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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

3. 4. 2011 - 15:00

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (13)

März: Koffein / April: Süßspeisen

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenten Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 27. März

■ Ich könnte mich für kein Lieblingslied entscheiden. Sehr wohl aber für einen Song, den ich verachte: Lady In Red.

Wer dieses Lied mag, ist nicht mehr zu retten und sollte zumindest temporär sozial ausgegrenzt werden. Lady In Red kann man nicht ironisch hören oder gar “ganz ok” finden. Es ist das widerwärtigste Stück Musik, das jemals produziert wurde. Chris DeBurgh gehört dafür entgegen aller Menschenrechtskonventionen bestraft.

■ Wirkliches Tabuthema: Gleichgeschlechtliche Liebe zum Vater

Montag, 28. März

marc carnal / milka

Es muss nicht alles immer lustig sein. Beim Eierverzehr möchte man schließlich kauen und nicht prusten, sonst speit man Eierstücke durch die Atmosphäre, und laut Knigge gehört das Eierstückespeien nicht zum allerbesten Ton.

■ In der Unterstufe hatte ich einen Mitschüler namens Michael. Der fettleibige Michael, unsicher in seiner sexuellen, modischen und sozialen Orientierung, bekam die oft zitierte Grausamkeit der Jugend in dreißigköpfiger Dosis ab. Das Wort Mobbing war noch nicht bis ins Salzburger Land vorgedrungen, manchmal aber sehr wohl technische Errungenschaften, zumindest zum vielgescholtenen Kollegen. Er war der erste Nerd, den ich kannte und folglich auch der erste Mitschüler mit einem Handy. Es sah aus wie ein in der Intergrationsklasse getöpfertes iPad-Modell und hatte eine meterlange Antenne, die der in seinen Spezialgebieten versierte, ansonsten aber unbeholfene Michael im Blaulicht der Morgendämmerung am Weg vom Bahnhof immer mit seinen Fäustlingen aus dem Gehäuse zu ziehen versuchte und daran scheiterte. Was haben wir gespottet.
Ein Jahr später hatten wir alle portable Fernsprecher.

An diese Zeit muss ich denken, wenn man mich teils spöttisch, teils mitleidig beäugt, weil ich ein ziemlich fetziges Smartphone besitze. "Ich brauch mein Handy ja nur zum Telefonieren" spielt in der "Ich brauch den Computer ja nur zum Schreiben" - Liga. Abhängigkeit, blinde Fortschrittshörigkeit oder gar Amüsiersucht sind fixe Größen im Smartphone-Vorwurfs-Kanon.

Ich brauche natürlich weder Fernsehen, Stabmixer noch Apps, erfreue mich aber an nützlichen technischen Errungenschaften und bin manchmal regelrecht begeistert davon. Das bedeutet nicht, Technologiehörig stets das Neueste zu bejubeln.

Dienstag, 29. März

■ Vor einigen Monden gehörten Sportwetten zu meinen Steckenpferden. Ich setzte immer Micky Maus – Beträge, selten mehr als einen Euro.

Heute reaktivierte ich mein Wettkonto und setze hundert Euro auf die Türkei und war während des Spiels nicht einmal sonderlich angespannt. Um mich nicht zu sehr zu langweilen, kombinierte ich die sichere Bank noch mit Niederlande gegen Ungarn, um wenigstens einen kleinen Bonus-Nervenkitzel zu erreichen.

Angesichts der aktuellen Form der Nationalmannschaft war mein Einsatz eigentlich lächerlich klein. Beim nächsten Qualifikationsspiel gegen Deutschland werde ich mindestens einen Bausparer setzen.
Danke an dieses grotesk hilflose Team für ein reichhaltiges Abendessen!

■ Auf meinen Aufruf letzte Woche an dieser Stelle in der Causa Clever-Bier hat zwar niemand reagiert, allerdings erfreut mich heute einer der führenden Kräfte von “Da Beer Surfers” mit einer zustimmenden Antwort: Ja, es gab einst Bier der Rewe-Billigmarke und ja, in ihrer Sammlung befände sich auch eine Dose des minderwertigen Gebräus.

