Erstellt am: 18. 7. 2011 - 12:49 Uhr
Pura Vida
Costa Rica, so heißt es, sei die "Schweiz Mittelamerikas". Klein, gebirgig und vor allem neutral wie die Eidgenossenschaft hält es sich seit 1983 aus den politischen Konflikten der Region heraus. Durch den Export von Bananen, Ananas und Kaffee haben sich die Ticos einigen Wohlstand erarbeitet, und weil zudem 26 Prozent der Landesfläche unter Naturschutz stehen, gilt der Staat ohne Armee als Ökotourismus-Musterland.
"Pura Vida" ist eine in Costa Rica gängige Grußformel und bedeutet "pures Leben".
Doch Schweiz hin oder her, im Süden von Costa Rica direkt an der Pazifikküste und rings um die kleinen Ortschaften Golfito und La Gamba liegt ein üppig grünes Paradies - der "Regenwald der Österreicher".

Verein Regenwald der Österreicher
Der "Regenwald der Österreicher" gehört zum Esquinas-Regenwald. Mit knapp 160 Quadratkilometern Fläche ist der etwa so groß wie Liechtenstein, und beherbergt über 500 Baumarten, mehr als 3000 Pflanzenarten und gezählte 367 Vogelarten. Insekten und Amphibien kann man längst nicht alle benennen, außerdem leben hier noch Jaguare, Pumas, Tapire, Ameisenbären und Rote Aras - Tiere, die in vielen anderen Regionen Mittelamerikas längst verschwunden sind. Mit einem Wort, der Esquinas-Regenwald ist eines der artenreichsten Gebiete der Erde. Das sagt sich leicht, doch im Grunde macht keine dieser Zahlen die unglaubliche Vielfalt dort je fassbar. Ich habe Kolibris beim Nektarschlürfen beobachtet, bin Aug' in Aug' mit einem Kaiman gesessen, habe die Schuppen einer falschen Lanzenotter auf meiner Haut gespürt, dem morgendlichen Chor der Vögel und dem Froschkonzert nach Einbruch der Dunkelheit gelauscht. Es mag ein großes Wort sein, aber dort im Wald, empfindet man tatsächlich Ehrfurcht vor der Natur.
Der paradiesische Zustand des Esquinas-Regenwalds verdankt sich der costaricanischen Naturschutzpolitik, die den Raubbau an ihrem Land rechtzeitig eingebremst hat. Bis in die 1980er-Jahre waren rund 80 Prozent aller Waldflächen gerodet worden, um Platz für Viehweiden und tausende Hektar große Obstplantagen für Konzerne wie Chiquita, Del Monte oder Dole zu schaffen. Zudem schlugen Holzfäller völlig legal wertvolle Tropenhölzer aus den Wäldern. Heute werden Schlägerungsgenehmigungen nicht mehr so leicht erteilt, doch bis in die 1990er-Jahre verkauften auch viele Grundbesitzer am Golfo Dulce Mahagoni, Teak und Purpurholz. Die meisten von ihnen waren Bauern aus der Region und das Holzfällen für sie nur ein Nebenerwerb. Noch dazu kein besonders einträglicher. Um die breiten Transportstraßen für die Baumstämme in den Wald zu schlagen, mussten sie teure Traktoren und Lastwägen anmieten - der große Aufwand brachte wenig Gewinn. Als daher die Nationalparkverwaltung von Costa Rica anbot, ihnen ihr Land abzukaufen, willigten die meisten gerne ein. Doch dafür fehlte das Geld.

Verein Regenwald der Österreicher
Zur selben Zeit richtete sich der US-Wiener Michael Schnitzler gerade eine Ferienhütte auf der Playa Cacao ein. Als er eines Tages beim Landeanflug die Transportschneisen roter Erde mitten durchs Grün sah, beschloss er, etwas zu unternehmen. Er stellte Kontakt zur costaricanischen Nationalparkverwaltung her, und schlug vor, in Österreich Spenden zu sammeln. Mit dem Geld sollten die bedrohten Grundstücke freigekauft, dem Land geschenkt, und in den bestehenden Nationalpark Piedras Blancas eingegliedert werden. Gesagt, getan. Mithilfe einer Kampagne in der Kronenzeitung - die Schnitzler wegen Hans Dichands bekannter Tierliebe als vielversprechendes Mittel zum Zweck erschien, und ihm prompt den quotenträchtigen Spitznamen "Robin Wood" verlieh - und zahlreicher Schulprojekte und EinzelspenderInnen, hat der ehemalige Konzertgeiger seit 1992 rund 2,5 Millionen Euro aufgetrieben, und damit insgesamt 40 Quadratkilometer Wald unter Naturschutz gestellt.
Enteignungen sind in Costa Rica nur unter besonderen Umständen möglich. Auf der Website des Vereins heißt es zur Frage nach Enteignungen und Aussiedlungen:
"Alle Grundeigentümer im Regenwald der Österreicher haben ihre Grundstücke freiwillig verkauft und dafür den vom Staat festgelegten Preis erhalten. Die Nationalparkgrenze verläuft in 20 m Seehöhe, sodass die meisten Bewohner - vor allem an der Küste und am Río Esquinas - sowieso außerhalb des Parks wohnen."
- Über fragwürdige Naturschutzmethoden anderswo schreibt Andreas Grünewald hier.

