Erstellt am: 1. 5. 2011 - 16:25 Uhr
Elektropoptapeten für die Seele
Selbst nach elf Jahren kann ich mich an jede kleine Nuance des hohen Kopfstimmengesangs von Xavier Boyer erinnern. Als ich zum ersten Mal die Single "Heartbeat" der Franzosen Tahiti 80 höre, verzaubert mich der eigenwillige Mix aus funkigen Gitarren, Synthie-Linien, verzerrtem Bass und diese weiche, faserschmeichelnde Stimme, die sich im Refrain sanft an ein schönes Streicherarrangement schmiegt.

Tahiti 80
Zur Jahrtausendwende, sechs Jahre nach ihrer Gründung, hat dieses französische Sextett mit "Puzzle" ein wundervolles Debüt abgeliefert, das nicht nur aufgrund der Manga-ähnlichen Zeichnung des Covers in Japan für Gold sorgte. Das betörend eingängige "A Love From Outer Space" hat mit seinem Drummachine-Beat, der Verknüpfung von akustischer Gitarre und Disco-Feeling, sowie dem Mitsing-Zeile "she loves me, she loves me, she loves me" den dortigen, musikalischen Nerv getroffen. Doch ganz anders als ihre Kollegen Phoenix, die zeitgleich mit ihrem eklektischen Debüt "United" für stilistische Verwirrung in der Rockcommunity sorgten, entwickelten sich Tahiti 80 in Richtung "orchestrale Elektronik", denn das zweite Werk "Wallpaper For The Soul" zeigte sich trotz seiner üppigen Streicher und dem wallenden, glitzernden Klanggewand im ersten Augenblick als doch recht sperrig. Auch wenn die Elemente die gleichen geblieben sind, merkte man hier schon den Drang der sechs Musiker, sich weiterentwickeln und experimentieren zu wollen.
Das aktuelle Tahiti 80 Album The Past, The Present & The Possible unter der "etwas anderen" musikjournalistischen Lupe von Herrn L'Heritier.
Auch auf den darauf folgenden Alben "Fosbury" mit extrem groovlastigen Songs und dem kratzig rockigen "Activity Center" ist die Zerrissenheit zwischen der nebeligen Tanzfläche und dem dunklen Rockclub zu hören. Mit "The Past, The Present & The Possible" lassen Tahiti 80 all ihre Einflüsse und Vorlieben zum ersten Mal sehr sanft ineinander fließen.

Tahiti 80
Im Hier und Jetzt
It's over, I made up my mind you won't see me again..., so verabschiedet sich Xavier Boyer im Opener "Defender" zu krautrockigem Beat, gelooptem Bassriff und schräg hin und her schaukelnden Orgelakkorden. Gleich mit dieser ersten Nummer wird klar, dass Tahiti 80 endlich im Hier und Jetzt angekommen sind. Vielleicht ist es die frische Produktion, vielleicht sind es die unaufgeregten Arrangements oder die ausgewogenen Stilelemente, die wie Zahnräder perfekt ineinander greifen und den French-Pop Motor auf Hochtouren bringen. "The Past, The Present & The Possible" verfällt nicht mehr der Entweder-Oder-Dichotomie. Dem Möglichen wird in den federleichten und knackigen Popsongs mehr Raum gegeben. Xavier und seine Band sind der aktuellen Szene weder einen Schritt voraus, noch hinken sie zeitgeistigen Befindlichkeiten hinterher. Sie haben ihre Musik 2011 wirklich auf den Punkt gebracht.

Tahiti 80
So kommt "Gate 33" ganz ohne opulentem Übereinanderschichten von Sounds aus und bedient sich kleinen, munter hüpfenden Melodien, trockenen Beats und einem gewissen 80ies Flair, der dem Sextett wirklich gut zu Gesicht steht. "Solitary Bizness" überrascht durch seine clevere Reduziertheit und dem spannend schrägen Strophengesang, der mit dezentem Backgroundchor in harmonisches Wohlgefallen aufgelöst wird. Und bei dem akustisch dahin flirrenden "Want Some" muss man zuerst einen Blick auf die Wiedergabeliste der Songs werfen, um sich zu vergewissern, dass man immer noch das gleiche Album der gleichen Band hört. Denn so ein breiter, federleicht schwingender Akustiksound mit ineinander fließenden Gesängen haben Tahiti 80 in den letzten zehn Jahren nicht produziert. Alles scheint hier auf diesem fünften Album der Band sehr leicht von der Hand gegangen zu sein, wie auch die Nummer "Easy" bestätigen könnte.
Tahiti 80 "Easy" from Tahiti 80 on Vimeo.
Vielleicht beschreibt der Titelsong "The Past, The Present & The Possible" am Besten, wo diese Band 2011 angekommen ist. In knapp fünfeinhalb Minuten bieten Tahiti 80 hier alles, wofür man diese französischen Musiker lieben kann. Ein beeindruckendes Gefühl für Melodien, unterlegt mit der nötigen Portion Melancholie, gelungene Überraschungen wie Blechblasinstrumente und einem "Beach Boys"-ähnlichem Kanon, einem gewagten Wechsel von elektronisch dominiertem Sound hin zum smoothen Indieakustiksong mit 70ies Bowie-Einschlag und das alles in einer derart unprätentiösen Art, dass man nicht anders kann, als diese Nummer gleich noch einmal zu hören, um ihre ganze Schönheit fassen zu wollen.
Vor ihrem Konzert kommen Tahiti 80 ins FM4 Studio, um über ihr aktuelles Album zu sprechen und eine Akustik-Session aufzunehmen. Zu hören ab 15.00 Uhr in FM4 Connected
Umso mehr kann man sich darauf freuen, wenn Tahiti 80 morgen Montag 02. Mai 2011 im Wiener Chelsea ihre neuen Songs live zum Besten geben werden. Denn das Sextett hat es musikalisch geschafft, dort anzukommen, wo sie ihre Reise vor elf Jahren gestartet haben. Und hoffentlich schöpfen Xavier und seine Musiker auch aus ihren reichhaltigen Fundus an älteren Popsongs und transponieren sie mit ihrem Sound von heute zu schillernden Elektropoptapeten, mit denen wir unsere musikalische Seele neu tapezieren können.