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Marc Carnal

Wer sich weit aus dem Fenster lehnt, hat die bessere Luft. Lach- und Sachgeschichten in Schönschrift.

28. 3. 2011 - 13:06

Tagebuch zum Jahr des Verzichts (12)

März: Koffein

marc carnal

2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenten Gruppendruck unter den Mitstreitern.

Sonntag, 20. März

■ Eine Gefäßchirurgin schenkt mir eine dünne, kleine Metallfeder, die man in verengte Halsschlagadern einsetzt und erwähnt beiläufig, diese koste im sterilisierten Zustand dreitausend Euro.
Ich setze einfach auf die falschen Pferde.
Dreitausend Euro für eine Feder!!!
Und ich Narr schreib Texte und Weisen! So werde ich nie in Eselsmilch baden.
Nachdem ich keine Federfabrik mein Eigen nennen kann, werde ich die Gefäßerweiterungs-Tools einfach manuell fertigen und um den dreifachen Preis an luxusinteressierte Oligarchen mit verstopften Adern als Handmade-Special zum doppelten Preis verschachern.

■ Mittlerweile habe ich ausreichend Mittel und Wege gefunden, zwischenzeitliche und morgendliche Müdigkeitsphasen ohne Koffein zu bewältigen, etwa Zitronensaft, Sauerkraut, Ertüchtigung, Minutenschlaf oder Toilettenreinigung.
Trotzdem vermisse ich das majestätische Kaffeearoma über alle Maßen und fiebere bereits dem ersten April entgegen.

Montag, 21. März

Internationaler Tag des Puppenspiels. Internationaler Tag des Waldes. Welttag der Hauswirtschaft. Welttag der Poesie. Tag der Menschenrechte. Welt-Down-Syndrom-Tag. Internationaler Tag gegen Rassismus. Und Frühlingsanfang - Hallo Knallo!

■ Zufällig sehe ich den Vorspann der Zeichentrickserie „Kuzco’s Königsklasse“ und bin ausreichend gefesselt, um mir die ganze Folge anzusehen, nach der ich meine Vorurteile gegenüber zeitgenössischem amerikanischem Kinderfernsehen revidieren muss.
Verglichen mit den Simpsons fehlen zwar kulturelle und politische Verweise, Tempo und Niveau der Gags sind aber beachtlich und können zumindest mit jüngeren Staffeln durchaus mithalten.

johannes waibel

Nach einem berauschten Wochenende folgt am Montag oft Ernüchterung in Form von Beschwerden

■ Bemerke, dass meine große Vorfreude auf Kaffee und Kuchen am folgenden Monatsersten unberechtigt ist. Im April sind nämlich Süßspeisen aller Art untersagt.

Daraufhin erkenne ich auch, dass mein Plan, schon Ende April das im Mai verbotene Rauchen aufzugeben, ebenfalls durch die Tatsache erschwert zu werden droht, dass ich den Verzicht auf die maßlos inhalierten Zigaretten dann nicht durch Konfekt kompensieren kann.

Auweia, wieder nicht nachgedacht bei der Monatsplanung.

Dienstag, 22. März

Weltwassertag - Und das ohne Kaffee!

■ Schlagzeile auf sport.orf.at: „So einen gibt es nur alle zehn, 15 Jahre.“
Das ist ein stilistisches Jahr100verbrechen. Ich bin ein großer Verfechter der ausgeschriebenen Zahlen, außer man ist zu überlangen Wörtern gezwungen (siebenhunderttausendsechshundertvierundneunzig). Zahlen sind starr, unverrückbar und stellen in einem lebendigen Text oft optische Fremdkörper dar.

“Der Barbier hatte Anna schon 100 Mal gebeten, seine scharfen Klingen, von denen er über 50 sein Eigen nannte, nicht anzufassen.“

Wenigstens aber sollte man sich bei kurzen Zahlen für eine Variante entscheiden und nicht in einer aus 9 Wörtern bzw. neun Wörtern bestehenden Überschrift beide auf engstem Raum verwenden.

■ Mnozil Brass im Ehrbar Saal.
Ganz großes Tennis.
Das perfekte Konzert.
Sieben fantastische Musiker, die aus Blasinstrumenten stilistisch und technisch alles Erdenkliche herausholen, in einer dramaturgisch klugen und äußerst unterhaltsamen Show. Sobald in den musikalischen Sketches, die gänzlich ohne Sprache auskommen, der Klamauk-Luzifer mit den Bockfüßen scharrt, folgt ein klassisches oder ein Jazz-Stück. Nebenbei hervorragende Sänger.
Highlight: Leonhard Paul stellt seine Mitmusiker durch die Posaune vor und schafft es dabei, mit einem Blasinstrument und einem Dämpfer die menschliche Stimme zu imitieren.

Es gibt einen Unterschied zwischen Künstlern, die etwas für die breite Masse produzieren und jenen, deren Kunst im Grunde jedem gefallen könnte, eigentlich muss. Ich bin kein Freund des Kabaretts, besuche aber gerne Darbietungen von Josef Hader. Ist es vorstellbar, dass jemand „Hader muss weg“ sieht und ihm gar nichts daran gefällt? Genauso wenig wie ein teilnahmsloser, gelangweilter oder gar entsetzter Gast bei Mnozil Brass, auch wenn er sich sonst überhaupt nicht für Blasmusik begeistert. Im deren Fall hat sich das international einfach mehr herumgesprochen als in Österreich.

Mittwoch, 23. März

Welttag der Meteorologie - Und das Wetter spielt mit.

■ Wissen Sie, wer cool ist?
Slim Shady.

