Erstellt am: 10. 6. 2011 - 16:53 Uhr
"13 Fahrgäste pro Zug"
Ticket to ride: Hab gehört in Österreich wollen sie die Bahn privatisieren. Die Briten haben damit so ihre Erfahrungen... (Robert Rotifer)
Christian Kern ist seit gut einem Jahr Chef der ÖBB. Als er seinen Posten angetreten hat, hat er angekündigt, die Bahn zu sanieren und die Skandale und Skandälchen aus der Zeit seiner Vorgänger aufzuarbeiten - gerade heute ist es ja im Rechnungshof-Ausschuss des Nationalrates wieder um verlustreiche Spekulationsgeschäfte gegangen.
Finanzministerin Maria Fekter will den ÖBB dazu - im Gegensatz zu anderen staatlichen Unternehmen - kein extra Steuergeld geben. Am liebsten würde sie, so hat sie das Anfang der Woche gesagt, die Bahn privatisieren, "damit das Werkl wieder rennt", wie sie es ausgedrückt hat.

APA
Rennt das Werkl denn in privater Hand besser? Schaut man über den Ärmelkanal, muss man sagen: nein. Trotzdem: in der öffentlichen Meinung steht die ÖBB nicht unbedingt in einer Linie mit Lippizanern, Stephansdom und Mozart(kugeln). Zerrissen zwischen negativem Ruf und den Wünschen von PolitikerInnen könnte eine Privatisierung vielleicht ja wirklich etwas verbessern.
FM4 hat sich mit Christian Kern über Privatisierungspläne und schlecht genutzte Nebenstrecken, Vorbildern und die Finanzierungspflicht des Staates gesprochen.
Welche Probleme hat denn die ÖBB, die eine Privatisierung lösen könnte?
Wie sie wisssen, war das ja keine Idee, die wir entwickelt haben, es ist für mich auch keine Grundsatzfrage oder dogmatische Frage, sondern unsere Kunden erwarten bestmögliches Service, die Steuerzahler erwarten, dass wir schonend mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, umgehen und wir müssen uns überlegen, wie wir das am besten organisieren können. Ich erlebe jedenfalls die Eigentümerschaft des Bundesministeriums für Instrastruktur als eine, die uns in keinem Fall mit Vorgaben oder Fragestellungen konfrontiert, die wir nicht im Unternehmen lösen könnten. Ganz im Gegenteil, wir haben viele Freiräume, das Unternehmen ordentlich zu führen, wir haben auch einen volkswirtschaftlichen Auftrag, der ist ganz klar formuliert: möglichst viele Menschen auf die Bahn zu bringen, möglichst viele Güter auf unsere Züge zu bringen und in diesem Rahmen versuchen wir, so wirtschaftlich wie möglich zu arbeiten. Ich würde da einen großen Unterschied zu einem privaten Eigentümer nicht zwingend erkennen.
Der ÖBB Aufsichtstrat Paul Blumenthal sieht die ÖBB in einer Negativspirale, die Leute fahren ein bisschen weniger Bahn, Nebenlinien werden eingestellt, was nur wieder dazu führt, dass weniger Leute mit der Bahn fahren. Wie wollen sie dem entgegenwirken?
Die Bahn ist ein Massenverkehrsmittel, sie funktioniert letztendlich auch nur dort, wo sie viele Menschen transportiert, alles andere macht auch ökologisch keinen Sinn. Wir haben zuletzt intensiv die Bahnverbindungen zwischen Graz und Salzburg diskutiert. Wenn sie sich da die Verkehrszählungen ansehen, nämlich wieviele Menschen fahren von Graz nach Salzburg oder von Salzburg nach Graz, direkt, mit Auto, Bus oder Bahn, dann sind das täglich 130. 32 davon fahren heute schon mit der Bahn und natürlich, wenn sie dieses Angebot aufrecht erhalten, dann ist das völlig logisch, dass das Geld kostet, dementsprechend resultiert das in einer Finanzierungsfrage. Unser Punkt ist: wir sind natürlich bereit, die weniger ausgelasteten Bahnverbindungen zu führen, aber es kann keiner von uns erwarten, dass wir das wirtschaftlich tun können. Wenn man das will, was absolut sinnhaft ist, weil es eine Frage von Lebensqualität in unserem Land ist, dann muss man auch die Frage beantworten, wie das finanziert werden soll.
