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Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

22. 2. 2011 - 17:50

Noch eine Fremdenrechtsnovelle, bitte

Das Fremdenrechtsgesetz wurde schon wieder novelliert, zum fünften Mal in zwei Jahren. Wie kommt es dazu und wie könnte bei diesem Tempo das Fremdenrechtsgesetz im Jahr 2015 aussehen?

Die Novelle des Fremdenrechts von Maria Fekter ist heute, Dienstag, im Ministerrat beschlossen worden. Trotz massiver Proteste wurde der Entwurf kaum entschärft (mehr dazu auf orf.at).

Der jetzt beschlossene Gesetzesentwurf ist die fünfte Novelle des Fremdenrechts in den letzten zwei Jahren, und bei jeder Novelle ging es um Verschärfungen. Wenn dieses Tempo beibehalten wird, stehen in den nächsten fünf Jahren zehn weitere Novellen an.

Die Verschärfungsspirale

Aber warum verschärft das ÖVP Innenministerium bzw. die Koalitionsregierung mit der SPÖ mit immer höherem Tempo das Fremdenrecht, obwohl Asylansuchen sogar stark rückläufig sind? Weil man nach rechts zur FPÖ hin auf Wählerstimmen schielt - das ist die übliche und wohl auch nicht unzutreffende Erklärung. Für den Politologen Bernhard Perchinig steckt aber noch mehr dahinter.

Noch bevor das alte Gesetz von der Verwaltung so richtig "verstanden" und implementiert wurde, noch vor einer ausführlichen Evaluierung, wird es schon wieder verändert - für Perchinig ist das ein Zeichen von "Bad Governance", schlechter Staatsführung. Offenbar werde auf Ad-Hoc Zurufe mit Reformen agiert.

Warum will man einerseits ein liberales Signal mit der Rot-Weiß-Rot-Card setzen und präsentiert fast zeitgleich einen inhaltlich gegenteiligen Verschärfungsentwurf? Perchinig erklärt diesen Widerspruch teilweise mit der problematischen Governance des Systems Innenministerium. Er sieht ein Problem darin, dass nur Legistiker des Innenministeriums für den Entwurf verantwortlich sind und andere Ministerien nur Begutachtungskritiken verfassen können.

"Wenn man das Innenministerium als Apparat ansieht, so sieht man im Bereich Fremdenrecht Wachstum und relativ viel jüngere Juristen, die Karriere machen möchten. Die Kultur des Innenministeriums ist eine Sicherheitskultur, wo man sich vor allem bewährt und Qualifikation nachweist, wenn man verschärft. Das heißt, es gibt hier offenbar eine gewisse interne Dynamik des Beamtenapparates, immer schärfere Vorschläge vorzulegen."

Das sei auch bei den Reformen des Staatsbürgerschaftsgesetzes so gewesen, die Vorstellungen seien primär aus dem Beamtenapparat gekommen. Wie kommt man da wieder heraus? Bernhard Perchinig schlägt "Joint Governance" vor - in dieser Form des Regierens schreiben Legistiker mehrerer Ministerien an einem Gesetz und so werden von Anfang an mehrere Blickwinkel mitgedacht. So würden also den Inneministeriumsbeamten auch die vom Sozial-, Bildungs-, Gesundheits- oder Wirtschaftsministeriums zur Seite stehen.

5 Novellen in 2 Jahren = 10 Novellen bis 2015

Christoph Riedl vom Diakonie Flüchtlingsdienst befürchtet durch die ständige Novellierung des Gesetzes eine mögliche Aushöhlung des Rechtsstaats mit seinen eigenen Mitteln. Denn das Fremdenrecht wird immer umfangreicher, ändert sich permanent - Christoph Riedl vermutet, dass kaum mehr jemand den Überblick hat, inklusive der Beamten, die das Gesetz schreiben. Damit, sagt Riedl, würde de facto das Gesetz abgeschafft werden, denn: "Wir finden jetzt schon Bestimmungen im Fremdenrecht, die sich diametral widersprechen". Das führe dazu, so Riedl weiter, dass Beamte das Gesetz vollziehen würden, wie sie glaubten, dass es von der Politik verlangt werde und nicht mehr auf Grundlage des Gesetzes. Die Gesetzesnovellierungsspirale habe das Gegenteil des rechtsstaatlichen Prinzips erreicht.

