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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

1. 5. 2011 - 15:00

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (17)

April: Süßspeisen / Mai: Rauchen (vorgezogen)

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenten Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 24. April

■ Die Viertel-Intellektuellen erkennt man zum Beispiel vortrefflich daran, dass sie Inter-esse statt Interesse sagen.
"Ich weiß, aus welchen lateinischen Vokabeln sich dieses Wort zusammensetzt!!!!!", betonen sie damit, anstatt es richtig auszusprechen.

■ Wenn Linkshänder besonders geschickt sind, sagen sie dann auch, sie hätten zwei linke Hände?

■ Unterbewusstsein, du dumme Sau: Für jeden Tag der Tabak-Abstinenz will es mir einreden, mich dafür mit einer Zigarette zu belohnen.

Montag, 25. April

Internationaler Tag der Eltern-Kind-Entfremdung - Man muss die Feste feiern, wie sie fallen.

■ Onomatopoesie beschreibt die Lehre der Lautmalerei. Allen Onomatopoeten sei diese Seite ans Herz gelegt. Eine liebevoll recherchierte Liste mit internationalen Tier-Schallwörtern.

Das Huhn macht in Ungarn "kot kot", der Vogel im Türkischen "jiyk jiyk", die Kuh in Japan "mau mau" und der Hahn "ko-ke-kok-ko-o", die Katze im Schwedischen "mjan mjan" oder der Elephant auf Englisch gar "baraag".

Eine wunderbare Pausenlektüre.

■ Kollegin Pia findet ein selbstgebasteltes Kuvert mit Phantasieadresse und folgender Botschaft in ihrem Briefkasten:

(c) pia reiser

Dienstag, 26. April

Welttag des geistigen Eigentums

■ Obwohl ich Freund von Austria Salzburg und Zeuge denkwürdiger Erfolge in den Neunzigern bin und war, fällt mir erst heute erstmals auf, dass Adi Hütter einen ziemlich nachteilhaften Namen hat, wenn man auf die Koseform verzichtet.

marc carnal

■ Die letzte Schreibmaschinenfabrik der Welt in Mumbai vermeldet ihre Schließung. Die Auftragslage sei zu dürftig gewesen.

■ Die Romane vieler großer Autoren werden mit zunehmendem Alter dünner. Schnell wird der Vorwurf der Bequemlichkeit laut. Der wirklich gute Autor erkennt aber mit zunehmendem Alter schlicht, dass ein perfekter Roman keinen Satz zu viel haben darf, während er in jüngeren Jahren noch zu Angeberei und damit oft zu Geschwätzigkeit neigte.
Wie viele an sich fantastische Songs wären perfekt, würde man eine Strophe oder ein Gitarrensolo streichen.

Alljene, die für alles immer Beispiele brauchen, weil ihnen keine eigenen einfallen, muss ich wiedermal enttäuschen.

Mittwoch, 27. April

■ Heute eine Hip Hop - Bande gegründet. Wir nennen uns die "FUCKER FUCKERS" und machen halb Währing unsicher. In unseren Texten kritisieren wir die Dauer der Sondierungsgespräche und dass die Wahllokale immer so früh zu machen, denn wir bleiben ur lang auf und schlafen dann den ganzen Tag.

Also, Leute: Wenn ihr zerbrochene Blumenkistln oder arge Sprüche an Haustüren seht, dann waren das die Fucker Fuckers!

marc carnal

Menü heute: Kebab vom Kalp

■ Nächster Zungenbrecher-Versuch:

Viele Firmen filmen fiese finnische Flieger, die vier frigide friesische Fliegenfischerinnen fisten.

■ Anscheinend besteht keine große Gefahr, dass ich zu einem jener militanten Ex-Raucher werde, welche nach dem Sieg über ihre Abhängigkeit als Missionare auftreten. Nach wie vor sitze ich lieber in Raucherbereichen und finde es sogar recht hübsch, andere beim Schmauchen zu betrachten.

