Erstellt am: 5. 4. 2011 - 15:45 Uhr
EU: Meldepflicht für Überwachungsequipment
Eine Mehrheit für echte Vorab-Kontrollen der Exporte von Überwachungsquipment wurde nur knapp verfehlt. Immerhin wurde eine Meldepflicht beschlossen, wenn "Monitoring Centers" für Polizei und Geheimdienste in Länder exportiert werden, in denen Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung sind.
Im Plenum des europäischen Parlaments wurde heute über die "Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1334/2000 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr von Gütern und Technologien mit doppeltem Verwendungszweck" abgestimmt. Damit gemeint sind Technik und Gerätschaften aller Art, die sowohl zivil als auch für militärische Zwecke genutzt werden können.
Im Wesentlichen konkretisiert und verschärft diese Novelle das bestehende Regelwerk, insbesonders werden die Möglichkeiten zur Umgehung durch Re-Exporte über Drittstaaten eingeschränkt.
Knappe Ergebnisse
Bei den Einzelabstimmungen über die Änderungsanträge des vom österreichischen Abgeordneten Jörg Leichtfried verfassten Berichts ging es denkbar knapp zu. Zumeist gaben gerade einmal ein, zwei Dutzend Stimmen den Ausschlag - bei einer Gesamtzahl von 736 Abgeordneten.
Die Endabstimmung über das Gesamtpaket wurde auf Antrag des Berichterstatters dennoch verschoben. Grund dafür ist das EU-Procedere. Da Kommission und Ministerrat hier mitentscheiden ("Trilog"), müssen noch wenige, strittige Punkte bzw. Details abgeklärt werden.
Kommission und Ministerrat am Zug
Das Parlament verlangt etwa, ebenfalls über derartige Exporte aus den Mitgliedsstaaten informiert zu werden. Weiters wird noch über die Fristen diskutiert, also was "ex post" (siehe unten) in einem konkreten Zeitrahmen bedeutet.
Theoretisch ist es zwar möglich, dass seitens des Ministerrats Begehrlichkeiten aufkommen, das Gesamtpaket noch einmal aufzuschnüren und die Entscheidung des Parlaments umzustoßen. Wie aus Brüssel zu erfahren war, rechnen gewöhnlich gut informierte Kreise jedoch nicht damit.
Das Neue an der Novelle
Absolut neu waren zwei Absätze in dieser Novelle, weil sie Technologien betreffen, die bis dato unbehelligt etwa nach Nordafrika und Nahost geliefert werden durften. Equipment zur Überwachung von Telefonienetzen und dem Internet konnte bis jetzt aus EU-Staaten wie Deutschland an alle möglichen diktatorischen Regimes exportiert werden. Es musste nur dem Zweck der "Strafverfolgung" gewidmet sein.
Mehr zum Inhalt des Leichtfried-Reports, den technischen Hintergründen, sowie einigen der involvierten Unternehmen in Exportkontrollen für Überwachungstechnologien.
Meldepflicht "ex post"
Diese Technologien, die auch in allen europäischen Staaten zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt werden, wurden und werden allerdings von Syrien bis Bahrain, von Tunesien bis Ägypten zur Jagd auf Oppositionelle eingesetzt.
Nicht zuletzt angesichts der Volksaufstände in der arabischen Welt wurde dies von den Abgeordneten nun mit knapper Mehrheit geändert. Der Export sogenannter Monitoring Centers für Polizeibehörden und (und Geheimdienste) unterliegt nun einer Ausfuhrkontrolle "ex post". Will heißen: Derartige Exporte müssen nun bei den jeweiligen Kontrollbehörden gemeldet werden, es handelt sich also mehr um eine Meldepflicht als um eine echte Ausfuhrkontrolle.
Inhaltlich stuft Amendment 39 den Export derartiger Güter dann als kontrollpflichtig, wenn dies "im Zusammenhang mit einer Verletzung der Menschenrechte, den demokratischen Prinzipien oder der Redefreiheit" steht. Firmen die derlei in sogenannte Folterstaaten liefern müssen dies nun immerhin nachträglich deklarieren.
"Gewinninteressen und Menschenrechte"
"Hier hat sich leider eine rechte Mehrheit durchgesetzt, die Gewinninteressen über Menschenrechtsfragen stellt", sagte Berichterstatter Leichtfried kurz nach der Abstimmung zu ORF.at. Zehn Stimmen hatten den Ausschlag gegeben, um Leichtfrieds Bericht, der Vorabkontrollen vorgesehen hatte, in diesem Punkt abzulehnen. Statt "ex ante" kam "ex post".
Mit ebenso knapper Mehrheit wurde das zweite Novum abgelehnt. Änderungsantrag 38 betreffend Equipment "zur Durchführung von Cyberangriffen oder anderer Formen des politisch motivierten Hacking zu Sabotage- oder Spionagezwecken und zur Schädigung von Webseiten oder zur Durchführung von Angriffen, die Dienstleistungsverhinderungen bewirken (DoS-Angriffe), um Webseiten abzuschalten".
Polizeitrojaner für Diktaturen
"Die Ausfuhr der von Ihnen genannten Technik unterliegt grundsätzlich keiner Genehmigungspflicht" hieß es in einer schriftlichen Antwort des deutschen Bundesamts für Ausfuhrkontrolle an ORF.at.
Ausgerechnet der Export von Schadprogrammen bleibt somit weiterhin bar jeder Kontrolle, solange sie für Strafverfolgung ("Lawful Interception") deklariert sind. Bekannt geworden sind derartige Programme als "Polizeitrojaner", zum Zweck der sogenannten "Online-Durchsuchung". Seit Jahren steht derlei auf der Wunschliste diverser europäischer Polizeibehörden.
In den Diktaturen der arabischen Welt werden diese "Online-Durchsuchungsmöglichkeiten" freilich ganz anders benutzt. Oppositionelle werden gezielt mit stets neuentwickelten Schadprogrammen angegriffen, die von Antivirus-Programmen deshalb noch nicht als schädlich erkannt werden. Sodann werden "Keystroke Logger" eingesetzt, um Passworte abzugreifen, zur Tarnung eingesetzte Rootkits verschleiern vor dem Benutzer, dass sein Rechner von Dritten ferngesteuert wird.
Zwischenbilanz
Derartige Exporte fliegen nun weiterhin unter dem Radar der Kontrolleure durch, obwohl bereits der Cybercrime-Vertrag des Europarats von 2001 das Herstellen und Vertreiben von Schadprogrammen dezidiert als zu verfolgende Straftat klassifiziert.
Zum Ärger der Abgeordneten Eva Lichtenberger (Grüne) hatte ausgerechnet die abgespaltene Kleinfraktion "Nordische Grüne/Linke" in diesem Punkt mit der konservativen Mehrheit dagegen gestimmt.
Dennoch vermag Lichtenberger der Entscheidung Positives abzugewinnen. Das Ergebnis zeige, dass bereits die Hälfte der Abgeordeten zunehmend kritisch geworden sei und nicht mehr strikt entlang angeblicher wirtschaftlicher Interessen europäischer Unternehmen stimme, wenn es um Bürgerrechte gehe.