Erstellt am: 24. 3. 2011 - 19:00 Uhr
Saif Gaddafis ungeladene Gäste, Teil 2
Vor einer Woche hab ich hier ein Interview mit einem Besetzer der Londoner Villa des Saif Gaddafi veröffentlicht.
Selbst wenn man als Journalist nicht an die Illusion der Objektivität glaubt, sollte man schauen, dass man sich von niemandem einkochen lässt und mit seinen Quellen so transparent wie vertretbar verfahren.
In diesem Fall, wo ich schlicht nicht über das nötige Wissen verfügte, mir eine Analyse anzumaßen, entschloss ich mich zur ehrlichsten, freilich nicht ganz unparteiischen Lösung, mein Interview kommentarfrei wiederzugeben - inklusive des Rufs des Hausbesetzers nach einer Flugverbotszone und seiner Charakterisierung Gaddafis als die von allen außer seiner „Mafia“ ungeliebte „Ratte“.
Ich verließ den Schauplatz des Interviews beeindruckt und aufgerüttelt von der Leidenschaft der Besetzer und der spürbaren Dringlichkeit ihres Anliegens. Ich war bereit, ihnen hier ein Forum zu geben.

Robert Rotifer
Als dann am folgenden Wochenende im UN-Sicherheitsrat die Resolution 1973 durchging, konnte ich, der instinktiv jeden militärischen Einsatz ablehnt, nicht anders, als das durch die Augen jener direkt Betroffenen zu sehen, die genau eine solche Handlungsweise gefordert hatten.
Zwar bedeutete diese Resolution den Einsatz von Mordmaschinen, aber so, wie es aus der Perspektive meines aktiv involvierten Gastlandes aussah, ging es darum, so rasch wie möglich einen Angriff auf Bengasi zu verhindern.
Dann flogen die Bomber und mir wurde mulmig
Hatte nicht Gaddafi selbst gedroht, dass er gegenüber den dort versammelten, dürftig bewaffneten Rebellen „keine Gnade“ zeigen und auf der Suche nach Verrätern „von Haus zu Haus“ gehen wollte?
Bestes ORF-Gesetz, bin wieder einmal ganz bei dir: Dieser Beitrag begleitet nämlich jenen hier, der wieder einen Beitrag in Connected begleitet hat, und so gesehen lässt sich mit ein bisschen Weiterhanteln eine historische Linie ziehen bis zu weiland Moshe Meisels.
Genau genommen ist ja das ganze Leben sendungsbegleitend. Oder umgekehrt.
Der im Gegensatz zu früheren Konflikten nur vereinzelt hörbare Einspruch von routinierten Kriegsgegnern wie Jeremy Corbyn (Labour) und Caroline Lucas (Green Party), sowie die hier nachzulesende Position der Stop The War Coalition konnte einem da geradezu weltfremd vorkommen.
Aber dann flogen auch schon die ersten Bomber, fielen die ersten Bomben auf Tripolis, und mir wurde prompt mulmig zumute. Hatte ich mich als Werkzeug der Kriegspropaganda missbrauchen lassen?
Selbstverständlich sind die Motive von Ländern wie Großbritannien und Frankreich, die noch bis vor kurzem mit Oberst Gaddafi gute geschäftliche Beziehungen pflegten (im Falle der Briten gar bei der Ausbildung seiner Truppen mithalfen), moralisch alles andere als einwandfrei.
Die vielfach publizierte Annahme, es gehe bloß um Ölinteressen, kann ich zwar nicht nachvollziehen, schließlich wusste Gaddafi Öl bisher ganz im Gegenteil zur Absicherung der eigenen Position zu nützen. Aber Sarkozy hat immerhin eine Wahl zu gewinnen und Cameron sich als Staatsmann zu profilieren.
Völlig absehbar war auch, dass die Auslegung der UN-Resolution als Lizenz zum Bombardieren von Gaddafis Hauptquartier ihn und seine Anhänger zu Märtyrern westlicher Aggression stilisieren würde.
Und natürlich wird mit verschiedenen Maßstäben gemessen, werden anderswo Folterregimes unterstützt und brutal niedergeschlagene Volksaufstände bloß passiv bedauert.