Ich freue mich schon wie ein alter Fuchs - und alte Füchse können sie ziemlich arg freuen - demnächst die misstrauischen Kollegen Wurm und Futtinger zu Beweisfotos mit dem umstrittenen Getränk in der Hand zu zwingen.

Mittwoch, 30. März

■ Ob es wohl weltweit jemanden gibt, den es sexuell erregt, seinen Hund als Krankenschwester zu verkleiden und ihn dann zu fesseln?

■ Hurrah! Das Ron Tyler Archiv ist zurück und präsentiert wieder täglich das gesammelte Wissen des Menschengeschlechts. An der "Wikipedia der Internet-Generation" kann man sich via Youtube und Facebook delektieren.

Donnerstag, 31. März

■ Unstimmigkeiten in der Neigungsgruppe Verzicht über die genauen Konditionen im April. Die einen bestehen darauf, dass Limonaden keine Süßspeisen sind, andere haben sich auf Zuckerhaltigkeit versteift. Ich werde mich auf jeden Fall streng an die folgende Eingrenzung halten:

verboten:

  • klassische Süßigkeiten wie Schokolade, Kekse, Bonbons, Lutscher,...
  • Kuchen und Torten
  • Nutella
  • Kakao
  • Eis
  • süße Nachspeisen wie Palatschinken, Kaiserschmarrn, Mohr im Hemd,...
  • Sirup, Limonaden wie Cola, Fanta etc. betrifft zum Beispiel auch Radler
  • Zucker in Kaffee/Tee
  • Pudding etc.

erlaubt:

  • Marmelade, Honig
  • Obstsalat, getrocknete Früchte
  • Fruchtsäfte

marc carnal

■ Pralinen edelster Provenienz und seltsames, nicht besonders wohlschmeckende Bisquit-Kreationen der Verzichts-Chefcontrollerin höchstpersönlich - Das gesamte Süßspeisen-Spektrum darf und soll heute noch einmal ausgereizt werden.

(Die unten dokumentierten Gebilde der Verzichts-Chefcontrollerin haben mir jeden zukünftige Freude an Mehlspeisen vergällt. Eine ausgesprochen fetthaltige, durch Streusel-Beigabe nur den Anschein einer liebevollen Zubereitung erwecken wollende Masse wurde aus reiner Arglist auf Fertigteil-Bisquitmasse gepappt. Mir war selten so übel. Danke, so fällt der Verzicht ungleich leichter!)

marc carnal

Freitag, 1. April

marc carnal

■ Wache noch vor dem Wecker um halb fünf auf und bin alleine schon wegen der Vorfreude auf meinen ersten Kaffee seit einem Monat putzmunter. Ich darf ihn zwar im April nicht wie gewohnt mit Zucker genießen, erfreue mich aber trotzdem sehr an Aroma und Wirkung.

■ Google ist ein tolles Unternehmen, nur der Internetauftritt lässt zu wünschen übrig.

Samstag, 2. April

■ Flickflauder: Schweizerdeutsch für Schmetterling

■ Da ich dazu neige, Kaffee beträchtlich zu süßen, ist das nur durch die Beigabe von Milch verfälschte, etwas bittere Aroma ungewohnt. Interessant dabei ist aber, wie verschieden Kaffee schmecken kann. Bisher war mir manche Klage über schale Röstungen unverständlich, da ich durch die Beigabe von Zucker schlechte wie edle Aromen beträchtlich verfälschte.
Seit gestern bereitet es mir Freude, auf geschmackliche Nuancen bei Automaten-, Filter-, Kapsel- oder Löskaffee zu achten.

Sollte ich durch die Entbehrungen des Aprils auf den unverfälschten Kaffee-Geschmack gekommen sein und geht man von drei Tassen täglich aus, würde ich pro Jahr laut meiner groben Hochrechnung fast eineinhalb Kilo Zucker weniger konsumieren.
Eigentlich auch lächerlich.

■ In einem Falter-Cartoon auf die Frage nach der Popularität von Whitney Houston in Tschechien:
"Václav got to do with it?"