Verein Regenwald der Österreicher
Zusätzlich hat der Verein "Regenwald der Österreicher" die Errichtung der Tropenstation La Gamba der Universität Wien unterstützt, eine CO2-neutrale Ökotourismus-Lodge aufgebaut, und mit einem 10-jährigen Artenschutzprojekt für die Wiederansiedlung Roter Aras gesorgt, die noch vor 20 Jahren fast ausgerottet waren.

Regenwald der Österreicher
Aktuell kümmert sich die Zwei-Mann-Organisation um den Schutz der Wildkatzen. Denn auch wenn Jagen im Nationalpark verboten ist, stellen Wilderer noch immer eine große Bedrohung für die Tiere dar. Die Felle von Jaguaren sind am Schwarzmarkt tausende Euro wert, und nicht selten greifen auch Bauern, deren Schafe oder Ziegen gerissen werden, zur Flinte. Der "Regenwald der Österreicher" bezahlt daher das Gehalt von zwei Wildhütern und leistet für getötes Vieh Entschädigungsgelder.
Vereinzelt hört man auch von Goldwäschern, die Böden und Gewässer mit Quecksilber verschmutzen, oder dass Flusskrebse mit Chemikalien aus den Flüssen geschwemmt werden. Das sei natürlich schrecklich, sagt Schnitzler im Interview, insgesamt richte das aber nur kleine Schäden an. Viel bedenklicher seien die großen Monokulturplantagen außerhalb der Schutzzonen. Auf einzelnen Flächen im Esquinas-Regenwald werden vor allem Ölpalmen für die Produktion von Biosprit angebaut. "Die Bauern in der Region verkaufen mehrere Ernten pro Jahr an die Palma Tica, und bekommen dafür wesentlich mehr Geld, als wenn sie z.B. ein paar Rinder auf ihren Flächen weiden lassen", erzählt Schnitzler.

Barbara Köppel
Der große wirtschaftliche Druck auf die Bauern fördert diese Entwicklung in vielen Ländern Lateinamerikas und Südostasiens. Vergleichsweise ist die Situation in Costa Rica aber harmlos. Anders als z.B. in Malaysia und Indonesien, wo für die Plantagen riesige Flächen gerodet werden, passiert das in Costa Rica nicht mehr. Ölpalmen dürfen stattdessen nur auf alten Bananenplantagen gepflanzt werden, die zu diesem Zweck umgewidmet wurden. Von Nachhaltigkeit kann bei diesem Konzept trotzdem keine Rede sein. Nicht selten werden ausgelaugte Bäume mit Gift getötet, damit neue Palmen nachwachsen können.
Um diesem Trend wenigstens ein bisschen entgegenzuwirken, hat der "Regenwald der Österreicher" nun auch ein Wiederbewaldungsprojekt gestartet. Auf der Finca Ovelio haben MitarbeiterInnen der Tropenstation La Gamba letztes Jahr begonnen, 7500 Bäume 40 unterschiedlicher Arten zu pflanzen. Mit dieser und weiteren geplanten Aufforstungen auf ehemaligem Weideland sollen nicht nur Tonnen von CO2 gebunden werden, sondern auch Korridore zwischen isolierten Waldflächen geschaffen werden, um den Lebensraum für die Tiere zu erhalten.

Verein Regenwald der Österreicher
Bei all diesen Unternehmungen bezieht "Der Regenwald der Österreicher" die lokale Bevölkerung mit ein. Die Tropenstation und die Ökotourismus-Lodge sind der einzige ständige Arbeitgeber in La Gamba. Das Wildkatzenprojekt läuft in Kooperation mit der costaricanischen Organisation Yaguará.
Wer helfen will, den Esquinas-Regenwald freizukaufen, neue Bäume zu pflanzen oder die Wildkatzen zu schützen, findet alle weiteren Informationen hier.

Verein Regenwald der Österreicher
Der Freikauf der Grundstücke, der diese Projekte erst ermöglichte, läuft zwar mittlerweile quasi nebenbei, ist aber nach wie vor Hauptziel des Vereins. Nach seiner Pensionierung als Geiger und Musikprofessor kann sich der 67-Jährige Michael Schnitzler dieser Tätigkeit endlich voll und ganz widmen. Erst vergangenen Dezember haben ihm 400.000 Euro Spendengelder den Kauf eines strategisch wichtigen Grundstücks von 133 Hektar Größe ermöglicht. Jetzt steht das Vereinskonto wieder auf Null. Obwohl also der Zeitpunkt für Schnitzler günstig wäre, auch diese Arbeit niederzulegen und sich endgültig in seine Regenwald-Hütte zurückzuziehen, denkt der Naturschützer gar nicht daran. Denn was er in Costa Rica noch tun kann, sagt er, sei wichtiger als alles, was er in seiner musikalischen Karriere je erreicht habe: "Als Musiker bin ich ersetzbar. Wenn ich aufhöre, kommt der nächste Geiger nach und macht das Gleiche. Ich wüßte aber nicht, was aus dem Wald hier geworden wäre, wenn ich vor 20 Jahren nicht angefangen hätte, ihn zu schützen. Und auch wenn meine Arbeit hier manchmal sehr anstrengend ist, kann ich mir ehrlich nicht vorstellen, aufzuhören. Dafür ist noch zu viel zu tun."
Die verbleibenden 45 Quadratkilometer Esquinas-Regenwald kosten etwa 20 Millionen US-Dollar.