Erstellt am: 15. 6. 2011 - 11:12 Uhr
Encore!
Die Vorhänge der Wiener Festwochen sind noch nicht gefallen, da startet schon der nächste Theaterfestivalmarathon. Die Freie Szene bittet zu revolutionären Premieren und zum Wiedersehen von Altbewährtem. Daher finden sich an dieser Stelle einmal aufs Neue ein paar Empfehlungen für Freunde der darstellenden Kunst.
Gefällt mir
"Gefällt mir [nicht]" von 15. - 16. Juni in der Garage X in Wien
Die Garage X schenkt ihrem theaterschaffenden Nachwuchs zu Saisonende ein symbolisches Startguthaben, und bringt mit dem Festival "Gefällt mir [nicht]" drei Inszenierungen zum Thema "Intervention und Internet" auf die Bühne.

Interact SpA
Während soziale Netzwerke im arabischen Raum reale revolutionäre Bewegungen auf die Straße katapultieren, beschränkt sich unser Wirken in Facebook und Co zumeist auf Überlegungen zu "Ist in einer Beziehung mit..." oder auf das Anklicken des Like-Daumens. JungautorInnen Stephan Lack, Sandra Gugic und Claudia Tondl erörtern in ihren Texten diese feinen Unterschiede zwischen Netzaktivitäten und Netzaktivismus. Die Regisseurinnen Danielle Strahm, Julia Burger und Carina Riedl bringen sie schließlich als Kammerspiel, Textmontage und Märchen auf die Bühne.
Kauf ich mir
"Alles muss raus!" von 22. - 26. Juni in Brut, Schauspielhaus und Dschungel in Wien
Brut, Schauspielhaus und Dschungel Wien trommeln inzwischen zu ihrem bereits dritten gemeinsamen Bühnenausverkauf "Alles muss raus!". Insgesamt 23 Produktionen der vergangenen Spielzeit kriegen ein 4,99€-Etikett verpasst, und wie im echten Leben sind die billigen Schnäppchen oft die besten.
Der großartige Zachary Oberzan zum Beispiel wird im Brut Künstlerhaus noch ein letztes Mal sein Filmtheaterstück "Your Brother. Remember?" zum Besten geben. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder hat der US-Performancekünstler schon in den 80er-Jahren Actionszenen aus Jean-Claude-Van-Damme-Filmen nachgespielt. 20 Jahre später tun sie dasselbe noch einmal. Während der eine kurz darauf im Gefängnis landet, zeigt der andere ihre Low-Budget-Clips nun im Rahmen einer Liveperformance auf der Bühne.
Das Schauspielhaus wiederholt mit "Sonnenkönig" und "Superkreisky" die besten Stücke aus der 10-teiligen Jubiläumsserie zum Wirken des Altbundeskanzlers. Und weil ein Stück über die Überwindung sozialer Gegensätze im Heute (personifiziert in einer alten Frau und einem jungen Wirtschaftsmenschen) daran thematisch und ideell wunderbar anschließt, gibt es die Vorpremiere von Ewald Palmetshofers "Körpergewicht 17%" gratis dazu.

Schauspielhaus Wien
"Alles muss raus!" präsentiert außerdem noch rachsüchtige Vergewaltigungsopfer, tanzende virtual communities oder einen Hochnotstand zum Insolvenzantrag schreiben. Es lohnt sich, das gesamte Programm durchzuschauen, die Einteilung der Pflichttermine erfordert allerdings einige Planung.
Schau ich mir an
"Moment" von 15. - 19. Juni im TAG - Theater an der Gumpendorferstraße in Wien
Wer es stattdessen lieber spontan hat, dem sei "Moment", das Improvisationstheaterfestival im TAG ans Herz gelegt. Das Publikum gibt die Vorgaben, die eingeladenen Schauspieltruppen aus den USA, Deutschland, Slowenien, Südtirol und Österreich setzen sie um. Formal wird sich das gebotene Überraschungstheater zwischen Radioshow, Sitcom und Krimi abspielen.
"The Infernal Comedy" von 30. Juni - 1. Juli im Ronacher in Wien
Apropos Krimi: Die Musicalbühnen des Landes scheinen normalerweise nicht unbedingt auf dem FM4-Radar auf, aber wenn John Malkovich zwei Jahre nach der Premiere von "The Infernal Comedy - Confession of a serial killer" wieder als Jack Unterweger auftritt, piept's doch ganz laut. Malkovich liest aus den Bekenntnissen des Prostituiertenmörders, der neun Frauen mit ihren BHs strangulierte und sich in seiner Gefängniszelle schließlich selbst erhängte. Angetrieben wird sein monströses Spiel von Mozart- und Beethovenarien zu Liebe und Gewalt.