130 Leute fahren jeden Tag von Salzburg nach Graz bzw. umgekehrt?
Das sind tatsächlich nicht mehr, da gibt es offizielle Verkehrszählungen, ich war genauso überrascht wie Sie, hätte da zumindest eine Null mehr erwartet, aber die direkten Transfers zwischen diesen beiden Städten sind tatsächlich nicht mehr. Was aber nicht bedeutet, dass die Bahnstrecke
völlig unausgelastet ist, die hat natürlich auch eine Nahverkehrsfunktion. Da muss man aufpassen, dass auch die weiter angeboten wird.
Wenn man sich den deutschsprachigen Raum anschaut, gibt es zwei relativ konträre Modelle, die Deutsche Bahn setzt eher auf Fernverkehr als Konkurrenz zum Flugzeug, in der Schweiz setzt man eher auf kleine Projekte, rein in den ländlichen Raum - welcher Weg ist denn in Österreich
der richtige?
Die Fernverkehrsthematik ist eine höchst interessante,das ist eine faszinierende Entwicklung auf der ganzen Welt. In China z.B. werden in den nächsten fünf Jahren jedes Jahr 80 Milliarden Euro dafür ausgegeben. In Österreich haben wir leider das Problem, dass wir von dem Hochgeschwindigkeitsnetz sehr weit entfernt sind, das heißt, bis sie mal von österreichischem Boden in diese internationalen Höchstgeschwindigkeitsnetze kommen, fahren sie schon mal zumindest bis zu 4 Stunden von Wien bis München. Bei Vergleichen mit der Schweiz muss man sagen, dass die Nebenbahnen von den Kantonen, von Regionalbahnen betrieben werden. Das ist ein sehr ineffizientes Geschäft, weil sie, spezifisch betrachtet, einen sehr hohen Personaleinsatz und sehr hohen Investitionseinsatz für die Erhaltung der Strecken haben. In der Schweiz gibt es auch kein Busangebot. Wenn sie das alles zusammennehmen, dann sehen Sie, dass sich der Produktivitätsunterschied zwischen den beiden Bahnen gar nicht so großartig anders darstellt. Die Probleme sind überall ähnlich, der ganz große Unterschied ist: in der Schweiz gibt es einen nationalen Konsens, dass die Bahn etwas Gutes, etwas Positives ist, etwas, das Lebensqualität bringt und Nutzen für den Wirtschaftsstandort hat. Diesen Konsens herzustellen, ist wahrscheinlich die wichtigste Aufgabe, die wir als Bahnmanager haben.
Das bedeutet eher eine Orientierung an der Schweiz?
Die Schweiz ist in Vielem ein Vorbild im Personenverkehr, glücklicherweise können wir sagen, dass wir im Güterverkehr der Schweiz deutlich voraus sind, wie im übrigen jedem europäischen Land. Wir haben in der ÖBB gesehen, dass in den letzten zehn, fünfzehn Jahren der Fokus weniger auf dem Personenverkehr gelegen hat. Es hat da ein chronisches Unterinvestment gegeben. Es ist weniger Geld investiert worden, als notwendig gewesen wäre.Wir müssen versuchen, das aufzuholen - in einer wirtschaftlich schwierigen Lage, wo relativ wenig Geld da ist.
Worst Case Scenario: Großbritannien, British Rail Privatisierung. Haben sie Angst vor sowas?
Ich bin am vergangenen Wochenende in Großbritannien mit der Bahn gefahren, also Angst würd ich nicht sagen, aber ich hab festgestellt, dass die Serviceleistungen von privaten Bahnen in keiner Weise besser sind als das, was wir kennen. Das Bahnticket ist doppelt so teuer wie in Österreich. Wenn man den Beweis erbringen möchte, dass Privatisierung zur Verbesserung des Service führt und zu weniger Kosten für die Kunden, dann ist das in England jedenfalls misslungen.
Das ganze Interview zum Nachhören:
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