Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Nicht einmal Schaum vorm Mund"

Robert Rotifer London/Canterbury

Themsenstrandgut von der Metropole bis zur Mündung: Bier ohne Krone, Brot wie Watte und gesalzene Butter.

19. 7. 2011 - 19:27

Nicht einmal Schaum vorm Mund

Der junge und der alte Murdoch versprühen vor dem Unterhauskomitee das Fadgas der Ahnungslosigkeit - und landen unverdiente Sympathiepunkte per Rasierschaumtortung

Man hätte sich nicht zuviel erwarten dürfen. Der Skandal, der derzeit das britische Establishment entblößt, betrifft das Verhältnis zwischen Boulevardpresse, Polizei und Politik. Wenn nun ein parlamentarisches Komitee James und Rupert Murdoch befragt, dann sitzen zwei fette Schenkel dieses Dreiecks einander gegenüber.

Da hilft's letztens auch nicht allzu viel, dass zu den Komiteemitgliedern der unerschrockene Labour-MP Tom Watson gehört, der so wie sein Kollege Chris Bryant der tödlichen Umarmung der Murdochs mit der größten Konsequenz widerstanden hat. Schon gar nicht, wenn man weiß, dass der Chairman des Komitees, der konservative MP John Whittingdale, zur Hochzeit des erst neulich seit über 50 Jahren treuen Dienstes zurückgetretenen Murdoch-Lieutnants und ehemaligen News International-Chefs Les Hinton eingeladen war und mit Ruperts Tochter bzw. James Schwester Elizabeth verkumpelt ist.

Dann dreht man also die BBC auf und sieht dem Moderator Andrew Neil (der einst mit Rupert Murdoch den Sky-Satellitenkanal gründete aber sich seither von ihm distanziert hat) gegenüber niemand anderen Alastair Campbell selbstzufrieden dasitzen und kommentieren, dass er sich an seine eigene Nervosität auf dem kurzen Weg zum Komiteeraum des Portcullis House erinnert. Ach ja, der Irak-Krieg, na ja, ist lange her.
Neben ihm der konservative Rechtsaußen (allerdings der libertären Schule) Dave Davies und Kolumnist David Aaronovitch von der Times, also ein Angestellter der Verhörten.

Nicht gerade die Runde, die das Establishment per se in Frage stellen wird.

Smithers und Burns

Fox

James und Rupert

So weit so sehr alles wie bei euch in Österreich, mögt ihr denken. Stimmt nicht ganz: Die faule Flade in der Mitte des Salons der guten Gesellschaft ist zwar schon seit mindestens drei, wenn nicht vier Jahren am Dampfen, aber was man den Briten immerhin hoch anrechnen muss, ist dass sie an dem Punkt, wo die zynische Praxis der Korruption eine gewisse Grenze der sichtbaren Immoralität überschreitet, durchaus zum Infragestellen des Selbstverständlichen bereit sind.

Wie geschehen in den letzten Wochen nach Bekanntwerden des Abhörens der Mailbox von Mordopfer Millie Dowler durch die inzwischen eingestellte, von Murdochs News International verlegte Sonntagszeitung News of the World.

James Murdoch und Rupert Murdoch bei einer Anhörung.

EPA

Smithers und Burns

In diesem Geist beginnt das öffentliche Verhör durch die Murdochs damit, dass der Chairman, James und Rupert nicht erlaubt, ein Eröffnungsstatement zu verlesen.

Murdoch Junior bringt trotzdem in einer seiner ersten Antworten seine gut eingelernte Entschuldigungsorgie unter. Murdoch Senior unterbricht ihn dabei, indem er ihm die Hand auf den Arm legt und sagt: „Ich würde gern nur einen Satz sagen: Dies ist der demütigste Tag meines Lebens.“

James Murdoch bekennt, er teile die Frustration des Komitees, dass News International in seinen dreijährigen internen Ermittlungen in die Praxis illegaler Recherchen nicht zu konkreteren Ergebnissen gekommen wären.

Sein Vater Rupert lässt uns wissen, dass er von nichts was wusste, zumal doch das britische Zeitungswesen nur ein ganz kleiner Teil seines Unternehmens sei. Ein Prozent, mehr nicht.

Den Namen von Neville Thurlbeck, dem ehemaligen Chefreporter der News of the World, der Max Mosley erpresst hat und am 5. April wegen seiner Verstrickung in den Skandal verhaftet wurde, habe er noch nie gehört.

Man beginnt langsam zu verstehen, dass selektive Wahrnehmung ein wesentlicher Faktor der beschriebenen Frustration der Ermittlungen sein könnte.