Nathalie Bauer
Fahr ich hin
"Festival der Regionen" von 22. Juni - 3. Juli in Bahnhof und Stadtraum von Attnang-Puchheim
Jetzt aber raus aus den Untiefen der Hochkultur und raus aus Wien! Das "Festival der Regionen", das dieses Jahr unter dem Motto "Umsteigen" steht, betreibt allen ÖBB-Privatisierungsplänen zum Trotz die kulturelle Aufwertung des Bahnknotenpunkts Attnang-Puchheim in Oberösterreich.

Stadtgemeinde Attnang-Puchheim
Zwischen persönlichen Begrüßungskomitees und Passantenbeschimpfungen für An- und Abreisende bieten die Bahnsteige und Stadträume des Ortes Gelegenheit für allerlei Interventionen. So werden zum Beispiel Liebesbotschaften über Lautsprecher durchgesagt, Installationen und fahrende Performance-Waggons aus Schrott und alten Schuhen gebaut, solidarische Laienfilm- und Radioprojekte verwirklicht, ein Do-it-yourself-Tanzkurs auf den Asphalt gezeichnet, Theater mit und ohne Menschen gespielt oder einfach Freundschaften geschlossen.
Gespannt sein darf man vor allem auf "Das große Umsteigeseminar" von Julius Deutschbauer und Maja Degirmendzic. Die beiden bieten all jenen Hilfe an, die schon immer einmal in eine andere Haut schlüpfen wollten. Denn ganz ehrlich, selbst der männlichste Mann hat sich schon einmal gewünscht eine Frau zu sein, die gläubigste Christin eine Atheistin und gar der überzeugteste Sozialdemokrat denkt sich dann und wann, als Mitglied der ÖVP hätte er sicher mehr zu lachen. Vielleicht lässt sich ja ein Massentermin für AutofahrerInnen einrichten? Dann wären die Sache mit der Privatisierung und das Stauproblem auf einen Streich gelöst.
Probier ich aus
"Festival der kleinen Kostbarkeiten" von 29. Juni - 3. Juli in Straden
Wenn wir schon durch die österreichische Provinz tingeln, lohnt es sich auch einen Abstecher in die Steiermark zu machen. Im Rahmen des "Festivals der kleinen Kostbarkeiten" in Straden wird Monika Klengel, Schauspielerin bei Theater im Bahnhof, in einen Rollkragenpulli schlüpfen - und zwar vollständig, bis sie weg ist. Dort feiert sie dann eine kleine Party und thematisiert ganz nebenbei, wie ältere Frauen und Künstlerinnen oft einfach aus dem gesellschaftlichen Diskurs verschwinden. Das klingt zunächst vielleicht ein wenig sperrig, Kollegin Motter versichert aber, dass dieses "Verschwinden" "so klug wie witzig" gemacht ist, und allein Idee und Anblick schreien nach standing ovations.

Johannes Gellner
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Sommerszene-Festival von 23. Juni - 14. Juli in Salzburg
Bitte freimachen statt irgendwas anziehen heißt es zu guter Letzt in Salzburg Stadt. Das dort stattfindende Sommerszene-Festival nimmt sein Motto "Unendlich frei" nämlich wörtlich, und veranstaltet sämtliche Produktionen gratis.
Die New Yorker Regisseurin Annie Dorson wird in diesem Rahmen wieder ihr Digitaltheaterstück "Hello Hi There" aufführen, das sie erstmals 2010 beim "Steirischen Herbst" präsentiert hat. Zwei Macbooks führen darin eine Debatte zu menschlicher Natur und künstlicher Intelligenz. Als Ausgangsmaterial dienen Gedanken und Satzkonstruktionen, die Philosoph Michel Foucault und Linguist Noam Chomsky 1971 in einem Fernseh-Streitgespräch geäußert haben.
Ebenfalls virtuell inspiriert ist die Multimedia-Show Youdream des austro-franko-belgischen Performancekollektivs Superamas. Dafür wurde extra eine Internetplattform eingerichtet, auf der Menschen aus ganz Europa ihre Träume erzählen können. Auf der Bühne werden die Videos später mit Tanz, Musik und Lichteffekten zu einer Art virtual reality über "den bewussten und unbewussten Zustand Europas, seine Nationen und seine Utopien" montiert. Der Pressetext bleibt leider etwas vage, aber zum Glück gibt es auch hierzu einen Youtube-Trailer.