"Konsequent fortgedacht heißt das, jeder kann machen was er will. Es führt schnurstracks in die Willkür, weil eigentlich jedes Vorgehen in irgendeiner Form durch das Gesetz gedeckt ist. Nur wenn es dann einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gibt, dann wird man sich seitens der Politik wieder hinstellen und sagen, na ja da hat der Beamte einen Fehler gemacht. Das wäre ja eigentlich ganz anders zu vollziehen gewesen."

Riedl verweist auf den Umgang mit der Familie Komani letzten Herbst. Aufgrund öffentlichen Druckes ließ die Inninministerin den bereits in den Kosovo abgeschobenen Vater und die Zwillinge wieder nach Österreich holen. Begründung: Da hätten Beamte einen Fehler gemacht. Man müsse außerdem abweisenden Empfehlungen der Sicherheitsdirektion nicht gehorchen. Genau das steht zwar im Fremdenrecht, allerdings wird es an einer anderen Stelle wieder außer Kraft gesetzt.

Szenario 2015

Wenn das Fremdenrecht weiterhin auf diese Art und Weise novelliert wird, wäre 2015 für die Experten Perchinig und Riedl folgendes Szenario denkbar: Kaum mehr Dauerniederlassungen, sondern nur temporäre Visa; unbefristete unüberprüfte Schubhaft für alle ohne Altersgrenzen; keine Rechtsberatung mehr für Flüchtlinge; Abschiebung bei Fristversäumnissen bzw. schon bei geringen Vergehen.

Die beiden Experten haben ein Szenario für ein mögliches Fremdenrecht im Jahr 2015 am Dienstag 22.2., in der Sendung Connected, entworfen:

Fremdenrecht 2015

Aber wer wird 2015 unter solch einem Szenario als Gesetz tatsächlich nach Österreich kommen? Migrationsforscher Bernhard Perchinig glaubt, dass genau die Hochqualifizierten, die man ins Land holen will, nicht kommen werden. Sie migrieren lieber in Länder, wo sie mit ihren Familien unter freundlicheren Bedingungen aufgenommen werden."Wer kommt, sind vor allem jene, die keine Wahl haben. Die auch diese schlechten Bedingungen nehmen müssen - also meistens eher unqualifizierte Menschen, die auf irregulärem Weg nach Österreich kommen."

Die These des Migrationsforschers weiter gedacht, könnte das bedeuten: Es kommen also jene, die wenig zu verlieren haben, auf illegalem Weg ins Land. Hier leben sie dann großteils entrechtet, illegal beschäftigt möglicherweise unter dem Mindestlohn. Sie leben abgewendet von der Gesellschaft in einer Parallelwelt einer neuen Unterschicht, dem gesellschaftlichen Pulverfass der Zukunft. Die österreichische Regierung bastelt also defacto in einem solchen Szenario eifrig am Auseinanderbrechen der Gesellschaft, an fortschreitenden Verlust des sozialen Zusammenhaltes mittels einer menschenrechtsverachtenden Einwanderungspolitik. Bliebe noch zu sehen, inwieweit dies durch zivile Proteste, internationale Menschenrechtsabkommen oder Institutionen wie Gerichtshöfe verhindert bzw. umgekehrt werden könnte.

Die Alternative zum skizzierten Szenario ist ein neues Einwanderungsrecht, das ohne interne Widersprüche und unter Einhaltung der Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen eine Antwort auf die Komplexität und Ursachen heutiger Migrationsströme gibt.