am Spirit des Madhouse, den wiederkehrenden Stimmen der Sänger und dem zweimonatigen Kraftakt, den die Teichmänner beim Arrangieren gestemmt haben.
"BLNRB - Welcome to the Madhouse", ist nicht nur wegen dem Blick über den Tellerrand eine Compilation von Gewicht. Empfehlung!