Die gern gestellte, rhetorische Frage „Warum dann keine Flugverbotszone in Bahrain? Warum nicht in Saudi-Arabien? Warum nicht im Jemen? Warum nicht im Gaza-Streifen?“ impliziert das Wissen um die Antwort, dass in keinem jener Fälle eine UN-Resolution und schon gar nicht die Zustimmung der Arabischen Liga und der USA zu holen gewesen wäre.
Waren die Hausbesetzer pragmatisch oder bloß naiv?
Die Frage ist aber auch zynisch, schließlich will niemand, der/die sie stellt, die westliche Weltpolizei tatsächlich an all jenen anderen Orten in Aktion treten sehen.
Die einzig andere Konsequenz, nämlich gar nichts zu tun, die libysche Opposition buchstäblich sterben zu lassen und damit den gewalttätigen Regimes der Region zu demonstrieren, dass sie nichts zu befürchten haben, solange sie weiterhin Öl liefern, klingt auch nicht so recht nach internationaler Solidarität.
Also hat ein Gegner der Intervention wie der stets brillant argumentierende Seumas Milne sich in seinem heutigen Kommentar die Möglichkeit von Waffenstillstandsverhandlungen unter ägyptischer oder türkischer Vermittlung ausgedacht. Zumal jene Länder, wie er sagt, ein wesentlich „legitimeres Interesse“ an der Lage in Libyen hätten.
Vielleicht ist ihm nicht bewusst, dass Ägypten und Gaddafis Libyen erst 1977 einen Nachbarkrieg ausfochten bzw. Libyen bis vor 100 Jahren vom Osmanischen Reich kolonisiert war. Aber Milnes verunglückter Lösungsvorschlag zeigt nicht nur, dass er im Grunde auch nicht viel mehr weiß als wir alle und der Rest der Kommentatorenzunft, er ruft auch ungewollt ins Gedächtnis, dass der Westen (samt der ehemaligen Kolonialmacht Italien) in dieser Region keineswegs als einziger eine imperialistische Altlast mit sich herumschleppt.
Was diesbezüglich beim Wiederlesen meines Interviews von voriger Woche ins Auge sticht, ist, dass weder mein Gesprächspartner Usama noch die anderen exil-libyschen Hausbesetzer, die ich nach ihm zu sprechen kriegte, ihre Forderung nach Schutz durch die USA und deren Verbündete mit falschen Sentimentalitäten verbanden.
Ich zitiere: „Um ehrlich zu sein, haben die Leute auch Angst davor, dass sich sowas wie der Irak wiederholt. Dass sie reinkommen werden und militärische Basen bauen und für immer bleiben. Wenn sie kommen, ihren Job erledigen und danach wieder gehen, sind sie mehr als willkommen. Wir brauchen Hilfe von überall. Aber falls sie einmarschieren, dann sollen sie mit der libyschen Revolution zusammenarbeiten und nachher wieder nach Hause gehen, nicht das Land beherrschen und das Öl und das System an sich reißen. Das will das libysche Volk sicher nicht.“
Man kann es den Leuten aus dem arabischen Raum kaum übel nehmen, wenn sie gelernt haben, die Präsenz der USA und ihrer Verbündeten als Gegebenheit hinzunehmen, die man - wenn schon denn schon - am besten für die eigenen Interessen instrumentalisiert.
Ihre Herrscher, Gaddafi inbegriffen, tun schließlich nichts anderes und bedienen sich der anti-imperialistischen Rhetorik bloß zynisch bei Bedarf.
Vielleicht war es trotzdem naiv von Hausbesetzer Usama, an eine Intervention ohne Gegenleistung zu glauben. Wahrscheinlich sahen er und seine Freunde einfach keine andere Möglichkeit.
Ihre Behauptung, Gaddafi habe das ganze Volk gegen sich, scheint im Nachhinein jedenfalls selbstbetrügerisch verfehlt. So hatten es auch die britischen KorrespondentInnen berichtet, die Realität sollte sich in der vergangenen Woche aber als weit komplizierter entpuppen.
So oder so, mein Gastland ist wieder einmal im Kriegszustand, laut Meinungsumfragen sind trotz der üblichen aufwieglerischen Schlagzeilen diesmal bloß 35% der Bevölkerung dafür, und da oben im Hampstead Garden Suburb sitzt ein Haufen Exil-Libyer in einer absurd überteuerten Prunkvilla und debattiert bei Al Jazeera am Großbildschirm den Tyrannenmord.
Alles und nichts ist anders als vor einer Woche, und wird es wohl für eine Weile bleiben.