Erstellt am: 7. 3. 2011 - 19:04 Uhr
The Beauty and the Noise
Aus dem Stimmengewirr einer kleinen Bar in Baltimore im US Bundesstaat Maryland schält sich ein knisterndes, sphärisches Rauschen. Rückwärts abgespieltes Gitarrenfeedback entfaltet sich durch einen großräumigen Hall, bis es von einem reduzierten Rhythmus und geschmeidigen Akkordzerlegungen gestoppt wird. Eine brüchige, traurige Frauenstimme singt von Einsamkeit, Tod und dem Loslassen. Bis der flächige Refrain sich mit seiner berührenden Gesangslinie und leicht zischelnden Becken mit seinen hohen Frequenzen den Song zum Schweben bringt.
"Two Small Deaths" ist nicht nur der Einstieg in das neue Album des amerikanischen Duos Wye Oak, sondern steht sowohl inhaltlich als auch vom emotionalen Grundtenor programmatisch für das dritte Werk von Sängerin und Gitarristen Jenn Wasner und Schlagzeuger Andy Stack. Hier liegen Trauer und Schmerz nicht nur ganz nah neben Hoffnung und Heilung, sondern diese zwei Seiten bedingen einander und fördern eines der schönsten, sehnsüchtigsten Alben eines Duos zu Tage.

Wye Oak
Friends for life
Seit der Highschool kennen sich Jenn und Andy. Ob nun bei ihren ersten, musikalischen Gehversuchen als Band oder engerer, persönlicher Leidenschaft für einander, die beiden Musiker aus Baltimore sind über zehn Jahren mehr als nur ein Mal durch dick und dünn gegangen. Und das hört man auch jedem Ton ihres neuen Albums "Civilian" an. Denn auch wenn hier nur zwei Menschen am Werken sind, klingt Wye Oak nach einer mehrköpfigen Band. Andy Stack spielt mit der linken Hand den Bass am Synthie, während er mit seinem übrigen Körper das Schlagzeug-Set bearbeitet. Und das derart gekonnt und geschmeidig, dass selbst Jenn im Interview nur in allerhöchsten Tönen von ihrer "Ein-Mann-Backingband" schwärmt. Schließlich habe er dafür viele Jahre hart arbeiten müssen, um diese koordinative Herausforderung auch live meistern zu können. Das Stück "The Altar" zum Beispiel schlängelt sich zwar gemächlich mit Gitarre und Stimme in den Gehörgang, doch setzt schon nach kurzer Zeit nicht nur ein schwerer Beat ein, und auch krautrockige Keyboardklänge verzieren diesen zurückgelehnten Songs. Wobei als wunderbares Detail Jenns elegische Stimme leicht angezerrt wird und so das Stück etwas aus dem üblichen Soundkorsett entrückt.

Wye Oak
Der in jedem Track hörbare Respekt für den jeweils anderen war auch jener Nährboden, der dieses Album möglich gemacht hat. Denn Sängerin und Gitarristin Jenn hat in einer schweren Zeit abgeschottet von der äußeren Welt ihren Schmerz und ihre Trauer durch das Songschreiben verarbeitet, um dann die Skizzen und das Material mit Andy im Proberaum auszuarbeiten. Dafür braucht es viel Vertrauen, sich derart zu öffnen und heikle Themen gemeinsam zu bearbeiten. Dass "Civilians" jedoch keine depressive Trauerplatte geworden ist, sondern sich selbst in düsteren Passagen ein heller Hoffnungsschimmer spiegelt, liegt an Jenns sehr reflektierten Umgang mit ihrer Krise.
Jenn: "Das Schreiben dieser Songs war wirklich ein Heilungsprozess. Für mich müssen auch die schlimmen Dinge im Leben einen Sinn ergeben. Und der kommt oft dadurch, dass sich Lieder darüber mache. Wenn ich nicht durch so eine schwierige Zeit hätte gehen müssen, dann würde es dieses Album nicht geben. Ich habe oft an den amerikanische Autor Wallace Stevens denken müssen, der gemeint hat: Death is the mother of beauty. Wenn alles immer gut und angenehm ist, dann kann man das gar nicht mehr würdigen. Man muss auch schlechte Zeiten haben, um die guten wertschätzen zu können."
Dig deeper
Dieser integrierender Lebensansatz lässt sich auch auf die musikalische Ebene von Wye Oak beziehen. So werden die betörend schönen Harmonien und ohrwurmlastigen Melodien immer in schneidendes Feedback, kratzenden Noise oder rauschend lärmigen Soundcollagen gebettet, die unweigerlich an die Shoegazerzeit der 1990iger erinnern.
Jenn: "Für mich braucht Musik sicherlich Ecken und Kanten, sowie eine gewisse raue Erdigkeit, um die Schönheit darin besser heraushören zu können. Meine Songs sind sehr simple in ihrer reinen, ursprünglichen Form. Für uns ist es jedoch wichtig, diese grundlegend schönen Melodien mit einer mystischen Atmosphäre zu umgeben, wie Noise und Lärm. So wird unsere Musik auch ein Stück weit weniger unmittelbar. Du musst schon etwas tiefer graben, um die Schönheit dieser Songs wirklich zu erkennen."

Wye Oak
Zwar stehen Nummern wie das vom ersten Akkord einnehmende "Holy Holy" oder das federleicht dahinswingende "Hot As A Day" durchaus in der Tradition von Bands wie My Bloody Valentine, Sonic Youth und den Cocteau Twins, jedoch schaffen es Jenn und Andy ihrer Klangwelt eine ganz spezifische Tonart und auch gegenwärtige Ästhetik zu geben. Beginnt der Titeltrack "Civilian" mit einem geschmeidigen Folk-Thema, so entwickelt er sich gegen Ende hin zu einem wahren Feuerwerk an verschrobenen Gitarrengequitsche und sphärischen Chorgesang. Und eines der absoluten Highlights der Platte, das schlicht und einfach betitelte "Fish", lässt einen tief in das mattgrüne, schimmernde Soundmeer eintauchen, wie es das wundervolle Cover zeigt.
Das Großartige an "Civilian" ist, dass in keinem Song auch nur ein Ton zuviel angeschlagen wird. Lebten die beiden Vorgänger noch davon, dass das Duo aus Baltimore ihren Stücken viele Schicht aufeinander stapelten, so haben Jenn und Andy zum ersten Mal den Mut gefasst, den Weg der Reduktion einzuschalgen.
Jenn: "Im Studio ist es sehr einfach, immer mehr aufzunehmen und übereinander zu schichten. Die schwierigste Lektion für uns war, Dinge auszuschließen und wegzulassen. Es waren Überlegungen wie, wo braucht man mehr Raum für die Melodien? Wenn wir etwas aufgenommen und im Song gelassen haben, dann nur, wenn es einen Zweck hatte und hörbar Sinn machte. Ich glaube, mit diesem Album ist uns das gut gelungen. "
Und so funktionieren trotz unglaublich breitflächiger und ausgetüftelter Produktion die Songs von Wye Oak auch lediglich mit Akustikgitarre und Jenns beeindruckender Stimme. Egal, ob man mehr auf den cinemascope-artigen Sound oder die Lagerfeuerästhetik steht, "Civilian" ist in jeder Hinsicht ein bedeutendes Album. Nicht zuletzt, da es wirklich ein zeitloses Werk geworden ist.