Rauchen ist ästhetisch, wenn nicht hastig oder gierig ausgeführt, sinnlich und ein prächtiger Zeitvertreib, nicht obwohl, sondern weil es so sinn- und beinahe wirkungslos ist. Leider fügt sich die Zigarette besser in ein jugendliches, schönes Gesicht, als in eine keuchende Lederfratze. Mit zunehmendem Alter und den sichtbaren Spuren des Tabakkonsums wird ebenjener würdeloser. Rechtzeitig aufzuhören ist deshalb mindestens ebenso ratsam wie rechtzeitig anzufangen.

marc carnal

Menü heute: Kebab vom Hun

Donnerstag, 28. April

■ Seltsam: Facebook-User, die sich für das vermutliche Fernbleiben bei Veranstaltungen entschuldigen und dafür diverse, teils recht private oder gar intime Gründe anführen. Und zwar nicht bei kleinen Geburtstagsrunden, sondern größeren Konzerten.

■ Die Neigungsgruppe Verzicht teilt sich in ein diszipliniertes und in ein willkürliches und sehr großzügiges Lager, welches mit fadenscheinigen Ausreden und hanebüchenen Gründen diverse Verstöße begeht, diese aber wenigstens gesteht. Im Mai trennt sich nun endgültig die Spreu vom Weizen.
Ich war und bleibe eisern. Auf das erste süße Geschmackserlebnis abgesehen von Früchten am Sonntag freue ich mich dennoch ungemein.

Freitag, 29. April

marc carnal

■ Eine Traumhochzeit in dem Sinn, als dass man sich bei der Fernsehübertragung an jene Traumlogik erinnert fühlt, die Personen unterschiedlichster Provenienz gleichzeitig in Räumen auftauchen lässt. Tante Marie, Stefanie Werger und die halbe Schulklasse in einem Schwimmbad - Das ist in nächtlichen Phantasiewelten nicht ungewöhnlich.

Mr. Bean, Elton John und der König von Swaziland winken nacheinander in die Kameras, die Queen tuckert durchs Bild, schon sieht man David Beckham. Das alles in einer opulenten Historienfilm-Kulisse, die nicht nach "live" oder "heute" aussieht.

Ansonsten: Groteske Hüte

■ Camilla sah zu jener Zeit, als sie Charles Herz eroberte, wie eine durchschnittliche überschminkte Campingplatz-Alkoholikerin in zu teuren Kleidern aus, mittlerweile macht sie als Mittsechzigerin eine ganz gute Figur.

Der Hochrisiko-Aufriss: Eine unattraktive Frau in der Hoffnung erobern, das Alter würde ihr erschreckendes Antlitz mit etwas mehr Würde veredeln.

Samstag, 30. April

Walpurgisnacht

■ Emanzipatorisch durchaus bedenklich: Rucksacktragende Mütter mit funktionalem Kurzhaarschnitt und zweckdienlicher Kluft, die verquollen und fahl ihre Kinderwägen durch die Geographie rollen und damit auch sagen: Mein Kind lässt sich schieben und ich lass mich gehen. Ich hab einen gefunden, der mir einen Braten in die Röhre setzt! Ab jetzt ist mir alles wurscht, meine Mission ist erfüllt!

■ Gerade im April gab es sehr viele Abschiede, Geburtstage, Jubiläen und Ereignisse zu feiern, stets gab es aufwendige Torten, feinste Kuchen, verlockenden Biskuit oder edlen Konfekt.
Unter normalen Umständen hätte ich manches dankend abgelehnt. Das Wissen um das Verbot aber weckte mitunter eine ungeahnte Gier in mir. Dadurch kann ich vielleicht alljene etwas besser verstehen, deren größtes Vergnügen es ist, sich nach der täglichen Marter im Büro Unmengen an Schokolade in den Schlund zu schieben.

■ Kleine Bitte: Won't the real Slim Shady please stand up?!