Von der Überweisung von 700.000 Pfund an den abgehörten Fußballfunktionär Gordon Taylor zur Abwendung einer Klage hat er auch nie was gehört. James wird uns später erklären, dass auch er als für die britischen Operationen des Konzerns zuständiger Murdoch nichts davon wissen musste, zumal Zahlungen in dieser Höhe nicht einmal mit dem Vorstand abgesprochen werden müssen. Das geschehe erst ab Beträgen von mehreren Millionen.

Wenn er dabei nicht seine trockene Kehle mit nervösen Schlucken aus der Wasserflasche befeuchten hätte müssen, hätte man beim Prahlen mit großen Summen beinahe den alten James Murdoch vor der News-Corp-Funktionärskarriere in seiner früheren Persönlichkeit als Mitgründer von Rawkus Records wiedererkennen können.

„Ich war schockiert und entsetzt, als ich über den Millie Dowler-Fall hörte“, sagte Rupert.

Auf die Frage, was er davon halte, dass ein parlamentarisches Komitee den Vorstand von News Executive der kollektiven Amnesie für schuldig befunden hätte, schüttelte er bloß den Kopf. Die Fassade der Demut begann zu bröckeln.

„Stimmt es, dass Sie schon im Jänner wussten, dass es sich bei der Abhöraffäre nicht nur um das Werk eines Einzeltäters in der Redaktion handelte?“ war die ohnehin großzügige nächste Frage.

„Ich kann mich an das Datum nicht erinnern.“

Der Name Alex Marunchak (siehe unter anderem diese Story) schien ihm auch nicht viel zu sagen.

„Ich hab vielleicht seine Hand geschüttelt, als ich in mein Büro gegangen bin. Aber ich habe keine Erinnerung daran.“

Über die Verstrickungen zwischen News International, der Polizei und dem politischen Establishment bekommen wir kaum mehr zu hören, als dass Herr Murdoch die Downing Street auf Wunsch des Premierministerbüros zur Vermeidung öffentlicher Aufmerksamkeit durch die Hintertür zu betreten pflegt.

Seine Unterstützung Tony Blairs, nachdem ihm die Konservativen unter John Major „müde“ vorgekommen warne, hätte seine Zeitungen 200.000 Exemplare Umsatz gekostet (interessant, wie gut da plötzlich die Erinnerung funktionierte). Man habe sich gut verstanden, nur über den Euro gestritten (zur Erinnerung: Blair versprach damals ein Referendum über den Euro-Beitritt Großbritanniens, das allerdings nie stattfinden sollte).

In einem Versprecher verwechselte Rupert Murdoch bezeichnenderweise noch die Namen Cameron und Campbell, aber während der zu Anfang souverän monotone, alles mit Langeweile erstickende Sohn James sich immer öfter in die Phrase „I have no knowledge of this“ flüchten musste, kam unter dem zu Anfang tatterigen, schwerhörigen Auftreten seines Vaters mit zunehmender Dauer der Machtmensch zum Vorschein.

Rupert kam in Fahrt, klopfte auf Tisch, verwies frech auf die vom Daily Telegraph vor zwei Jahren aufgedeckte Spesenaffäre des Unterhauses: „In Singapore kriegt jeder Minister eine Million im Jahr“, donnerte er, „da gibt es keine Versuchung, das ist die sauberste Gesellschaft überhaupt.“
Mit dem laut Amnesty International höchsten Anteil an Todesstrafen weltweit, und das bei einem Justizsystem, das seit 1969 ohne Geschworenengerichte auskommt. Sauber, wie Rupert Murdoch sich das vorstellt.

Jonnie Marbles Twitterfeed

Robert Rotifer

Jonnie Marbles-Twitterfeed nach der Schaumattacke auf Murdoch: Danke Jonnie, du warst lustig (he, du hattest dieselbe lustige Simpsons-Analogie parat wie ich und der ganze Rest der Welt)

Und dann kam das, was ihr schon überall gelesen und gehört habt: Ein Typ namens Jonnie Marbles, der sich selbst für einen Komiker hält, ging mit einer Tortenattrappe aus Rasierschaum auf Murdoch los, dessen Frau Wendy schnalzte dem Attentäter eine, das Komitee musste seine Sitzung unterbrechen und Rupert kam minus Sakko hemdsärmelig als tapferes Opfer wieder zurück. „Das sieht gut aus“, soll einer aus seinem Mitarbeiterstab gesagt haben.

Well done, Jonnie, du Depp.

Murdoch erzählt uns noch, dass er hofft, seine alte Freundschaft mit Gordon Brown wieder kitten zu können, und die Befragung ist so gut wie vorbei.

Kein Wort zum Tod des Ausplauderers Sean Hoare.

Nichts zum Verhältnis zu den zurückgetretenen Oberpolizisten der Metropolitan Police Yates und Stephenson.

Rebekah Brooks' Statement habe ich dann weitgehend versäumt, weil ich das hier schreiben musste.

Fest steht, dass die wichtigsten Fragen an die Murdochs heute ungestellt blieben.