■ Sobald der Lenz uns mit einem kleinen Preview seiner Vorzüge in die Geographie lockt, möchte man meinen, die jungen Leutchen wären gleich um Klassen ansehnlicher. Überall schnittige Boys und leckere Girls. Das liegt aber wahrscheinlich nur an den immer großzügiger dimensionierten Sonnenbrillen, die einen Gutteil der vom harten Winter bleichen und teigigen Gesichter verdecken.

■ Berichte Kollegen Hure, dass ich dem Zigarettenverzicht im Mai mit einem gewissen Bangen entgegenblicke, da ich bisher noch nie versucht habe, das Rauchen aufzugeben. Er hat einen ausgesprochen hilfreichen Tipp für mich: "Setz dich einfach in die Wohnung und kauf dir keine Zigaretten."
Stark!
So werd ich das wohl machen.

Donnerstag, 24. März

■ Der erste Besuch im Internet. Mit der besten Freundin abwechselnd an der Bürotüre Schmiere gestanden und nach "Pamela Anderson" – nein, nicht gegoogelt – gesucht! Alle paar Sekunden vergrößerten sich die verpixelten Bilder ruckartig um ein paar Millimeter, bis wir nach einer halben Ewigkeit endlich zum ersten Mal in unserem Leben einen baren Busen auf einem Bildschirm betrachten konnten. DAS war also das Internet!
Danach fiel uns nichts mehr ein, wonach wir sonst noch suchen könnten und deaktivierten den laut dröhnenden Kasten unter dem Schreibtisch wieder. Mehrere Bilder zu betrachten wäre auch zu teuer gekommen.

Eine Blitzumfrage in der näheren Bekanntschaft – "Wonach hast du bei deinem ersten Mal im Internet als erstes gesucht?" - ergibt Folgendes:

  • Klaus Mann, Jane Austen und Akte X
  • Email, Chat
  • Andere Suchmaschinen mittels Altavista
  • U-Boot
  • Ficken, Gratis Spiele
  • Informationsgesellschaft
  • Star Trek

■ Bierschiss statt Bullshit (unverbindlicher Transparent-Vorschlag für gegnerische Fans bei Red Bull Salzburg - Spielen)

Freitag, 25. März

■ Schönes Wort aus Volkschulzeiten, fast vergessen: "buamanarrisch".

■ Letzen Sommer war ich mit den Kollegen Wurm und Futtinger auf Sommerfrische in der Schweiz, wo wir wahrscheinlich irgendwann das öde Thema Biersorten erörterten. Jedenfalls berichtete ich mit bestem Gewissen und wie gewohnt der Wahrheit verpflichtet, einmal Bier der Billigmarke Clever gekauft und nicht genossen zu haben.
Die Skepsis war erschlagend. Man glaubte mir nicht.

Auf der Rückreise nutze ich schon die ersten Meter auf heimatlichem Boden, um die Clever-Hotline zu konsultieren. Die freundliche Telefonistin bestätigte mir und auch den Kollegen, dass einst erschwinglicher Gerstensaft die Produktpalette der Discountmarke bereichert hätte.
"Jaja, das ist doch irgendeine Freundin von dir da am Telefon", lautete die beleidigte Reaktion auf die mich bestätigende Auskunft.

Kürzlich triezten mich die "Freunde" erneut mit meiner scheinbaren Erfindung.
Ich recherchierte im Internet und fand gleich zwei Bilder der bewussten Dosen von zwei verschiedenen Quellen. Außerdem existiert eine Facebook-Gruppe namens "Wir wollen wieder Bier von clever".

Doch auch das scheint den beiden Ungläubigen nicht zu reichen. "Jaja, Photoshop kann jeder, Gruppen gründen auch. Wir wollen eine Clever-Dose in Händen halten!", tönte es.
Deshalb mein Aufruf:

Hat irgendjemand noch solch eine Dose zu Hause? Ich wäre mittlerweile zu einigem bereit (Geld in monatlichen Raten, Burlesque-Tanz, Gartenarbeit), um diese zu erwerben oder wenigstens für einen Abend auszuborgen, damit das leidige Thema endlich vom Tisch ist und die beiden Narren eines Besseren belehrt werden.

■ Ist die Phantasie, ein Tier beträchtlicher Größe bei lebendigem Leibe einzufrieren, bedenklich?
Womöglich.
Schlimm!
Einen gewissen Appeal kann ich der Idee aber nicht absprechen, ein äußerlich unversehrtes Wesen, etwa eine Maus oder einen Sittich, in einem tödlichen Aggregatszustand aus dem Gefrierschrank zu ziehen, steinhart und eiskalt.

Samstag, 26. März

■ Schönes neues Wort im Privatfernsehen gelernt: "Polytoxikomane".
Ein Arzt beschreibt damit einen Patienten und fügt die Erklärung an: "Er raucht und trinkt halt sehr viel."
Ist für künftige Rendezvous oder Bewerbungsgespräche vorgemerkt.

"Beschreiben Sie sich in drei Wörtern!"
"Größenwahn, Lethargie, Polytoxikomanie."

■ An dieser Stelle sollte eigentlich der lustigste und klügste Tagebuch-Eintrag dieses Jahres stehen, dessen Niederschrift mich eine ganze Stunde gekostet hätte, die mir aber nun durch die vermaledeite Sommerzeit geraubt wird, weshalb ich die hungrige Leserschaft nun leider enttäuschen muss.

■ Bestellung über dreißig große Heuschrecken, fünfzig große Grillen und hunderfünzig Gramm Mehlwürmer, jeweils lebendig. Man gönnt sich ja sonst kaum was im Jahr des Verzichts. Demnächst wird aufgekocht, Erfahrungsbericht folgt.
Ließe sich als eine Art Kleintier-Kompromiss auch gut mit meiner bedenklichen Tiefkühl-Phantasie verbinden.