Erstellt am: 22. 2. 2011 - 18:28 Uhr
Die letzten Tage von al-Gaddafi-TV
- Aktuelle Berichterstattung zu Libyen gibts auf orf.at
- Berichte von FM4 Reality Check zu den Protesten in Libyen gibt es im Radioprogramm des entsprechenden Tages zum Nachhören.
Während der TV-Sender al-Jazeera Dienstagnachmittag einen abgesprungenen libyischen Diplomaten nach dem anderen interviewte, zeigte das libysche Staatsfernsehen, dass wenigstens die Gegend rund um die TV-Anstalt noch fest im Griff des Regimes ist.
Der bizarre Kurzauftritt Al-Gaddafis mit Fellmütze und Regenschirm in der Nacht auf Dienstag wurde seitdem im Stundenabstand wiederholt, dazwischen kamen die Kernpassagen aus der Drohansprache seines Sohns. Die ganze Nacht: marschierende Kadetten, angreifende Reiter, Panzerkolonnen - alles Bilder aus dem Archiv, untermalt von patriotischen Gesängen.

Libya state tv
Eine Kameraperspektive
Wie ihre Kollegen vom ägyptischen Staatsfernsehen während der letzten Tage des Mubarak-Regimes trauen sich die Kamerateams von LJBC ganz offensichtlich nicht mehr auf die Straße.
Den ganzen Tag über hatte man nur noch eine Kameraperspektive zur Verfügung. Wie es aussieht, filmt diese Kamera direkt aus der TV-Anstalt.
Das ebenfalls mit einem Volksaufstand konfrontierte Regime in Teheran reagierte auf seine Art. Seit Wochen wird versucht, die für die terrestrische Weiterverbreitung genutzten Radio-Feeds von BBC und Deutscher Welle mit Störsendern lahmzulegen.
Die auf dem Platz davor befindliche Jubelmenge war höchst überschaubar. Mehr als ein paar hundert Personen waren niemals gleichzeitig im Bild, man demonstrierte immer genau in Richtung Kamera. Wie plump das Ganze inszeniert war, zeigten die Silhouetten von Militärfahrzeugen im Hintergrund, die das Geschehen abschirmten.
Was nicht zu sehen ist
Ansonsten: Keine einzige Sequenz von den Zerstörungen in der Stadt, keine ausgebrannten Gebäude, kein Bild von angreifenden Kampfflugzeugen, Helikoptern oder gar Demonstranten.
Nur eine Einstellung zeigte Zerstörungen, die von einem in den Medien kolportierten Angriff der Demonstranten auf die TV-Anstalt stammen dürften.
Die Al-Gaddafi-Show
Ab 17.50 Uhr Ortszeit trat Al-Gaddafi im Foyer des teilweise zerstörten Präsidentenpalasts in Erscheinung. Es wurde ein unwirklicher Auftritt, Al-Gaddafi sprach für ein imaginäres Publikum, da der Platz vor dem Palast menschenleer war.

Libya state tv
Dafür hieb er immer wieder mit der Faust aufs Rednerpult, dass die Mikrofone wackelten, und gab im Anschluss eine Lesung aus seinem "grünen Buch" - um danach weiterzusprechen. Der libysche Machthaber ist bekannt für außerordentlich lange Ansprachen, die schon einmal bis zu sieben Stunden dauern können.
Die Kanäle des libyschen Staatsfernsehens werden von Nilesat bis Atlantic Bird 3 über acht (!) verschiedene Satelliten verbreitet. Zwei der Programme, LJBC und Al-Jamahirya TV 1 werden auch über Eutelsat Hotbird 9 für Europa ausgestrahlt.
Diesmal begnügte er sich allerdings mit 65 Minuten und fuhr anschließend im Golfwagen davon.

Libya state tv
Der Internet-Traffic von und nach Libyen, in der Grafik von Google und im Blog der Traffic-Spezialisten von Renesys
Nach mehrstündigen Totalausfällen am Freitag und in der Nacht auf Sonntag war die Internetversorgung in Libyen zwischendurch wieder gegeben, den ganzen Dienstag über waren libysche Websites erneut praktisch nicht erreichbar.
Worauf die Ausfälle genau zurückzuführen sind, ist unklar, schließlich haben Al-Gaddafis Schergen im Moment anderes zu tun als Internetüberwachung. Die Traffic-Experten von Renesys schließen Probleme mit der Stromversorgung von Datenzentren als Ursache der Störungen nicht aus.