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Michael Fiedler

Politik und Spiele, Kultur und Gegenöffentlichkeit.

14. 4. 2011 - 16:45

Von den Perspektiven des Müssens

Aus der staatlichen Ausbildungsgarantie soll eine Ausbildungspflicht werden. Über eine "verlorene" Generation und ihre Aussichten.

"Ich bereue es. Es ist zu spät, aber ich bin draufgekommen, dass es ein Fehler war, dass ich nur herumspazieren gegangen bin." Ömer ist 20, hat eine Friseurlehre abgebrochen, als Kellner gejobbt, war zwei Jahre arbeitslos. Er hat nur den Pflichtschulabschluss und damit schlechte Chancen auf dem sogenannten Arbeitsmarkt - Er war Teil der Generation ohne Zukunft, wie es Sozialminister Rudolf Hundstorfer von der SPÖ ausdrückt.

Es sind jedes Jahr etwa 10.000 Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren, die nach der Schulpflicht keine weitere Ausbildung machen. Die Hälfte von ihnen macht Hilfsarbeiterjobs, die andere "verschwindet" einfach. Stellt sich die Frage: Wie können die verschwinden?

Michael Fiedler, Radio FM4

Ömer vor der Bar, an der er mitgearbeitet hat.

Diese 5.000 Menschen sind nirgendwo erfasst, sie bleiben über, wenn man von der Zahl jener, die ihre Schulpflicht beendet haben, die abzieht, die weiter in die Schule gehen, eine Ausbildung machen, arbeiten gehen oder sich beim AMS als arbeitssuchend melden. Sie sind das Ergebnis einer beunruhigenden Rechnung, hinter der weder Namen noch Geschichten stecken. Für die man eigentlich nichts tun kann, weil man sie gar nicht kennt.

Von der Garantie zur Pflicht

Auch die 18jährige Albi wäre beinahe Teil dieser Generation geworden. Sie hat mit Ausbildung zur Kindergärtnerin aufgehört und erst einmal nichts gemacht. Sie ist, wie Ömer, über Freunde zum Spacelab gekommen, einem Jugendzentrum in Wien mit angeschlossener Berufsberatung und Trainingsmöglichkeit. Wem das Nichtstun auf die Nerven geht, kann hierher kommen, die eigenen Perspektiven kennen lernen und verschiedene Berufsfelder testen. Es gibt etliche Initiativen wie das Spacelab, die sich bemühen, die auf dem Bildungsweg verloren gegangenen wieder auf einen Weg zu führen, doch sie alle teilen ihre Probleme: Ihre Kunden müssen sie finden und die Hilfe annehmen. Und um die 5.000 Jugendliche tun das nicht.

Dabei garantiert der Staat allen jungen BürgerInnen eine Ausbildung, einen überbetrieblichen Lehrabschluss, organisiert vom Arbeitsmarktservice. Deshalb möchte Hundstorfer aus dieser Ausbildungsgarantie jetzt eine Ausbildungspflicht machen. Es soll niemand mehr verloren gehen auf dem Weg zur vollwertigen Arbeitskraft. Hier kann man einwenden, dass die Arbeitslosigkeit bei rund sieben Prozent - bei Jugendlichen noch ein wenig höher - liegt, es also ohnehin nicht genug Jobs für alle gibt. Dem widerspricht die Arbeitsmarktexpertin Ursula Adam vom Waff: "Es gibt mehr Wachstum und es entstehen mehr Jobs dort, wo es auch höherqualifizierte Arbeitskräfte gibt."

Michael Fiedler, Radio FM4

Für Albi war Kindergärtnerin dann doch nicht das richtige.

Dennoch sind die Überlegungen Hundstorfers, die von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) grundsätzlich begrüßt werden, hinterfragenswert. Teil der Idee sind nämlich Konsequenzen für diese Pflicht Verweigernde - vom Streichen der Familienbeihilfe bis zu Verwaltungsstrafen. Damit straft man gerade jene, die es ohnehin nicht so dicke haben, bestimmt doch die soziale Herkunft immer noch stark den eigenen Bildungsweg.

Sozial- und ArbeitsmarktexpertInnen sähen das Problem lieber präventiv angegangen: Mit Berufsberatungen oder Schnuppertagen beginnend einige Jahre vor dem Ende der Schulpflicht. Das wird zwar schon angeboten, aber viel zu selten. Selbst dann bleibt das Problem, dass 15jährige Entscheidungen fürs Leben treffen sollen – die sich vielleicht als falsch herausstellen. Wer weiß denn schon mit 15 so genau, was er mal beruflich machen möchte?

Interessant ist, dass Albi und Ömer den Zwang zur Ausbildung nachträglich ganz gerne gehabt hätten. "Ich finde das ganz ok. Wenn man mit 16 nichts macht, wird man das später bereuen. Man wird ja irgendwann arbeiten müssen - oder wollen." sagt Albi. Und Ömer nickt auf die Frage, ob es gut gewesen wäre, wenn es die Ausbildungspflicht schon vor fünf Jahren gegeben hätte: "Ja, denn meine Eltern wollten mich zu nichts zwingen und da hab ich gedacht: Dann mach ich es nicht." Heute arbeitet er in der Holzwerkstatt des Spacelab und hofft auf eine verkürzte Intensivausbildung zum Tischler. Die dauert anstelle von drei Jahren nur 14 Monate und Ömer hat keine Zeit zu verlieren. "Schließlich bin ich ja schon 20."